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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Aktionstage Politische Bildung 09
Eine positive Bilanz
 
  Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Die Aktionstage Politische Bildung - 2009 vom 23. April bis zum 9. Mai - haben in ihrer siebenjährigen Lebenszeit einen langen Weg zurückgelegt.  
Am Anfang stand die Frage, was Politische Bildung überhaupt ist und sein soll (siehe Politische Bildung: Was ist das?). Von Möchtegern-Faschisten und Nostalgie-Kommunisten abgesehen war niemand dagegen, doch ist kaum ein Begriff derartigen Gefahren der Verallgemeinerung und Beliebigkeit ausgesetzt.
Mündigkeit fördern
In der Folge standen die Aktionstage, in ihrer ehrenwerten Absicht unbestritten, analog zur Politischen Bildung generell vor der Frage, was diese bringt (siehe Politische Bildung: Was bringt das?). Schließlich ist das Ausmaß der Zielverwirklichung nicht in Metern oder Sekunden messbar.

Kein Gradmesser sind jedenfalls Wahlergebnisse und Wahlverhalten, ob Partei A oder B so und so viele Stimmen erhalten. Politische Bildung ist politisch und nicht parteipolitisch, sie litt ohnehin genug unter dem jahrzehntelangen Vorwurf der Parteilichkeit. Es geht darum, mündige BürgerInnen mit eigenständiger Meinungsbildung zu fördern. Gelingt das, so disqualifizieren sich unabhängig von der Parteifarbe manche politischen Handlungen selbst.
Initiativ bis zu den Neuwahlen
2009 ist Politische Bildung mehr ein Thema als jemals zuvor, und somit im öffentlichen Bewusstsein vergleichsweise breitenwirksam als notwendig und wichtig verankert. Zwar schloss sich die vorletzte Bundesregierung ihrer eigenen Demokratieinitiative für junge Menschen (siehe entscheidendbistdu.at) offenkundig nicht an und ver-endete in vorgezogenen Neuwahlen - doch dafür können weder die Initiative noch die Politische Bildung etwas.
Negativimage und positive Bilanz
Im Gegenteil überdeckt(e) das Negativimage des Wortes Politik eine durchaus positive Bilanz der Politischen Bildung, welche vielleicht wegen Irrtumsgefahr ihren Namen wechseln sollte. Jedwede Begriffsbezeichnung mit dem Wortteil Demokratie wäre womöglich besser. Doch unter dem alten Titel Politische Bildung kann diese heuer einige Entwicklungen stolz vorweisen:
Unterrichtsfach etabliert
Als dringende Notwendigkeit gibt es inzwischen das Unterrichtsfach Geschichte und Politische Bildung flächendeckend in der 8. Schulstufe. Es kam somit zu einer Vorverlegung und Verstärkung der Inhalte politischer Bildungsarbeit. Die 8. Schulstufe für 14-jährige ist der letzte Jahrgang, in dem alle Schüler in Hauptschulen oder AHS-Unterstufen erfasst werden.

An AHS etwa waren zuvor die Lehrplan-Schwerpunkte Politische Bildung in der Maturaklasse vorgesehen. Je nach Verlauf von Wahl- und Legislaturperioden hätten da manche Adressaten bereits bis zu fünfmal (Gemeinderat und Bürgermeister, Landtag, Nationalrat, Europäisches Parlament und Bundespräsident) ihre Volksvertreter gewählt.
Universitäre Verankerung
Wenn Politische Bildung gelehrt wird, sollte das bestmöglich geschehen. 2009 gibt es erstmals in Österreich eine universitäre Professur für Didaktik der Politischen Bildung.

Bislang verstanden von PolitikwissenschaftlerInnen über DeutschlehrerInnen bis zu HistorikerInnen darunter alle, was sie wollten - natürlich durchaus fachkompetent, und trotzdem oder gerade deshalb (zu) sehr vom disziplinären Blickwinkel geprägt und/oder durch Organisationsstrukturen der jeweiligen Bildungsinstitution als Arbeitgeber eingeschränkt.

Schwerpunkt der Professur ist es, als Schnittstelle mit dem Unterrichtsministerium, Pädagogischen Hochschulen und Lehrerinitiativen Politische Bildung an Schulen optimal zu gestalten. Denn es ist alles andere als leicht, etwas zu unterrichten, das mit Politik zu tun hat.

Die Mehrzahl der Pädagogischen Hochschulen hat ebenfalls auf die Intensivierung und Vorverlegung eines Schulfachs mit Politischer Bildung reagiert, und bietet Seminarreihen bzw. Lehrgänge zur Fortbildung an. Ziel muss es sein, in einem ersten Schritt möglichst allen LehrerInnen des neuen Faches ein Fortbildungsangebot zu machen.
Von den Fakten zur Kompetenz
Das Faktenwissen über politische Systeme und Prozesse ist arbeitstechnische Voraussetzung für Politische Bildung, nicht mehr und nicht weniger.

Inhaltlich wurde 2008 deshalb ein Kompetenzmodell entworfen, welche ganzheitlichen und nachhaltigen Ziele von der Sach- über die Urteils- und Handlungs- bis zur Methodenkompetenz Lehrende und Lernende in der Politischen Bildung haben sollen (siehe Informationen Politische Bildung, Nr. 29).

"Last but not least" gibt es unverändert das Unterrichtsprinzip Politische Bildung, das in allen Schultypen für alle Altersgruppen und Unterrichtsfächer gilt. Unterrichtsfach und Unterrichtsprinzip - niemals "oder"! - sind von entscheidender Bedeutung, weil nur dadurch sowohl den Kerninhalten der Politischen Bildung als auch fachübergreifend ihrem interdisziplinären Charakter Genüge getan wird.
Problembereiche
Nicht einmal für Siebenjährige (und demnach auch nicht für die Aktionstage Politische Bildung) ist freilich alles Gold, was glänzt. Positive Gesamtbilanzen der Politischen Bildung dürfen daher nicht über unveränderte Defizite und Problembereiche hinwegtäuschen:
Bildung für Lehrlinge
Daten aus Jugendstudien (siehe u.a. hier) zeigen sehr klar, dass es eine unzulässige Medienvereinfachung ist, stets nur von der Politikverdrossenheit der 16- bis 18-jährigen zu sprechen.

Wo immer das System Schule - mit allen Stärken und Schwächen - Politische Bildung vermittelt, wird politisches Interesse nachweislich gefördert. Die wahre Problemzielgruppe sind junge Erwachsene bis 30 Jahre, welche jenseits der Universitäten im Regelfall von keiner Bildungsinstitution erfasst werden.

Dringend notwendig ist mehr Politische Bildung für Lehrlinge - diese sitzen nur einen Tag pro Woche bzw. wenige geblockte Wochen in der Schule - und junge Erwachsene. Naheliegende Schlussfolgerung ist der Ruf nach Kooperationen mit der außerschulischen Jugendarbeit sowie den Sozialpartnern.
Angebote für Sozialarbeiter?
Politische Bildung hat in den letzten Jahren einen Forschungs- und Publikationsschub erlebt. Doch es fehlt immer noch an genug niederschwelligen Materialien für die politische Bildungsarbeit, vieles ist "nur" für MulitplikatorInnen und somit mittelbar geeignet.

Neben den halbjährlichen Informationen für Politische Bildung gibt es heuer etwa ein entsprechendes Themenheft der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft - aber was wird beispielsweise unmittelbar für Jugendsozialarbeiter als unbestreitbare Vermittler von Politischer Bildung angeboten?
Hingehen, wo es weh tut
Die politische Bildungsarbeit erreicht zu sehr immer dieselben Menschen, und das sind meistens keine undemokratischen Risikogruppen. Politische Bildung müsste mehr und häufiger dorthin gehen, wo es weh tut - nicht in Elite-AHS, sondern in Jugendgefängnisse.

Weniger polemisch ausgedrückt: Es ist der Wirkungsbereich der politischen Bildungsarbeit auf allen Ebenen zu erweitern, um sich bislang verweigernde Zielgruppen anzusprechen. Dafür sind Tabubrüche notwendig. So müssten neben den engagierten LehrerInnen jene mit weniger Engagement zur Politische Bildung (Aus- und Fort-Bildung) verpflichtet werden. Angesichts der momentanen Stimmung zwischen Unterrichtsministerin und Lehrergewerkschaft ein mehr als heikles Unterfangen.

Zu überlegen wäre eine positive Diskriminierung. Politische Bildung könnte und sollte anlässlich der Aktionstage Politische Bildung (noch) mehr Unterstützung erhalten als bisher, das jedoch zweckgebunden für Projekte von Organisationen und Personen, welche bisher (zu) wenig Politische Bildung gemacht haben. Für diese müssen verstärkt Anreize gesetzt werden.

[23.4.09]
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Politische Bildung 2009 - Beiträge in Ö1
Ö1 begleitet die Aktionstage Politische Bildung 2009 mit einigen Sendungen bzw. Beiträgen.
Dimensionen - Die Welt der Wissenschaft: "Die Anderen. Konflikte um Geschlecht und Religion. Eine Sendung zu einem Symposion des Demokratiezentrums. Sendetermin: 23.4.09, 19.05 Uhr.
Salzburger Nachstudio: Der Feind in meinem Kopf. Die Entstehung von Feindbildern, deren Instrumentalisierung und mögliche Gegenstrategien. Sendetermin: 29.4.09, 21.01 Uhr.
Wissen aktuell: Serie in "Politische Bildung Österreich", von 4.5. bis 8.5.09; jeweils 13.55 Uhr.
->   Ö1 Programm
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->   Aktionstage Politische Bildung
 
 
 
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