Jörg Flecker
FORBA -Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
 
ORF ON Science :  Jörg Flecker :  Gesellschaft 
 
Flexible Arbeit erschwert demokratische Mitbestimmung  
  Wie verändern sich die Einflussmöglichkeiten verschiedener Gruppen von Arbeitskräften im Zuge der gegenwärtigen Umbrüche der Arbeitswelt? Dieser Frage ging das vor kurzem abgeschlossene Forschungsprojekt "Entgrenzung von Arbeit und Chancen zur Partizipation" der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) nach. Die Ergebnisse werden auf der Konferenz "Demokratie in Arbeit?" am 4. Oktober in Wien vorgestellt.  
Arbeit wird flexibel, mobil und unsicherer
Hintergrund der Fragestellung ist der Trend zur Entstandardisierung der Erwerbsarbeit: Arbeit wird zunehmend zeitlich flexibel, räumlich mobil, in neuen organisatorischen und vertraglichen Formen geleistet und damit vielfach aus den industriegesellschaftlichen Normen bzw. Normvorstellungen herausgelöst.

Dadurch verändern sich auch die Voraussetzungen für die Teilhabe an Entscheidungen über die Bedingungen der eigenen Arbeit und für die Interessenvertretung durch den Betriebsrat.
Untersuchung: IT-Dienstleistungen und Pflegepersonal
Untersuchungsgegenstand war die Arbeit in zwei höchst unterschiedlichen Dienstleistungsbranchen: den IT-Dienstleistungen und den sozialen Diensten, insbesondere der mobilen Pflege.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Möglichkeit, die eigene Arbeit gestalten und sich als Person in die Arbeit einbringen zu können, nicht nur für die IT-Fachkräfte im Vordergrund steht. Auch für die PflegerInnen und Heimhilfen ist sie eine wichtige Grundlage ihrer Arbeitsidentität und der Zufriedenheit mit ihrem Beruf. Partizipation ist also wichtig - unabhängig vom Qualifikationsniveau.
Nachteil: Schwächung des sozialen Zusammenhalts
Die "Entgrenzung von Arbeit", insbesondere die mobile Arbeit, die Leiharbeit und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeit, erschweren die Möglichkeiten der Beschäftigten zur Kommunikation untereinander und schwächen daher den sozialen Zusammenhalt.

Unter der Bedingung flexibler Arbeit fehlen den Arbeitskräften zudem sehr häufig die Zeit und die Energie für politisches Engagement. Insgesamt wirkt sich "entgrenzte" Arbeit also negativ auf Partizipation und Interessenvertretung aus.
Vorteil: Weniger direkte Kontrolle durch Vorgesetzte
Positiv wirkt hingegen, dass Arbeitskräfte weniger unter der direkten Kontrolle von Vorgesetzten stehen, wenn sie bei Kunden oder an anderen Orten außerhalb des Betriebs arbeiten.

Dann können sie ihre Arbeit in einem höheren Maße selbst gestalten. Entscheidend sind aber auch hier ihre Einflussmöglichkeiten auf Diensteinteilungen und Termine.
...
Konferenz: "Demokratie in Arbeit?"
Die Ergebnisse des Projekts werden zusammen mit anderen Forschungsbefunden aus dem Schwerpunktprogramm zur Demokratieforschung "NODE" am 4. Oktober 2005 auf der Konferenz "Demokratie in Arbeit? - Chancen demokratischer Teilhabe in einer flexibilisierten Arbeitswelt" vorgestellt.

Die Konferenz findet im Rahmen der Wiener Wissenschaftstage im Museumsquartier in Wien statt.
->   Zum detaillierten Konferenzprogramm
...
Ansprüche unter Kostendruck kaum realisierbar
Gegenwärtig können die Beschäftigten unter dem wachsenden Druck zur Kostensenkung, dem sie in beiden Branchen ausgesetzt sind, ihre arbeitsinhaltlichen Ansprüche jedoch immer weniger realisieren.

Dies hat nicht nur damit zu tun, dass die oft propagierten Methoden des partizipativen Management in der Praxis selten systematisch angewandt werden. Auch die von den Vorgesetzten durchaus geforderte Selbstorganisation in der Arbeit trägt häufig nicht zu einer Demokratisierung der Arbeitswelt bei.

Vielmehr bewirken die äußeren Rahmenbedingungen, wie knappe Budgets, zu kurze Personaldecke, verschärfte Konkurrenz oder häufige Umstrukturierungen, dass Spielräume in der Arbeit nicht viel mehr sind als "Delegation von Unsicherheit" oder "Selbstorganisation von Überlastung".
Segmentierung der Arbeitskräfte
Den mangelnden individuellen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen kann unter ungünstigen Bedingungen auch die Interessenvertretung durch den Betriebsrat nicht wettmachen, so ein solcher überhaupt eingerichtet ist.

Die Trennung zwischen den Arbeitsorten, den Berufsgruppen, der Stammbelegschaft und den Leiharbeitskräften etc. wird von den InteressenvertreterInnen oft nicht überwunden.

Es zeigte sich jedoch, dass Betriebsräte durchaus die Voraussetzungen für individuelle Partizipationschancen z.B. durch ihre Informationspolitik verbessern können.

[30.9.05]
...
Projektpartner
Das Projekt wurde im Rahmen des Forschungsprogramms "New Orientations for Democracy in Europe" (NODE) des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (bm:bwk) durchgeführt.

FORBA kooperierte in diesem Projekt in Österreich mit dem Zentrum für soziale Innovation (ZSI) und dem Institut für interdisziplinäre Nonprofit Forschung an der Wirtschaftsuniversität Wien (NPO). International erfolgte ein enger Austausch u.a. mit dem deutschen Forschungsnetzwerk "Grenzen der Entgrenzung von Arbeit - Perspektiven der Arbeitsforschung".
...
->   Alle Beiträge von Jörg Flecker in science.ORF.at
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Soziologie heute: Prekäre Arbeit, wenig Widerstand (21.9.05)
->   Neue Selbstständigkeit: "Prekariat" verändert die Welt (29.4.05)
 
 
 
ORF ON Science :  Jörg Flecker :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick