Host-Info
Birgit Sauer
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Birgit Sauer :  Gesellschaft .  Technologie .  Wissen und Bildung 
 
Plagiate im Zeitalter von "Copy and Paste"  
  Die Bienchen tun's, die Koreaner tun's, so sagt man, Studierende aller Fachrichtungen tun's, und honorige Politikwissenschaftler tun's - ja auch die! - das Plagiieren. Inzwischen haben sich wissenschaftliche Vereinigungen Kodizes gegeben, in denen das Abschreiben ohne Quellenangabe als unethisches Handeln gebrandmarkt und mit öffentlichem Bloßstellen geahndet wird.  
Diese Entwicklung als "political correctness" zu diffamieren, verkennt das Problem: nämlich den Diebstahl geistigen Eigentums und die damit verbundene Entwertung der eigenständigen intellektuellen Leistung des/der plagiierten Autors/Autorin, aber auch der potenziellen Leistungsfähigkeit der AbschreiberIn, also auch von Studierenden.
Plagiieren als "Trendsport"
Mit dem problemlosen Zugang zum World Wide Web ist das Plagiieren aus dem Internet zu einem globalen "Trendsport" (Schätzlein 2003) von - wie gesagt nicht nur - Studierenden geworden.

Die Ertappten (dies sind zwar am Wiener Institut nicht wenige, aber sicher nur ein kleiner Bruchteil, denn schließlich sind wir Lehrenden keine Plagiatspolizei) erklären sich in der Regel mit Unwissenheit, meist aber mit Zeitknappheit.
Blaupause meist schnell im Netz zu finden
Wie sich Zeitknappheit, Arbeitsüberlastung im Studium oder Faulheit mit schlichter Dummheit paaren, kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen:

Soll ich lachen, weinen oder hysterisch aufschreien, wenn ich einen meiner eigenen Internettexte als Hausarbeit abgeliefert bekomme?

Das ist sicher nur ein Extremfall, aber eine gewisse Naivität scheint mit dem Plagiieren einher zu gehen, denn meist reicht ein kurzer (wenn auch nervtötender) Klick auf einschlägige Suchmaschinen, um die Blaupause für "verdächtige" Hausarbeiten im Netz zu finden.
Was Texte verdächtig macht
Also: Auch HochschullehrerInnen kennen die einschlägigen Webseiten (eine Auswahl siehe unten), und inzwischen gibt es eigene Programme, die Plagiate aufspüren können (siehe ebenfalls unten).

Die Verdachtsmomente sind für geübte LeserInnen in der Regel offensichtlich: kein oder wenig Bezug zum Seminar- oder Vorlesungsthema, keine Referenz auf die Literatur des Seminars bzw. der Vorlesung, geschliffene Sprache oder elaborierte Fachtermini sowie Formatierungsfehler.

Es gibt sicher auch das intelligente Abschreiben aus dem Internet, doch ich vermute, dass das ebenso zeitaufwändig ist, wie eine eigene intellektuelle Leistung, sprich: schriftliche Seminararbeit zu erbringen.

Und das Internet als Quelle - freilich nur nach eingehender Quellenkritik, die jedoch komplizierter ist als bei qualitätsgeprüften fachwissenschaftlichen Journalen oder Büchern - zu verwenden, ist ja nicht verboten.
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Datenbanken für Hausarbeiten
www.hausarbeiten.de (18.000 Hausarbeiten aller Fachgebiete)
www.fundus.org
www.referate.de
www.referate.com
www.unifuchs.de
www.student-online.de
www.studis-online.de/Studieren/referate
www.unicum.de/hausarb/
www.diplomarbeiten-online.com
www.diplomarbeit.de
www.diplomarbeiten24.de
www.wissen24.de
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Wie reagieren?
Dass es im Studium und beim wissenschaftlichen Arbeiten nicht darum geht, andere zu beklauen, sollte selbstverständlich sein. Dass Lehrende ihre knappe Zeit nicht als PlagiatsschnüfflerInnen vergeuden sollten und wollen, ebenso.

Wie dem Problem des Gedankenklaus beizukommen ist, ist aber noch ziemliches Neuland: eher permissiv-verantwortungslos ("Die Studis werden im wirklichen Leben schon merken, wenn sie nur abschreiben und dabei nichts lernen") oder repressiv (sprich: Ausschluss aus dem Studium)?
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Plagiat-Suchdienste (kostenpflichtig)
www.turnitin.com
www.plagiarism.org
www.plagiarism.com
www.canexus.com
www.wordchecksystems.com
www.integriguard.com
www.plagiserve.com
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USA: Kodizes regeln Plagiatsvergehen
US-amerikanische Universitäten - sowohl von "law and order-Imperativen" getrieben, wie auch von Gerechtigkeitsvorstellungen in Bezug auf "eigene Leistung" inspiriert - haben inzwischen Hochschul-Kodizes erlassen, die das Plagiieren mit einem Hochschulverweis ahnden.
BRD: Verpflichtende Erklärung bei Hausarbeiten
Auch einige deutsche Hochschulen haben Maßnahmen gegen das Abschreiben aus dem Internet ergriffen:

So müssen Studierende beispielsweise in Mainz und Darmstadt zu jeder Hausarbeit (nicht nur zu Diplomarbeiten und Dissertationen) eine Erklärung abgeben, dass sie die Arbeit selbstständig erstellt bzw. alle verwendeten Quellen angeführt haben (heise online vom 12.2.2003).

Bei einer Plagiatsenthüllung ist durch diese Erklärung der Rechtstatbestand des "Betrugs" erfüllt und kann zur Grundlage eines Prozesses mit dem Ziel des Hochschulverweises werden. In erster Linie soll eine solche Verfügung freilich abschreckende Wirkung haben.
Wiener Institut: Ausschlussverfahren möglich
Auch einige österreichische Hochschulen denken inzwischen darüber nach, ein solches Verfahren zu implementieren. Wie ist nun die Policy am Wiener Institut für Politikwissenschaft?

Wir erproben seit einigen Semestern ein mehrstufiges Verfahren, an dessen - weit entferntem Ende - der Ausschluss aus der Studienrichtung Politikwissenschaft steht: Alle PlagiatorInnen werden in einer "schwarzen Liste" erfasst.

Mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Studienkommission wird ein Protokoll des Tatbestandes aufgenommen, das ebenfalls zur "schwarzen Akte" kommt. Werden sie ein zweites Mal beim Abschreiben erwischt, ist dieses Dokument die Grundlage für die Einleitung eines Ausschlussverfahrens aus der Studienrichtung.
Kommunikation ist notwendig
Der Zwischenweg zwischen laissez-faire und Repression ist ohne Zweifel Kommunikation. Wer würde die Not der Zeitknappheit beim wissenschaftlichen Schreiben besser kennen als WissenschaftlerInnen, die ja die Lehrenden am Institut sind.
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Literatur
Heise online. URL: www.heise.de/newsticker
Koch, Christoph 2002: Professor Wachsam, in: Der Tagesspiegel vom 21.11.
Schätzlein, Frank 2003: Studentischer Trendsport "Copy-and-Paste". Plagiate erkennen, überprüfen und verhindern. In: ZWO.E-Journal des Instituts für Germanistik II der Universität Hamburg, Sommersemester 2003. URL: www.rrz.uni-hamburg.de/zwo/
Weber, Karsten 2002: Hausarbeiten und Referate aus dem Internet ¿ Plagiate an der Universität. URL: www.phil.euv-frankfurt-o.de
Weber-Wulff, Debora 2002: Schummeln mit dem Internet? Praxistipps aus der Sicht einer Professorin, in: c't, H. 1, S. 64-69
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