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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Bilanz des österreichischen Wahljahrs 2004 (I)  
  Eine Reihe von Wahlen wurden 2004 in Österreich geschlagen, u.a. ging es um den Bundespräsidenten, das Europäische Parlament und drei Landtage. Dabei waren einige Trends zu beobachten: Frauen wählen tendenziell links, Männer rechts. Und auch das Wahlverhalten im Generationen- und Berufsvergleich ließ neue Rückschlüsse zu.  
ÖVP verliert - außer in Vorarlberg
Die Wahlergebnisse 2004 ergaben auffallende Unterschiede: Die ÖVP verlor in Salzburg den ersten Platz und ihren Landeshauptmannsessel, unterlag im Bundespräsidentschaftswahlkampf und konnte bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ("EU-Wahl") nur Schadensbegrenzung betreiben.

Wenig später gab es in den Landtagswahlen von Vorarlberg einen Zuwachs von neun Prozentpunkten und einen überlegenen Rückgewinn der absoluten Mehrheit.
SPÖ gewann, in Kärnten Muster ohne Wert
Die SPÖ durfte den Bundespräsidenten sowie die Salzburger Landeshauptfrau stellen und gewann in allen Wahlen Stimmanteile. Letzteres war in Kärnten ein Muster ohne Wert hinter dem wirklichen Sieger Jörg Haider und in Vorarlberg nur das Minimum des möglichen Erfolgs.
FPÖ, Grüne und - neu - HPM
Ungeachtet des kärntnerischen FPÖ-Erfolges in den Landtagswahlen setzten sich überall sonst die dramatischen Verluste der Partei fort. Lediglich die Grünen waren durchgehend erfolgreich, das aber in Salzburg auf bescheidenem Niveau.

Hinzu kam das Phänomen der Liste Hans-Peter Martin als Drittplatzierter der EU-Wahl. Welche generellen Trends gab es im Wahlverhalten der ÖsterreicherInnen?
Männer wählen rechts, Frauen links
Es zeigt sich (siehe die Abbildungen 1 bis 5), dass Männer und Frauen signifikant anders wählen: Erstere tendieren nach rechts, letztere nach links. Bestätigt hat sich demzufolge eine Geschlechterkluft (gender gap), dass ÖVP und FPÖ tendenziell Männer-, SPÖ und Grüne aber Frauenparteien sind.

In Salzburg wählten Frauen mit einer großen Mehrheit von 57 Prozent eine Koalition links der Mitte, während die Männer Mitte-rechts stimmten (51 Prozent). Sogar Benita Ferrero-Waldner konnte für die ÖVP bei den weiblichen Wählern nicht ausreichend punkten, sondern lediglich einen Gleichstand mit Heinz Fischer (SPÖ) erzielen.
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Regionale Ausnahme Kärnten
Eine regionale Ausnahme stellt Kärnten dar, wo FPÖ und ÖVP in der Summe ihrer Stimmen eine Mehrheit unter beiden Geschlechtern erzielen konnten. Die Kärntner FPÖ wird nach wie vor von Männern dominiert, während die Grünen weiterhin mehrheitlich von Frauen gewählt werden, die ÖVP einen nicht typischen Frauenüberschuss aufwies und nur die SPÖ in ihrer Wählerschaft keine geschlechtsspezifischen Unterschiede hatte.
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ÖVP in Vorarlberg überall dominant
Aufgrund der klaren Mehrheitsverhältnisse konnte sich die ÖVP in Vorarlberg sowohl bei Männer und Frauen, als auch in nahezu allen Alterschichten mit einer absoluten Mehrheit durchsetzen.

Logischerweise ist für alle soziodemographischen Gruppen ein Überhang rechts der Mitte gemeinsam mit der FPÖ nicht in Frage gestellt. Der gender gap zugunsten der SPÖ (plus vier Prozentpunkte) und der Grünen (plus zwei) bei den Frauen zeigte sich trotzdem.
Beispiel EU-Wahl
Zählt man für die EU-Wahl grob vereinfachend WählerInnen von ÖVP, FPÖ und HPM zum Wählerspektrum rechts der Mitte sowie SPÖ und Grüne (und die Linke Liste mit ihrem marginalen Stimmenanteil) links von der Mitte, ergibt sich: Männer haben mit 55 Prozent deutlich rechts gewählt, während es bei den Frauen ein Kopf-an-Kopf-Ergebnis gab.
Wahlverhalten im Generationenvergleich
Neben der Geschlechterkluft existiert ein unterschiedlich geprägtes generation voting. So gab es in Kärnten eine Mehrheit des bürgerlichen Lagers in allen Alterschichten, nur bei den über 50-jährigen WählerInnen konnte die SPÖ punkten.

In Salzburg hingegen tendierten die unter 30-jährigen WählerInnen zu Rot-Grün, bei den 30 bis 50-jährigen hätte die SPÖ beinahe eine absolute Mehrheit erzielt. JungwählerInnen haben aber knapp zwei Monate später mehrheitlich die ÖVP-Kandidatin Ferrero-Waldner gewählt.
EU-Wahl: Junge wählten rechts und HPM
Am meisten überrascht das Wahlverhalten der jüngeren WählerInnenschichten bei der EU-Wahl, weil bei den unter 30-jährigen eine fiktive Koalition von ÖVP, FPÖ und HPM trotz der SPÖ- und Grün-Gewinne 54 Prozent erreichte.

Hans-Peter Martin hat zum Teil die Ex-JungwählerInnen der FPÖ ansprechen können, die vielleicht nicht (mehr) zur Wahl gegangen wären und auch SPÖ-WählerInnen aller Altersklassen gewonnen. Die Grünen wiederum sind bei den 30- bis 50-jährigen zur dritten Mittelpartei aufgestiegen.
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Mehr Wechselwähler auch bei über 50-Jährigen
Interessant ist die Binnenstruktur der Liste von Hans-Peter Martin, die mehrheitlich von WählerInnen über 50 Jahren gewählt wurde. Das ist ein Novum, ist man doch bisher davon ausgegangen, dass die älteren WählerInnengruppen noch stark traditionsgebunden wählen. Doch auch unter ihnen nimmt die Anzahl der WechselwählerInnen zu, was für die Traditionsparteien ÖVP und SPÖ mit einer starken Überalterung ihrer Wählerschaft zusätzliche Probleme bringt.
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Mobilität der Berufsgruppen
Nach Berufsgruppen ist ein "blue collar-realignment" - d.h. der Rücklauf der ArbeiterInnenschaft zur SPÖ - gegeben, doch hat Hans-Peter Martin die Brüchigkeit dieser Allianz aufgezeigt. Dieser hat bei den ArbeiterInnen der FPÖ den Rang abgelaufen, und konnte sich bei den PensionistInnen sofort an dritter Stelle positionieren.

Das Wahlverhalten für die EU-Wahl sieht die SPÖ mit fast 25 Prozentpunkten Vorsprung unter den ArbeiterInnen voran, 20 Prozent von deren Stimmen für Martin verhinderten jedoch einen klaren Sieg.

Die Grünen waren drittstärkste Partei sowohl bei den AngestelltInnen und BeamtInnen als auch bei den Selbständigen und FreiberuflerInnen.
Letzte Konstanten: Gewerkschaft und Religion
Das stellt eine für allfällige weitere Wahlkämpfe interessante WählerInnen-Mix-Struktur dar und macht vor allem für die SPÖ die Mehrheitsfindung äußerst schwierig. Es gibt aber nur eine scheinbare Re-Stabilisierung im Wahlverhalten der Berufsgruppen.

Die Grenze verschwimmt zusehends, wie etwa die Wahlerfolge der Grünen in der EU-Wahl bei den Selbständigen und FreiberuflerInnen beweisen.

Religiosität (religious voting der ÖVP-WählerInnen) und Gewerkschaftsbindung (union voting der SPÖ-WählerInnen) sind die letzten verblieben Konstanten im österreichischen Wahlverhalten.

[27.12.04]

Zur Analyse des Wahljahres 2004 folgt ein zweiter Teil über die "Partei der NichtwählerInnen".
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Der Text beinhaltet u.a. Überlegungen aus geplanten Publikationen von Peter Filzmaier und Peter Hajek zum österreichischen Wahljahr 2004 in der SWS-Rundschau, Heft 1/2005, Wien: Elbemühl-Verlag bzw. im Österreichischen Jahrbuch für Politik 2004, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 2005.
->   SWS-Rundschau
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Wahlergebnis der Landtagswahl in Kärnten 2004 nach Geschlecht und Alter
 


Angaben in Prozent.
Quelle: Repräsentativumfrage OGM-Politikforschung im Auftrag der Kleinen Zeitung.
Wahlergebnis der Landtagswahl in Salzburg 2004 nach Geschlecht und Alter
 


Angaben in Prozent.
Quelle: Repräsentativumfrage OGM-Politikforschung im Auftrag der APA.
Wahlergebnis der Landtagswahl in Vorarlberg 2004 nach Geschlecht und Alter
 


Angaben in Prozent.
Quelle: Repräsentativumfrage OGM-Politikforschung im Auftrag der APA.
Wahlergebnis Bundespräsidentschaftswahl 2004 nach Geschlecht, Alter und Berufsgruppen
 


Angaben in Prozent.
Quelle: Repräsentativumfrage OGM-Politikforschung im Auftrag des ORF.
Wahlergebnis der EU-Wahl in Österreich 2004 nach Geschlecht, Alter und Berufsgruppen
 


Angaben in Prozent.
Quelle: Repräsentativumfrage OGM-Politikforschung im Auftrag des ORF.
 
 
 
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