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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Kommunikationsstrategien der Parteien in der Mediendemokratie (I): Die ÖVP  
  Politik ist von einer inhaltlichen Auseinandersetzung zur Medienkonkurrenz geworden. Im Nationalratswahlkampf 2002 und im Zusammenhang mit dem Start der Neuauflage einer schwarz-blauen Regierung präsentierte die ÖVP idealtypische Beispiele medialer Inszenierungen zur Politikvermittlung. In den Regierungsverhandlungen bei der Pensionsreform haben die "Spin-Doktoren" hingegen versagt.  
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Der nachstehende Text stellt die überarbeitete Fassung von Teilen aus Vorträgen des Autors zum Thema "Mediale Inszenierung von Politik" dar. In der kommenden Woche beschäftigt sich Peter Filzmaier mit der politischen Kommunikation der SPÖ.
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Regieren: Eine permanente Kampagne
Regieren ist eine permanente Kampagne, komplexe Inhalte werden laufend auf wenige zentrale Botschaften reduziert. Identische Stehsätze sind aber über einen längeren Zeitraum nicht empfehlenswert, weil das in Österreich aufgrund seiner Kleinräumigkeit und Medienkonzentration als Themen- und Ideenlosigkeit empfunden wird.

Die Kunst ist daher eine Wiederholung der Botschaften ohne Wortgleichheit, sondern im Rahmen einer Themen- und Sprachvariation ohne Abweichung von der Grundstrategie.
Botschaftendreieck: Sichere Zukunft, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit
Nach der Koalitionsbildung mit der FPÖ im Februar 2003 gestaltete die ÖVP für die Regierungsarbeit ein Botschaftendreieck, das aus den Eckpunkten Sichere Zukunft, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit besteht. Am 6. März 2003 sprach Bundeskanzler Schüssel in seiner Regierungserklärung ohne Rückblick auf die gescheiterte ÖVP-/FPÖ-Koalition von 2000 bis 2002 u.a. von "Zukunft braucht Verantwortung" und die ÖVP verwendet bezeichnenderweise den Begriff Pensionssicherung.

Nachhaltige Maßnahmen sind nach ÖVP-Diktion notwendig, um "höchste Lebensqualität zu erhalten". Der Begriff Nachhaltigkeit sollte Maßnahmen wie eine Reform des Pensionssystems erklären, welche von vielen Bevölkerungsgruppen als subjektiver Nachteil empfunden wird. Die Angleichung der Pensionen durch eine Harmonisierung der Systeme würde in das Gerechtigkeitsbild passen.
Strategischer Fehler in der Pensionsdebatte
Kommunikationspolitisch war es für die ÖVP ein strategischer Fehler, in der Pensionsdebatte ihr Botschaftendreieck zu verlassen. Weil Beamtenpensionen nicht gleichzeitig angepasst werden und/oder gar für Politiker Ausnahmeregelungen bestehen, ist Gerechtigkeit als politische Botschaft nicht vermittelbar.

Vor allem ergibt sich für die Arbeitnehmervertreter, für die Opposition, für die FPÖ bzw. für Jörg Haider, und für alle Medien eine perfekte Möglichkeit, durch die Darstellung von Härtefällen den Gerechtigkeitsanspruch zu konterkarieren.
Thema nicht geeignet für Politainment
Die öffentliche Wahrnehmung widerspricht zugleich den Schlagworten einer sicheren Zukunft und der Nachhaltigkeit. Betroffene sehen sich in ihrer Zukunft - Lebensplanung und Existenz im Alter - bedroht, im Gegensatz zu den anschaulichen Härtefällen sind eine komplexe Versicherungsmathematik oder (verfassungs-)rechtliche Details als verkürzte Botschaft zur Erklärung der nachhaltigen Wirkung untauglich.

Mit anderen Worten: Die Pensionsreform ist ein politisches Programm und im Unterschied zur Werbemarke Nulldefizit für die mediale Vermittlung in einer Politainment-Gesellschaft nicht geeignet.
Politik nach Drehbuch vor der Wahl
Es muss im Medienzeitalter Bemühen einer Partei sein, in der politischen Berichterstattung von Fernsehen und Zeitung nicht nur präsent zu sein, sondern Inhalt und Tonalität der Berichte zu steuern. Bundeskanzler Schüssel riskierte kein grenzgängerisches "Alles oder Nichts-Spiel", als er Finanzminister Grasser in das Kompetenzteam der ÖVP aufnehmen wollte, und scheinbar mehrere Tage auf die Zusage warten musste. Es war offensichtlich, dass Schüssel keine öffentliche Blamage durch eine Absage Grassers fürchten musste.

Ein detailliertes Drehbuch sah auf der Basis fester Vereinbarungen vor, sich - zu einem Zeitpunkt, als Gusenbauer, Haupt und van der Bellen ihre Fernsehduelle absolvierten, d.h. die ÖVP kaum ein öffentliches Thema war - tagelang eine hohe Medienpräsenz und absolute Positivberichterstattung zu sichern. Innenpolitische Journalisten wussten das, doch entsprach das Drehbuch auch den Medieninteressen einer dramatisierenden Wahlberichterstattung.
Lücke im Drehbuch in den Regierungsverhandlungen
Nach dem Wahlsieg gab es eine Lücke im Drehbuch: In den Regierungsverhandlungen entstand das Bild eines Koalitionspokers, das anfangs durch das Klischee des in früheren Verhandlungen perfekten Pokerspielers Schüssel, der über alle Optionen verfügte, geprägt war.

Schließlich entstand aber der Eindruck, dass die ÖVP nach vergeblichen Versuchen mit SPÖ und Grünen auf die letztmögliche und ungeliebte Variante mit der FPÖ zurückgreifen musste.
Perfektes Zeitmanagement bei Angelobung
Als Politik nach Drehbuch in Form eines perfekten Zeitmanagements gestaltete sich gleichermaßen die Formierung und Angelobung der ÖVP-/FPÖ-Koalitionsregierung am 27./28. Februar 2003. In Erwartung einer parteiinternen Kritik und eines negativen Medienechos war das Regierungsübereinkommen für den Abend des 27. Februar (Donnerstag) erwartet worden.

Die Einigung erfolgte offiziell jedoch am Vormittag des folgenden Freitags. Für Kritiker waren die Planung von Gegenstrategien und entsprechende Medienauftritte unmöglich, weil unmittelbar nachher die befürwortende Abstimmung in den Parteileitungen durchgeführt wurde. Negative Medienberichte am Donnerstag/Freitag wurden verhindert, weil nur Spekulationen zum Übereinkommen und seinen Inhalten möglich waren.
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Der Tag der Angelobung
Um 15 Uhr wurde eine Pressekonferenz des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel und künftigen Vizekanzlers Herbert Haupt angesetzt. Für 16 Uhr war die Angelobung der Regierung durch den Bundespräsidenten vorgesehen. Nach den Erklärungen von Schüssel und Haupt waren zeitlich nur vier Rückfragen möglich.

Die Medienvertreter waren zum Verlautbarungsjournalismus gezwungen, weil der Produktionsdruck für die Abendsendungen in Radio (Abendjournal 18 Uhr) und Fernsehen (Zeit im Bild 1, 19 Uhr 30) kaum Recherchen ermöglichte, und zwangsläufig Bilder der Angelobung und eine Vorstellung der Regierungsmitglieder im Mittelpunkt standen. Sogar das Regierungsübereinkommen wurde auf der Pressekonferenz nicht verteilt, sondern erst nach 17 Uhr im Internet platziert. Dadurch wurde es erst in einer Sondersendung des ORF um 20 Uhr 15 ein öffentliches Thema, als Schüssel und Haupt sich Journalistenfragen stellten.
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Politisches Time-Out am Wochenende
Naturgemäß - es gibt in den meisten Zeitungen keine Sonntagsausgabe und am Samstag/Sonntag weniger Personal in den politischen Redaktionen von Radio und Fernsehen - standen am Wochenende für die Mehrheit der Österreicher andere Dinge im Mittelpunkt.

Am Montag und Dienstag initiierte die ÖVP konkrete Themendiskussionen (u.a. "weniger Schulstunden für Kinder"), so dass es gelang, eine nach den Meinungsumfragen und durch die Mehrheit der Zeitungskommentare ausgedrückte Ablehnung der wiederholten ÖVP-/FPÖ-Koalition kaum zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung werden zu lassen.
No Win-Situation bei der Pensionsreform
Die Präsentation der Pensionsreform war die zweite gravierende Lücke im Drehbuch, weil anstatt der gewünschten Vermittlung von schmerzhaften Maßnahmen als Sicherung der Zukunft, die ÖVP in eine no win-Situation geraten ist. Ein Durchsetzen der Reform mit knappster Mehrheit und gegen alle Widerstände ist mit einem nachhaltigen Imageverlust verbunden, und Wasser auf die Mühlen des oppositionellen Slogans "Schüssel regiert gegen das Volk".

Ein Nachgeben der ÖVP wird diese als Verlierer erscheinen lassen. Der Verlust der parlamentarischen Mehrheit wäre eine noch größere Niederlage. "Runde Tische" mit Regierung, Opposition und Sozialpartnern sind, wenn erfolglos, nichts Anderes als die mediale Inszenierung nur scheinbarer Dialogbereitschaft. Falls erfolgreich, dokumentieren sie das vorherige Scheitern von Entscheidungsfindung und Politikvermittlung.
Konsens zwischen Regierung und Opposition nötig
Internationale Vergleichsbeispiele zeigen, dass Erfolg (siehe Schweden) oder Scheitern (siehe Griechenland) einer hochkomplexen Reform des Pensionssystems von einem Konsens zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien abhängt.

Angesichts des sperrigen Themas sind die Reformbefürworter in der Formulierung von vereinfachten Botschaften den Kritikern unterlegen. Scheitert ein Kompromiss, ist die Reform aufgrund ihrer mangelnden Vermittelbarkeit durch Kurzbotschaften für jede Regierungspartei eine "Mission Impossible".
->   Sämtliche Beiträge von Peter Filzmaier in science.ORF.at
 
 
 
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