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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Wahljahr 2004 (II): Die Partei der Nichtwähler  
  Neben den generellen Trends im Wahlverhalten der Österreicher - analysiert vor wenigen Tagen - drängt sich im Wahljahr 2004 eine weitere Frage auf: Wie erklärt sich die mehrheitlich sinkende Wahlbeteiligung?  
Nicht nur in Vorarlberg Einbruch der Wahlbeteiligung
Nur auf den ersten Blick scheint sich ein dramatischer Einbruch der Wahlbeteiligung - siehe erste Abbildung unten - auf Vorarlberg (minus 27 Prozentpunkte) zu beschränken.

Zu bedenken ist, dass die Vergleichsgrößen für die EU-Wahl (minus 7,0 Prozentpunkte nach einem Einbruch von fast 20 Prozentpunkten zwischen 1996 und 1999) und Salzburg (plus 3,2 Prozent, was auf die Besonderheit dieser Wahl - die ÖVP verlor erst zum zweiten Mal seit 1945 ein Bundesland an die SPÖ - zurückzuführen war) bereits Tiefstwerte darstellten.

Der gemäßigte Rückgang der Wahlbeteiligung in Kärnten (minus 2,4 Prozentpunkte) stand weniger mit einem hohen Interesse für Politik in Zusammenhang als mit der starken Polarisierung rund um Landeshauptmann Jörg Haider.
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In Teil 1 der Wahlbilanz 2004 wurde einigen Trends nachgegangen: So wählten Frauen im Vorjahr in Österreich tendenziell links, Männer rechts. Und auch das Wahlverhalten im Generationen- und Berufsvergleich ließ neue Rückschlüsse zu.
->   Teil 1 der Wahlbilanz 2004 (27.12.04)
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Minus drei Prozent bei Präsidentenwahl täuscht
Der WählerInnenrückgang bei der Bundespräsidentschaftswahl auf rund 71 Prozent ist in Wahrheit größer als nur knapp drei Prozentpunkte, weil 1998 das Interesse aufgrund des Amtsinhaberstatus von Thomas Klestil und durch den Verzicht der SPÖ auf einen Gegenkandidaten schon infolge mangelnder Spannungsmomente sehr gering gewesen war.

Im Vergleich zur letzten offenen Wahl 1992 ergibt sich ein Rückgang von fast zehn Prozentpunkten, bis 1986 hatte die Wahlbeteiligung in Bundespräsidentschaftswahlen noch fast 90 oder mehr Prozent betragen.
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Nichtwähler deklarieren sich selten
Das übliche Problem von NichtwählerInnen-Befragungen ist, dass diese sich selten deklarieren und daher eine kleine Stichprobe mit geringer Aussagekraft zustande kommt. So entpuppt sich die Zahl von fast 60 Prozent NichtwählerInnen in der EU-Wahl als Vorteil für die empirische Wahlforschung.
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Typisch: Jung, wenig Bildung, FPÖ-nah
Der/die typische Nichtwähler/in ist erwartungsgemäß jung, mit formal niedrigem Bildungsgrad und im klassischen FPÖ-Wählersegment beheimatet.

Die ehemaligen FPÖ-WählerInnen, die sich mittlerweile im Wartesaal der Politik befinden, sind für alle Parteien - 2002 für die ÖVP, 2003/04 mit leichter Tendenz zur SPÖ, aber auch wie bei Hans-Peter Martin in der EU-Wahl von neuen Gruppierungen mit Protestorientierung - gewinnbar.
Motive fürs Nichtwählen: Enttäuschung über EU ...
Die Motive der NichtwählerInnen in der EU-Wahl (siehe zweite Abbildung unten) waren durch das Wahlkampfthema Spesenritter und Korruption am stärksten geprägt. Die Enttäuschung über die Europäische Union (76 Prozent Zustimmung) zog sich durch alle Wählerschichten. 61 Prozent hielten alle Parteien bzw. KandidatInnen für unattraktiv.
... geringer Glaube an Demokratie ...
Zu denken gibt besonders die hohe Nennung von "Meine Stimme hat keinen Einfluss auf das politische Geschehen" (von 60 Prozent der Nichtwähler). Im Gegensatz zur Enttäuschung, die vorübergehend sein kann, verdeutlicht das Motiv eine Absetzungstendenz vom demokratischen System.
... bis hin zu Desinteresse
Speziell ehemalige FPÖ-WählerInnen haben diese Einstellung, allenfalls gekoppelt mit politischem Desinteresse, das aber in der gesamten Befragtengruppe der NichtwählerInnen nur an vorletzter Stelle aufscheint (39 Prozent Zustimmung).

Die persönliche Verhinderung rangiert mit 29 Prozent an letzter Stelle, was überrascht, da die Befragten manchmal zu einer solchen "Ausrede" tendieren.

Eine ORF-Wahltagsbefragung für die Bundespräsidentschaftswahl hat ein ähnliches Ergebnis gebracht, als nur 17 Prozent angaben, persönlich verhindert gewesen zu sein.
Negativ-Wahlkämpfe verstärken Phänomen
Der/die NichtwählerIn ist demzufolge enttäuscht von der Politik, hält keine Wahloption für attraktiv und/oder ist der Meinung, politisch ohnmächtig zu sein. Hinzu kommt (s)ein Informationsdefizit.

Negativthemen als zunehmendes Charakteristikum des politischen Wettbewerbs in Österreich färben auf die politischen Akteure ab, da sie Teil des von den NichtwählerInnen als korrumpiert angesehenen politischen Systems sind.

Es gibt Desillusionierungsprozesse, eine als sehr gering empfundene Problemlösungskompetenz der Politik und einen Rückgang der politischen Partizipation, die über punktuelle Wahl(nicht-)beteiligungen hinausreicht.
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Der Text beinhaltet u.a. Überlegungen aus geplanten Publikationen von Peter Filzmaier und Peter Hajek zum österreichischen Wahljahr 2004 in der SWS-Rundschau, Heft 1/2005, Wien: Elbemühl-Verlag bzw. im Österreichischen Jahrbuch für Politik 2004, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 2005.
->   SWS-Rundschau
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Wahlbeteiligung in Österreich 2004 im Vergleich
 


Motive der NichtwählerInnen, EU-Wahl in Österreich 2004
 


Angaben in Prozent.
Quelle: Repräsentativumfrage OGM-Politikforschung im Auftrag des ORF.
->   Alle Beiträge von Peter Filzmaier in science.ORF.at
 
 
 
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