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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft .  Technologie 
 
E-Voting: Zur Versachlichung eines Grundsatzstreits  
  Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF) bzw. der Minister und das Vorsitzteam im StudentInnenparlament sind, gelinde gesagt, nicht einer Meinung. Das ist weder neu noch wäre es angesichts der jeweiligen Parteifarben eine tiefere Analyse wert. Überraschender ist der Anlassfall, nämlich für und wider eine Stimmabgabe per Mausklick.  
Diese soll 2009 bei den Wahlen der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) erstmals möglich sein. Oder auch nicht.

Verblüffend ist dabei die Rollenverteilung: Der Minister ist dafür und hofft auf eine erhöhte Wählbeteiligung, die 2007 von weniger als 30 Prozent der wahlberechtigten Studierenden gewählte ÖH ist dagegen.
Diskurstypen: Agnostiker vs. Apokalyptiker
Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft sind AnhängerInnen und SkeptikerInnen elektronischer Demokratiemodelle zu unterscheiden.

Deren Diskurs ist seit Jahren so heftig, dass er sogar in der Fachliteratur zu nicht sehr wissenschaftlich klingenden Typenbezeichnungen führte: "Agnostiker" würden radikale Thesen vertreten, dass u.a. E-voting der Inbegriff demokratiepolitischer Ideale wäre.

Demgegenüber sprechen "Apokalyptiker" von einer Neudefinition von staatlicher Regulationsmacht und/oder dem Ende des freien und geheimen Wahlrechts. Eine dritte Gruppe bilden "Neutralisten", die sich als distanzierte AnalytikerInnen verstehen.
Beginnende Parteienschlacht
Letztere sind in der Minderheit, obwohl eine sachliche Gegenüberstellung der Argumente nicht schaden kann und einer politischen Instrumentalisierung der Wissenschaft vorbeugt.

Diese ist angesichts einer beginnenden Schlacht der Presseaussendungen seitens der Parteisekretariate rund um das elektronische Wählen leider zu befürchten, weil nach dem dortigen Tenor Joe Kalina (SPÖ) jeden Gegner und Hannes Missethon (ÖVP) jeden Befürworter skrupellos vereinnahmen wird.

Dem (skeptischen) Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes ist das schon passiert.
Forschungsstand ist differenzierter
Gibt es eine grundsätzliche Verfassungswidrigkeit von e-voting - seitens der ÖH wird in einer Presseaussendung auf den Wiener Rechtswissenschaftler Heinz Mayer verwiesen -, so würde sich freilich jedwede Debatte erübrigen.

Wenn Stimmabgaben nicht frei und geheim erfolgen - also von Dritten beeinflusst werden -, ist in einer Demokratie kein weiteres Abwägen von Standpunkten zulässig. Der juristische Forschungs- und Publikationsstand ist allerdings ungleich umfangreicher und differenzierter als in der oben zitierten Aussendung.

Beispielhaft können zum Thema bereits von 2002 bis 2004 u.a. Veröffentlichungen von Particia Heindl als damalige Juristin an der Wirtschaftsuniversität Wien mit einem Arbeitsschwerpunkt e-voting angeführt werden.
Vorbilder in anderen Ländern
Hinzu kommt ein realpolitisches Folgeproblem: Wäre das verfassungsrechtliche Argument vom E-voting als weder freie noch geheime Wahl richtig, müssten längst und regelmäßig sowie mit voller Rechtsgültigkeit durchgeführte elektronische Wahlen von den USA bis Estland und von deutschen Hochschul- bis Betriebsratswahlen als Unterminierung jedweden Demokratieanspruchs gesehen werden. Verfassungen mögen extrem unterschiedlich sein, jedoch nicht bei den elementarsten Wahlgrundsätzen.
Unverrückbare Verweigerung?
Die von der ÖH vertretene Rechtsmeinung wäre im Fall ihrer Richtigkeit außerdem für ewig unverrückbar. Verfassungen können mit qualifizierter Mehrheit und/oder durch Volksabstimmungen geändert werden, doch selbstverständlich nicht in einer Existenzfrage der Demokratie. Selbst wenn überall in der Welt als Konsequenz von Modernisierungsprozessen E-voting eingeführt wird, müssten Österreichs Universitäten sich dem verweigern.
Hypothese: "Unpolitische" wählen eher bürgerlich
Die Politikwissenschaft als kritische Analyse von Machtverhältnissen stellt in ihrer Wahlforschung eine andere Frage: Qui bono? Ausgangshypothese dafür ist, dass der Wissenschaftsminister mit E-voting und einer allenfalls höheren Wahlbeteiligung sich mehr Stimmenanteile für ihm nahestehende Gruppen erhofft, während das ÖH-Vorsitzteam eben das befürchtet.

Studierende, welche unter ÖH mehr ein Service- und Dienstleistungsorgan verstehen, sind bislang seltener und könnten infolge einer durch E-voting erleichterten Stimmabgabe bald häufiger zur Wahl gehen.

Stimmt es, dass politisch besonders interessierte Studierende mehr dem rot-grünen Lager (sowie den Fachschaftslisten) ihre Stimme geben und weniger Politikinteressierte bürgerlich-konservative Gemeinschaften wählen, so sind die daraus folgenden Argumentationslinien naheliegend.
Empirische Belege fehlen
Wenn es keine Geheimstudien gibt, fehlt trotzdem dafür der empirische Beleg. Zwar meinen etwa in einer Pilotstudie der Donau-Universität Krems zur Politischen Bildung bis zu ein Drittel der bis 24-jährigen im Fall von E-voting wahrscheinlicher zu einer Wahl zu gehen, doch wurde das weder speziell für ÖH-Wahlen bzw. Studierende abgefragt noch ergibt eine Aufschlüsselung dieser Gruppe nach Parteipräferenzen signifikante Werte.
Kaum Motivation von NichwählerInnen
Auch in größeren Zusammenhängen ist nicht bewiesen, dass E-voting automatisch NichtwählerInnen motiviert.

Wenn die Wahlbeteiligung nach dem erstmaligen Mausklick nachweislich gestiegen ist, konnte ein entsprechender Kausalzusammenhang nur manchmal belegt werden.

In Estland - wo Wahlberechtigte 2005 in der Parlamentswahl ihre Stimme via Internet abgeben konnten - betrug die Beteiligung insgesamt bloß 47 Prozent. Lediglich zwei Prozent haben online gewählt. Darunter befanden sich viele BürgerInnen, welche auch sonst ihren Zettel in die Wahlurne geworfen hätten.
Insgesamt mehr E-participation ...
Die Daten sind demnach weniger klar, als es der Minister sich wünscht. E-voting muss sich im Fall seiner Einführung a) als Langzeitprojekt für mehr demokratische Beteiligung verstehen, und macht b) Sinn, wenn es in größere Gesamtprojekte für E-participation eingebunden wird.

Es ist eine politikwissenschaftliche Grundregel, politische Partizipation und Demokratiequalität bzw. -zufriedenheit nicht allein anhand von Prozentzahlen der Wahlbeteiligung zu messen.
... und politische Bildungsarbeit notwendig
Das von der ÖH gegen E-voting vorgebrachte Argument einer Verletzung der unbeeinflussten Stimmabgabe ist auch jenseits der Rechtsfragen heikel. Es unterstellt, dass Studierende als Wählerschaft politisch so labil sind, sich vom starken Wort einer Bezugsperson anweisen zu lassen. Bei jeder Wahlmethode gibt es Irrtums- und Manipulationswahrscheinlichkeiten, auch in Wahlkommissionen kann der menschliche Faktor diese erhöhen.

Unbestreitbar richtig ist jedoch, dass beim E-voting für DurchschnittsbürgerInnen technische Diskussionen über Irrtümer und Manipulationen oft nicht nachvollziehbar sind. Die Wahlbeteiligung könnte sich daher erhöhen, während die Transparenz des Wahlprozesses als wichtigeres Merkmal der Demokratiequalität leidet.

Das ist weder ein endgültiges für oder wider E-voting, sondern vor allem ein Auftrag für mehr politische Bildungsarbeit, mit dem sich hoffentlich sowohl BMWF als auch ÖH anfreunden können.

[7.11.07]
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   E-Voting: Test bei Bundespräsidentenwahl (26.4.04)
->   E-Voting: Erste Internet-Wahl Österreichs an der WU (12.5.03)
->   Alle Beiträge von Peter Filzmaier in science.ORF.at
 
 
 
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