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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Arnie und die Amerikanisierung  
  Es ist unbestritten, dass der Gouverneurswahlkampf in Kalifornien sogar für amerikanische Verhältnisse das Musterbeispiel einer Mediendemokratie darstellte. Schlüsselfaktoren des Triumphes von Arnold Schwarzenegger waren sein medialer Bekanntheitsgrad, perfekte Inszenierungen für das Fernsehen von der Kandidatur in einer Talk-Show bis zur Symbolik des Besens zum Ausmisten, ein idealtypisches Image Building als Ordnung schaffender Terminator und die Reduktion von Themenbotschaften auf I will clean house!.  
Dafür günstige Rahmenbedingungen wie eine schlechte Wirtschaftslage und/oder unzufriedene Wähler mit Sehnsucht nach dem starken Mann gibt es überall. Auch in Europa werden Wahlen über Massenmedien gewonnen bzw. orientieren sich Wahlkampfstrategen an US-Vorbildern.
US-Wahlkampftrends auch in Europa
Zwei Drittel der westeuropäischen Kampagnenmanager, die im Rahmen einer Untersuchung des Politologen Fritz Plassers über den Transfer amerikanischer Wahlkampftechniken befragt wurden, beziehen aus der regelmäßigen Beobachtung der US-Wahlkampftrends Anregungen für die Modernisierung der Wahlkampfpraxis in ihren Ländern.

Jeder zweite österreichische Wahlkampfmanager hat in den letzten Jahren mit einem Politikberater aus den USA professionellen Kontakt gehabt.
Institutionelle Unterschiede als Schutzfunktion
Es stellt sich die Frage, ob uns als Konsequenz der Amerikanisierung ähnliche Wahlkämpfe wie Schwarzeneggers Siegeszug bevorstehen.

In der US-Mediendemokratie gibt es aber Freiräume, die einen auf sein mediales Kommunikationstalent und seine finanziellen Möglichkeiten beschränkten Schauspieler als Quereinsteiger begünstigen, während wenigstens in Österreich institutionelle Barrieren ein Hemmschild vor dem kalifornischen Fall sind.
Unterschiede des politischen Wettbewerbs in USA und Europa
 


Die strukturellen Rahmenbedingungen von Politik und Medien sind in den USA und Europa grundsätzlich verschieden.

Beispielsweise betragen Amtsperioden im US-amerikanischen Repräsentantenhaus zwei Jahre, in den meisten europäischen Demokratien auf Bundes- und Landesebene vier oder fünf Jahre. Eine vorzeitige Amtsenthebung durch eine Unterschriftenaktion oder andere Volksinitiativen kennen wir nicht. Regieren im permanenten Wahlkampfstil wird dadurch in den USA viel intensiver praktiziert als es in Österreich jemals der Fall sein wird.
Verhältniswahlrecht und Parteiendemokratie statt "winner takes all"-Prinzip und Kandidatenzentrierung
Das Wahlsystem der USA ist infolge des personalisierten Mehrheitswahlrechts nach dem "winner takes all"-Prinzip lediglich mit Großbritannien bedingt vergleichbar, während das Verhältniswahlrecht in Österreich, wo trotz Vorzugsstimmen primär Parteien über Listenplätze Mandatsträger festlegen, einer extremen Personalisierung vorbeugt.
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USA: Parteien als lockere Wahlplattformen
Parteien sind in den USA Wahlplattformen mit lockerem Zusammenschluss auf einzelstaatlicher und nationaler Ebene, die "ihren" Kandidaten letztlich nicht bestimmen können. Österreich verfügt unverändert über das in demokratischen Ländern höchste Ausmaß von hierarchisch strukturierten Mitgliederparteien, deren Parteispitze über Kandidaten entscheidet und für Spitzenfunktionen nur parteiintern verankerte Berufspolitiker akzeptiert. Schwarzenegger wäre in jeder Partei als Aushängeschild im Wahlkampf willkommen, würde aber nur als Hinterbänkler für ein einfaches Nationalratsmandat nominiert.
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Fernsehfixierung statt Organisationswahlkampf
Die geringe organisatorische Schlagkraft der Parteien, die geographische Großräumigkeit und die Aussichtslosigkeit, mit traditionellen Wahlkampfformen potentielle Wähler ansprechen zu können, erklären die hochgradige Fernsehfixierung von Wahlkampfstrategen in den USA und in Kalifornien als deren größtem Staat.

Frühere Formen des Organisationswahlkampfes (landesweite "Veranstaltungstouren" von Kandidaten mit persönlicher Präsenz auf möglichst vielen Wählerzusammenkünften usw.) und der - in Europa unverändert dominante - Plakatwahlkampf werden in den USA allenfalls belächelt.

Hierzulande wäre es nicht ausreichend, wie in Kalifornien Besuche von Wahlveranstaltungen allein zur Produktion von Bildern für den Journalistentross hinter dem Wahlkampfbus zu nutzen. Die klassische Funktionärsarbeit als täglicher Kontakt der Parteien mit den Wählern hat in Österreich an Bedeutung verloren, aber noch lange nicht ausgedient.
Privates Kommerzfernsehen versus öffentlich-rechtliche Medien
Die USA verfügen über ein nahezu ausschließlich privat organisiertes Fernsehen, während die meisten europäischen Staaten zusätzlich privaten TV-Kanälen staatliche Fernsehanstalten haben. Österreich nimmt aufgrund seines bis vor kurzem öffentlich-rechtlichen Fernsehmonopols sogar eine Sonderstellung ein. In den USA ist es möglich, unbeschränkt Werbezeit für politische Botschaften einzukaufen, wenn dafür ausreichend Geld vorhanden ist. In Europa ist politische Werbung im Fernsehen entweder Beschränkungen unterworfen oder verboten.

Die Auswirkungen einer Liberalisierung gesetzlicher Beschränkungen sind eindrucksvoll in Italien zu beobachten. Die Möglichkeit, Werbezeit in privaten Fernsehstationen zu kaufen, hat das Wahlkampfgeschehen dramatisch verändert und aus traditionellen Organisations- und Mobilisierungswahlkämpfen einen Videowahlkampf gemacht.

Ähnliches gilt mittlerweile für Frankreich, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland bedienen sich die politischen Parteien seit der Bundestagswahl 1990 der Schaltmöglichkeiten von TV-Spots in den privaten Fernsehkanälen. In Österreich ist das lediglich über Werbefenster in Kabel- und Satellitenprogrammen möglich, was im Nationalratswahlkampf 2002 erstmals ausgeschöpft wurde.
Öffentliche Wahlkampffinanzierung statt Privatgeldern
Organisationswahlkämpfe durch Parteifunktionäre sind arbeitsintensiv, Fernsehwahlkämpfe hingegen kapitalintensiv. Konsequenz ist, dass von US-amerikanischen Politikberatern die Höhe der Wahlkampffinanzen als wichtigster Erfolgsfaktor im politischen Wettbewerb (noch vor der strategischen Positionierung, Persönlichkeit und Image, Themenaussagen usw.) angesehen wird, während die Bedeutung einer starken und effektiven Parteiorganisation nahezu an letzter Stelle rangiert.

Das in Europa geringere Ausmaß des politischen Wettbewerbs im Fernsehen zeigt sich neben den kleineren Wahlkampfbudgets an der größeren Bedeutung, die Anzeigen in Printmedien und der Plakatwerbung eingeräumt werden. Beide Bereiche werden in den USA mittlerweile als am unwichtigsten angesehen.

Für Österreich ist gleichfalls nachweisbar, dass Plakatwerbung von 80 Prozent der Wähler wahrgenommen wird und trotzdem nur drei Prozent sich in ihrem Stimmverhalten dadurch beeinflusst sehen, doch haben die Parteien noch keinen Strategiewandel gewagt.
Finanzstärke aus ausschlaggebender Faktor
Die Kostenexplosion von Fernsehkampagnen führt aber dazu, dass politische Ämter in den USA als käuflich erscheinen bzw. nur finanzkräftige Quereinsteiger wie Arnold Schwarzenegger und seine Hintermänner reelle Chancen haben. In den Kongresswahlen 2002 wurden über 98 Prozent der neuerlich kandidierenden Amtsinhaber nicht zuletzt aufgrund ihrer Finanzvorteile wieder gewählt. In 414 von 435 Kongresswahlkämpfen gewann der Kandidat mit dem meisten Geld.

Schlussfolgerung ist, dass wir in Österreich die Vorzüge unseres politischen Systems schätzen sollten und nicht unreflektiert über eigene Politiker und Parteien schimpfen sollten, während wir anhand von Schwarzeneggers Wahlsieg einen fragwürdigen Nationalstolz ausleben.
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