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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Die Fernsehdemokratie? Politisches Informationsverhalten im Wahlkampf  
  Mehr als 99 Prozent der österreichischen Haushalte verfügten 2006 über zumindest ein Fernsehgerät, doch lediglich in 80 bis 85 Prozent der Haushalte wird eine Tageszeitung gekauft bzw. abonniert. Österreicher sehen im Durchschnitt fast drei Stunden täglich - 2005: 166 Minuten - fern. ORF-Programme werden im Tagesdurchschnitt knapp eineinhalb Stunden (80 Minuten) gesehen.  
Generell, d.h. unabhängig von der Wahlkampfzeit, beziehen etwa drei Viertel der Österreicher auch ihre politischen Informationen überwiegend aus dem Fernsehen bzw. bezeichnen das Fernsehen als wichtige politische Informationsquelle.
TV: Erste Quelle für politische Informationen
Zeitungen und Radio folgen trotz der Möglichkeit von Mehrfachnennungen mit deutlichem Abstand und in den letzten Jahrzehnten mit radikal sinkender Tendenz.

Rund 50 Prozent halten das Fernsehen, das trotz einer Verschlechterung seit den 1970er Jahren deutlich vor den Zeitungen (nur knapp 15 Prozent!) rangiert, für besonders glaubwürdig.
Beispiel: NR-Wahlkampf 2006
Konkret auf die Zeit des Nationalratswahlkampfs 2006 bezogen ergibt sich folgendes Bild der politischen Informationsbeschaffung:
71 Prozent favorisierten das Fernsehen
Nach der Wichtigkeit liegt das Fernsehen 16 Prozentpunkte vor den Tageszeitungen. 71 Prozent der Wähler bzw. Wahlberechtigten nannten es im Nationalratswahlkampf als wichtige Informationsquelle, während nur 55 Prozent dasselbe von Tageszeitungen behaupteten.

Am wichtigsten ist das Fernsehen - mit allerdings nicht extremen Abweichungen - für Wähler der traditionellen Großparteien ÖVP und SPÖ, für Frauen, für ältere Menschen und in ländlichen Gebieten.
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Politische Informationsbeschaffung
Die Befragungsergebnisse sind als Download verfügbar (s. Link). Die Fragen lauteten: Was waren für Sie die wichtigsten Informationsquellen im Nationalratswahlkampf? (Mehrfachnennungen in Prozent, Seite 1) Welche Informationsquelle halten Sie dabei für am glaubwürdigsten? (Einzelnennungen in Prozent, Seite 2) Auf eine Aufschlüsselung nach Kleinparteien (BZÖ, MATIN und KPÖ) wurde wegen der geringen Fallzahl verzichtet.

Quelle: Österreichische Gesellschaft für Marketing (OGM) / Donau-Universität Krems, kumulierte Daten aus Vorwahlbefragungen und Zeit im Bild-Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF.
->   Tabellen (PDF-File)
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Fernsehen ist doppelt so glaubwürdig
Das Fernsehen ist subjektiv mindestens doppelt so glaubwürdig wie Zeitungen. Während es kaum geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, nimmt - auf die Politikberichterstattung zur Nationalratswahl 2006 bezogen - die Vertrauenswirkung des Fernsehens allerdings mit steigendem Lebensalter ab: so von 38 Prozent als glaubwürdigste Quelle für die unter 30-jährigen auf 28 Prozent für die über 50-jährigen.
Größtes Misstrauen bei Pensionisten
Bezogen auf Berufsgruppen kann vereinfacht festgestellt werden, dass primär Pensionisten dem Fernsehen misstrauen. Regional vertrauen Landbewohner dem Fernsehen mehr als Städter.

Nach der Parteipräferenz ist das Fernsehen bei ÖVP- und FPÖ-Anhängern (für jeweils rund 40 Prozent) am glaubwürdigsten, doch rangiert die den ORF im Vorwahlkampf scharf kritisierende SPÖ nur knapp dahinter. Deutlich geringer ist die Glaubwürdigkeit des Fernsehens bei Anhängern der Grünen.
"Grün-Wähler" vertrauen Tageszeitungen
Im teilweisen Gegensatz dazu ergeben sich für Tageszeitungen kaum Differenzen der politischen Glaubwürdigkeit nach dem Alter oder der Region.

Auffallend sind lediglich die signifikant hohen Vertrauenswerte der Tageszeitungen unter den Grün-Anhängern, welche in dieser Gruppe an jene des Fernsehens heranreicht.
Radio und Internet: Eine Ergänzung
Als Massenmedien lediglich ergänzende Funktionen für die politische Informationsvermittlung leisten neben Fernsehen und Zeitungen das Radio und das Internet.

Weniger als ein Viertel bezeichnen das Radio als wichtige Quelle, zehn Prozent - wiederum mit sehr vielen (jüngeren) Grün-Anhängern - das Internet. Beide Medien haben zugleich unter städtischen Wählern die höchsten Glaubwürdigkeitswerte.

Besonders beeindruckend ist allerdings, dass sowohl hinsichtlich der Wichtigkeit von politischen Informationsquellen als auch bezogen auf ihre Glaubwürdigkeit persönliche Gespräche fast gar keinen Stellenwert haben. Die Zahl der entsprechenden Nennungen ist mit höchstens zwei Prozent und häufigen Leermeldungen statistisch nicht erfassbar.
Begriff "Fernsehdemokratie" veranschaulicht
Selten wurde der Begriff Medien- bzw. Fernsehdemokratie anschaulicher dokumentiert. Doch Vorsicht: Daraus folgt nicht zwangsläufig, dass sich auch das Wahlverhalten vor allem via Massenmedien beeinflussen lässt.

Im Gegenteil: Es wäre interessant zu prüfen, inwieweit "Politikverdrossenheit", welche vorwiegend eine Parteien- und Politikerverdrossenheit ist, auch aus einer politischen Medienverdrossenheit resultiert.

[28.12.06]
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Lesetipp
Zum diesem Thema erschien kürzlich ein Buch mit dem Titel "Mediendemokratie Österreich" von Peter Filzmaier, Peter Plaikner und Karl A. Duffek (Hg.), Wien: Böhlau-Verlag 2007.
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