Host-Info
null
 
ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Politisches Denken von Lehrern und Schülern
Ähnliche Ansichten, unterschiedliche Themenwünsche
 
  Was Schüler und Schülerinnen politisch denken, auch welche Art von politischer Bildung sie haben wollen, ist durch Studien schon länger bekannt. Was ihre Lehrer und Lehrerinnen denken, hat nun eine aktuelle Untersuchung ermittelt. Entgegen landläufigen Vorurteilen sind ihre politischen Ansichten nicht radikaler als jene ihrer Schüler. Von Parteien halten sie ähnlich wenig wie ihre Schützlinge. Zum Teil massive Unterschiede gibt es aber bei den Vorstellungen, welche Themen in politischer Bildung behandelt werden sollten.  
Zum sechsten Mal Aktionstage
Vom 23. April bis zum 9. Mai dieses Jahres finden in Österreich zum sechsten Mal Aktionstage Politische Bildung mit zahlreichen (Schul-)Projekten statt. An unseren Schulen gibt es seit 1978 ein Unterrichtsprinzip Politische Bildung, das in allen Schultypen, -fächern und -stufen vermittelt werden soll.

Vor dem Hintergrund der 2007 erfolgten Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre soll Politische Bildung auch bei den Unterrichtsgegenständen und in den Lehrplänen gestärkt werden. Die Demokratieinitiative von Unterrichts- und Wissenschaftsministerium für Jugendliche befindet sich in ihrem zweiten Jahr.
->   Aktionstage Politische Bildung
->   Demokratieinitiative
Kaum erforscht: Was denken die LehrerInnen?
Im Bereich Politische Bildung tut sich also sehr viel. Kurioserweise wurde bisher kaum erforscht, was LehrerInnen als hauptsächliche Politikvermittler über Politik und Politische Bildung denken. Zwar gibt es subjektive Erfahrungswerte und Einzelevaluationen, jedoch keine systematischen Daten insbesondere über die Sichtweise der LehrerInnen zur Politischen Bildung in der Schule und ihrer Umsetzung im Unterricht.

Mehr noch: LehrerInnen sind mit Vorurteilen aller Art, etwa dass sie in ihrer politischen Bildungsarbeit rote oder schwarze Manipulatoren zur parteipolitischen Machterhaltung wären, konfrontiert.

Demgegenüber steht höchstens eine ebenso stereotype Unterstellung, es gäbe angeblich unter den LehrerInnen verdächtig viele Links-linke oder gar Restbestände rechter Recken, welchen man Politische Bildung nicht anvertrauen dürfe.
Aktuelle Studie gibt Aufschluss
Doch welche grundsätzlichen Ansichten haben LehrerInnen wirklich über Demokratie, Politik und Politische Bildung? Und: Was sind aus Sicht der LehrerInnen zentrale Themen und Anliegen in der Politischen Bildung?

Diese beiden Forschungsfragen stehen im Mittelpunkt einer aktuellen Studie des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK).
...
Die Studie
Peter Filzmaier, LehrerInnen und Politische Bildung, unveröffentlichter Forschungsbericht im Auftrag des Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Krems/Wien 2008.
...
Vier Haupterkenntnisse
Aus den in Auswertung befindlichen Ergebnissen stechen vor allem vier Dinge hervor:

LehrerInnen sind weder bessere noch schlechtere Demokraten als Ihre SchülerInnen und der Rest der Bevölkerung. Sie sind auch nicht politisch interessierter oder desinteressierter.

LehrerInnen sind im Umkehrschluss nicht(!) generell von der Politikverdrossenheit erfasst, jedoch in hohem Maße von Politikern und Parteien verdrossen, was ihren Unterricht ungleich mehr beeinflusst als die fälschlich behauptete Parteilichkeit.

LehrerInnen haben trotzdem massive Probleme im Umgang mit ihrer politischen Identität.

LehrerInnen haben zum Teil völlig andere Themenvorstellungen in der Politischen Bildung als ihr schulisches Zielpublikum.
LehrerInnen mit Demokratie so zufrieden wie SchülerInnen
Insgesamt ist eine klare Mehrheit von über zwei Drittel (69 Prozent) der LehrerInnen mit der Demokratie sehr oder etwas zufrieden. Das entspricht exakt den Werten für Jugendliche aus einer vorjährigen Parallelstudie (Pilotstudie "Jugend und Politische Bildung")

Genauso ist in beiden Gruppen rund ein Viertel (28 bzw. 23 Prozent) mit der Demokratie nicht besonders zufrieden. Auch hinsichtlich des politischen Interesses - bis zu zwei Drittel behaupten jeweils, sich sehr oder wenigstens etwas für Politik zu interessieren - gibt es überraschend geringe Abweichungen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen.

Die Daten passen auch zu jahrelangen Daten von Umfragen unter Erwachsenen. Allerdings ist die Hälfte der LehrerInnen mehr oder minder überzeugt, ihre SchülerInnen seien uninteressiert.
->   Pilotstudie "Jugend und Politische Bildung"
Demokratiezufriedenheit von Jugendlichen, LehrerInnen und österreichischen Erwachsenen im Vergleich
 
Grafik: Peter Filzmaier, Quelle: OGM

Quelle: Österreichische Gesellschaft für Marketing (OGM); Angaben in Prozent.
Gegenüber Parteien sehr kritisch eingestellt
Es zeigte sich zudem eine unter LehrerInnen sehr kritische Einstellung gegenüber PolitikerInnen und Parteien. Erwartungsgemäß bestehen große Berührungsängste mit der Parteipolitik, die in ihrer Intensität dennoch überraschen.

Das führt dazu, dass Auseinandersetzungen mit der (Partei-)Politik im Unterricht vermieden, und im Zweifelsfall wider besseres inhaltliches Wissen andere Themenzugänge gewählt werden.

Paradox ist etwa, dass PolitikerInnen in einem Amt - etwa als BezirksvorsteherIn oder BürgermeisterIn usw. - betont neutral dargestellt und nicht als (partei-)politische Menschen angesehen werden. Die Entpolitisierung ist latent gefährlich, weil sie das kritische Bewusstsein schmälert und den Autoritätsglauben fördert.
Scheu vor Kontakt mit PolitikerInnen
Umgekehrt werden Parteien und ParteipolitikerInnen in klischeehafter Form und ohne ausreichenden Sachbezug übertrieben negativ dargestellt. Das ist insofern von Interesse, als SchülerInnen bzw. Jugendliche gemäß der erwähnten Parallelstudie durchaus den verstärkten (sachbezogenen!) Dialog mit PolitikerInnen wünschen, von den LehrerInnen jedoch eine große Scheu des Kontakts mit PolitikerInnen besteht.
Schon Begriff der "Politischen Bildung" problematisch
Bereits die Begrifflichkeit von Politische Bildung ist offenbar problematisch und erzeugt Irritationen bei den LehrerInnen, sowie nach deren Aussage auch unter Eltern und SchülerInnen.

Mehrmals wird eine Begriffsänderung von den LehrerInnen angesprochen, wobei als Negativdefinition neue Begriffe sich von Parteipolitik und Indoktrinierung, jedoch auch vom Image der Politischen Bildung als verstaubte Institutionenlehre, lösen müssten.

Vielleicht wäre für Politische Bildung Demokratie als positiv besetztes Wort in einem entsprechenden Unterrichtsfach und -prinzip passender als der polarisierende Wortstamm Politik.
Lähmende (Schein-)Objektivität
Noch stärker ist die extreme Unsicherheit der LehrerInnen im Umgang mit der eigenen politischen Position ("Man kann in der Klasse ja keine Meinung vertreten, sondern muss aufpassen, was man sagt!"). Das ist der Grund dafür, dass einige LehrerInnen mit großer Skepsis und Ängsten sich der Politischen Bildung und ihrem Unterrichtsprinzip nähern.

An dieser Stelle wäre mit konkreten Maßnahmen, die über Fachschulungen hinausreichen, anzusetzen. In der Aus- und Weiterbildung müsste man verstärkt Wert darauf legen - allenfalls empfehlende Richtlinien erstellen -, was den Umgang mit persönlichen politischen Meinungen im Unterricht betrifft.

Derzeit dominiert anstatt von Transparenz zu oft die unrealistische Vorstellung einer (Schein-)Objektivität, welche aufgrund der Unmöglichkeit zur teilweisen Inaktivität führt.
Unterschiedliche Prioritäten ...
Eine Zweidrittel-Mehrheit der LehrerInnen meint übrigens, dass im Bereich Politische Bildung noch zu wenig getan wird. Nur eine verschwindende Minderheit von vier Prozent sieht zu viele Initiativen der politischen Bildungsarbeit. Das deckt sich durchaus mit den Meinungen der Jugendlichen, doch hinsichtlich der gewünschten Themen, wo Defizite des Umfangs der Politischen Bildung geortet werden, gibt es zum Teil dramatische Abweichungen:

Klare Spitzenreiter unter den Jugendlichen als häufiger zu behandelnde Wunschthemen sind die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie die Integration von AusländerInnen. Bei den LehrerInnen hingegen liegen diese Themen in einer Rangordnung, was zu selten oder gar nicht behandelt wird lediglich an fünfter und achter Stelle.

Der Rest behauptet das wäre "(sehr) oft" der Fall. Mit anderen Worten in Zahlen ausgedrückt: Während fast die Hälfte der SchülerInnen zumindest in der Quantität der Themenbehandlung von Geschlechtergleichheit und Integration Defizite im Unterricht ortet, sind bis zu 70 Prozent der LehrerInnen gegenteiliger Meinung.
... bei Geschlechtergleichheit, NS-Zeit und Internet
Demgegenüber meint rund die Hälfte der LehrerInnen (51 Prozent), dass zeitgeschichtliche Themen zu wenig Berücksichtigung finden. Bei Wahlen sind es mit 49 Prozent nahezu ebenso viele.

Bei den Jugendlichen meinen hingegen bis zu drei Viertel, dass die Themen Zeitgeschichte - als Zeit des Nationalsozialismus in Österreich abgefragt - und Wahlen ausreichend behandelt werden. Lediglich bei der Globalisierung ist die Einschätzung einer genügenden oder ungenügenden Beschäftigung damit bei SchülerInnen und LehrerInnen annähernd gleich.

(Neue) Medien sind ein Thema, wo ebenfalls für nur rund ein Viertel der Jugendlichen nicht genug getan wird. Diametral dazu sind Fragen von Internet und Demokratie unter LehrerInnen (für 66 Prozent) jenes Thema, das am häufigsten als zu selten besprochen angesehen wird. Weniger auffallend sind die Abweichungen beim EU-ropa-Thema und aktuellen Ereignissen, welche dennoch viel häufiger von LehrerInnen als unterrepräsentiert gesehen werden.
Lehrplan muss darauf reagieren
LehrerInnen und ihre SchülerInnen haben demnach stark divergierende Themenprioritäten und ein unterschiedliches Empfinden der Themenwichtigkeit.

Konzepte der Politischen Bildung werden sich damit auseinander setzen müssen, was prioritär berücksichtigt werden soll, um entweder verstärkt auf die Wünsche der SchülerInnen einzugehen oder vor allem von den berufserfahrenen LehrerInnen empfundene Themendefizite auszugleichen.

[23.4.08]
->   OGM
->   Alle Beiträge von Peter Filzmaier in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick