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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Die Nazi-Olympiade 1936
Politische Aspekte der Olympischen Spiele (III)
 
  Es waren Joseph Goebbels und sein Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung, die eine Haltungsänderung der Nationalsozialisten zu den Olympischen Spielen auslösten. Julius Streicher, Herausgeber der Hetzschrift "Der Stürmer", hatte die Spiele ein "infames Spektakel, das die Juden dominieren" genannt. Himmlers Meinung war um nichts freundlicher. Mit dem olympischen Spuk sollte Schluss sein, hatte man bis 1933 getrommelt.  
Rassenwahn vs. Instrumentalisierung
Völkerverständigung und Diskriminierungsverbot der Spiele kollidierten mit dem nationalsozialistischen Rassenwahn. Doch die Chance für eine politische Instrumentalisierung war einfach zu verlockend.

Schließlich lauteten die propagandistischen Ziele in der ersten Phase der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft: a) Erzeugung des Eindrucks von absoluter Friedensliebe des neuen Regimes im Ausland, b) Tarnung der Aufrüstungsmaßnahmen und c) Weckung und Steigerung des Wehrwillens der Bevölkerung.
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Artikelserie
Peter Filzmaier schreibt anlässlich der Sommerspiele in Athen eine Artikelserie zu den politischen Aspekten der Olympischen Bewegung - von den Anfängen ihrer Wiederbelebung in der Neuzeit bis zur Gegenwart.
Teil 1: Die Anfänge der Lebenslüge 1896-1912 (3.8.04)
Teil 2: Der Fall Deutschland 1920-1932 (6.8.04)
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Olympia als Verschleierungstaktik
Welche Verschleierungstaktiken waren dafür besser geeignet als das olympische Politikspektakel mit sportlicher Tarnkappe? Konkrete innenpolitische Funktionen der Spiele waren eine Förderung von Massenloyalität bzw. des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls durch Integrations- und Identifikationseffekte, die Ablenkung von inneren Schwierigkeiten und als Nebenaspekt Spekulationen auf den wirtschaftlichen Nutzen.

Außenpolitisch kamen ein internationaler Prestigegewinn im Kampf gegen Isolationsbestrebungen und die Darstellung als demokratischer Staat hinzu.
Verfolgung von Andersdenkenden und Juden ...
Im Juni 1933 übernahm Reichssportführer von Tschammer und Osten sein Amt, ohne durch irgendeine Qualifikation und/oder Erfahrung als Sportfunktionär vorbelastet zu sein.

Seine Vergangenheit als SA-Gruppenführer und SS-Sonderkommissar mit Beteiligung an der Zerschlagung der sozialistischen Sportbewegung befähigte ihn jedoch zum systematischen Ausschluss von Andersdenkenden und Juden aus allen Sportverbänden und von den Sportanlagen.
... kein Grund für IOC-Boykott
Zahllose Gründe für das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die mächtigsten Nationalkomitees, die Olympischen Spiele in Berlin abzusagen, zu verlegen oder zu boykottieren? Auf der Athener IOC-Session 1934 waren lediglich 23 von 59 Mitgliedern anwesend, nur drei forderten eine Erörterung des Themas. 1935 waren Absage, Verlegung oder Boykott nicht einmal Thema der Tagesordnung.
Boykott-Befürworter wurde ausgeschlossen
Der deutschstämmige US-Amerikaner Lee Jahncke, der in zwei offenen Briefen einen Boykott befürwortete, wurde 1936 einstimmig aus dem IOC ausgeschlossen. Seine "Liebe zu einem früheren Deutschland" und seine "Ergebenheit für einen demokratischen Sportsgeist" lösten im IOC offiziell "Empörung über den Verrat der Interessen des Komitees und über den Verstoß gegen die guten Sitten" aus.
USOC-Vorsitzender lobte Antikommunismus der Nazis
Gleichermaßen erschütternd verlief die Boykottdiskussion in den USA. Die American Athletic Union (AAU), der größte Amateursportverband, hatte im November 1933 aufgrund der antisemitischen Politik in Deutschland mit einem Boykott der Spiele in Berlin gedroht. Avery Brundage, scheidender AAU-Vorsitzender und Präsident des United States Olympic Committee (USOC), war allerdings der stärkste Befürworter einer Teilnahme der USA.

Für ihn hatte Deutschland unter der nationalsozialistischen Herrschaft "viele Fortschritte gemacht" und kein Land würde "mit der Veranstaltung der Olympischen Spiele aufrichtigere Nationalinteressen" verfolgen. Die USA könnten "vor allem im Kampf gegen den Kommunismus viel von Deutschland lernen."

1934 wurden in diesem Deutschland alle Arbeitersportverbände mit knapp zwei Millionen Mitgliedern von der NSDAP endgültig aufgelöst.
Avery Brundage's "Untersuchungsreise" ...
Das USOC beschloss im Juni 1934 eine Kommission nach Deutschland zu entsenden. Einziges Mitglied der Kommission, welche die Diskriminierung jüdischer Sportler in Deutschland untersuchen sollte, war Avery Brundage.

Noch vor seiner Abreise erklärte er in einem Artikel für eine offizielle Zeitschrift des USOC, dass Deutschland durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele die "internationale Freundschaft und das Verständnis der Menschheit" fördern würde.
... führt zu Nicht-Boykott der Amerikaner
Brundage, der deutschen Sprache nicht mächtig, traf während seines sechstägigen Aufenthalts ausschließlich in Anwesenheit von hohen NSDAP-Beamten mit jüdischen "Sportfunktionären" zusammen, meistens im Berliner Hotel Kaiserhof.

Dabei soll er gegenüber seinen Gesprächspartnern argumentiert haben, dass ihnen [den Juden] kein Unrecht geschehe, denn schließlich sei der Sport untereinander gestattet, und sein eigener Verein in Chicago nehme auch keine Juden auf.

Infolge von Brundages Bericht nahm das USOC im September 1934 die Einladung des Organisationskomitees zu den Olympischen Spielen 1936 in Berlin an.
Rassische Diskriminierung, politische Verfolgung
Spätestens seit den Nürnberger Rassengesetzen auf dem Reichsparteitag 1935 war der Antisemitismus auch im Sport dokumentierbar. Sogar in der propagandistischen Inszenierung der Olympischen Winterspiele im Februar 1936 in Garmisch-Partenkirchen war das olympische Verkehrsamt nachweislich mit einer Tafel "Juden unerwünscht" ausgestaltet.

Zur rassischen Diskriminierung jüdischer Sportler kam die politische Verfolgung. 1935 waren nach unvollständigen Quellen knapp 5.500 Prozesse gegen über 20.000 Regimegegner durchgeführt worden. Auf den Sitzungen von IOC und USOC wurde das Thema aber nicht mehr besprochen.
Olympische Verlogenheit
Sogar der Rückblick auf die unmittelbaren Ereignisse in Berlin ist von olympischer Verlogenheit gekennzeichnet. Die Weigerung Hitlers, afro-amerikanischen Olympiasiegern die Hand zu schütteln, wird mehrfach als protokollarisch nicht üblich beschönigt. Im Gegensatz zu einer solchen Darstellung des späteren IOC-Präsidenten Avery Brundage gab es für deutsche bzw. europäische Sieger trotzdem einen Händedruck des "Führers".
Schönfärberei der IOC-Geschichte ...
Ausgerechnet NSDAP-Reichsjugendführer Baldur von Schirach entlarvte in seinen Memoiren Brundage endgültig, als er Hitler zitierte: "Die Amerikaner sollten sich schämen, dass sie sich ihre Medaillen von Negern gewinnen lassen. Ich werde diesem Neger [Jesse Owens] nicht die Hand schütteln. (...) Glauben Sie, dass ich mich photographieren lasse, wie ich einem Neger die Hand schüttle?"

Noch am 11. März 1984 wiederholte Willi Daume, IOC-Vizepräsident und Präsident des Deutschen Olympischen Komitees (DOK), anlässlich der Umbenennung einer Berliner Straße in Jesse Owens-Allee Brundages Schönfärberei inklusive Protokolllüge in seiner Festansprache.
... lange nach den Nazis
Zu zitieren ist Simon Wiesenthal: "Er [Daume] benutzte die Gelegenheit, den Sinn der ganzen Umbenennung in ihr Gegenteil zu verkehren. (...). Ich weiß nicht, was Daume veranlasst hat, eine von dieser Darstellung [durch von Schirach] so völlig abweichende Version zum besten zu geben. Vielleicht seine Naziparteinummer 6098980."
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