Jörg Flecker
FORBA -Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
 
ORF ON Science :  Jörg Flecker :  Gesellschaft .  Technologie 
 
Studie zur Qualität der Arbeit in Callcentern  
  Arbeit in Callcentern hat von Anfang an viel Interesse auf sich gezogen. Die einen begrüßten sie als Chance, mit neuen Technologien Beschäftigung zu schaffen, andere kritisierten sie als Fließbandarbeit für Angestellte. Im Zeitalter des flexiblen Kapitalismus sind Callcenter jedenfalls zu wichtigen Einrichtungen geworden, deren Ziel es ist, die Kundenkommunikation zu standardisieren und zu rationalisieren.  
Eine neue Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeit in Wien (FORBA) zeigt nun erstmals die Vielfalt an Arbeitsbedingungen in den österreichischen Callcentern auf.
Das "Global Call Center Industry Project"
Ausgehend von einer Vorgängerstudie in den USA, die den Einfluss von Managementstrategien und institutionellem Kontext auf die Qualität von Arbeit in Callcentern aufzeigte, wurde ein international vergleichendes Projekt, das "Global Call Center Industry Project" in insgesamt 19 Ländern auf allen fünf Kontinenten gestartet.

Veröffentlichte Ergebnisse gibt es u.a. für die Länder Deutschland, Dänemark, Niederlande, USA und Indien (Links dazu unten).

Die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) führte im Juni 2005 die österreichische Erhebung durch. Die Telefonumfrage wurde durch Experteninterviews und Interviews mit Beschäftigten ergänzt.
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Der vollständige Bericht sowie eine Kurzfassung sind abzurufen auf der Homepage von FORBA.
->   Der Bericht (pdf-Datei)
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Callcenter-Arbeit, ein differenziertes Tätigkeitsfeld
Im Zuge der österreichischen Erhebung wurde nach der Beschäftigung, Personalpolitik und Arbeitsorganisation gefragt. In den antwortenden 96 Callcentern sind insgesamt nicht weniger als 9.100 Agents beschäftigt.

Auch wenn sich die Tätigkeiten grundsätzlich stark ähneln, so sind die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in den verschiedenen Callcenter-Typen sehr unterschiedlich.

Zu unterscheiden sind in erster Linie die Inhouse-Callcenter, also entsprechende Abteilungen innerhalb von Unternehmen, und die externen Callcenter-Dienstleistungsbetriebe.
Externe Callcenter setzen auf freie MitarbeiterInnen
 
Grafik: FORBA

Was die Beschäftigung freier MitarbeiterInnen betrifft, zeigen sich große Unterschiede zwischen den verschiedenen Callcenter-Formen. In der Gesamtstichprobe sind es nur 40 Prozent der Unternehmen, die überhaupt freie MitarbeiterInnen beschäftigen.

Es sind jedoch v.a. die externen Callcenter, die in diese Gruppe fallen: 71 Prozent der externen Dienstleister beschäftigen freie MitarbeiterInnen, diese Unternehmen haben im Durchschnitt 84 Prozent ihrer Beschäftigten in solchen Verträgen.

Von den befragten Inhouse-Callcentern sind es nur 22 Prozent, die freie MitarbeiterInnen beschäftigten.
Inhouse-Callcenter halten ihre "Agents" länger
Beschäftigte in Inhouse-Callcentern bleiben mit 4,3 Jahren überdurchschnittlich lang in einem Unternehmen. Agents, die bei externen Anbietern beschäftigt sind, sind im Durchschnitt nur 2,9 Jahre beim gleichen Betrieb.

Mit einem Durchschnittswert von 24 Prozent haben externe Anbieter in unserer Stichprobe auch die höchste Fluktuationsrate, bei Inhouse-Callcenter wechseln jedes Jahr durchschnittlich 20 Prozent der Beschäftigten.
Freie Dienstverträge bei externen Centern verbreitet
Die wesentlich kürzere Betriebszugehörigkeit der Agents in externen Callcenter-Unternehmen steht vermutlich in engem Zusammenhang mit den dort stark verbreiteten freien Dienstverträgen.

Diese sind aus Sicht der Beschäftigten von vorne herein nicht auf Dauer angelegt, wie diese Aussage eines freien Mitarbeiters illustriert: "Ich habe nicht vor mit 35 nach wie vor so zu leben wie jetzt, weiterhin in einem Callcenter zu arbeiten."
Arbeit in einer neuen Niedriglohnbranche
Dass Callcenter, wie oft beschrieben wird, eine neue Niedriglohnbranche bilden, ist auch anhand der hier erhobenen Daten erkennbar. Es wird deutlich, dass die wirklich gut bezahlten Jobs eher dünn gesät sind.

Agents in inhouse-Callcentern verdienen mit durchschnittlich zwölf Euro brutto in der Stunde um zwei Euro mehr als ihre KollegInnen bei externen Callcentern. Noch größer sind die Einkommensunterschiede aber, wenn man die verschiedenen Branchen betrachtet.
Neun Euro in der Stunde für Telefonmarketing
Agents im Bereich des Telefonmarketing kommen durchschnittlich auf neun Euro in der Stunde, wohingegen die Callcenter-Beschäftigten bei Banken und Versicherungen durchschnittlich mehr als 12 Euro verdienen.

Von den Agents wird die Arbeit anfangs oft unterschätzt, erst mit der Zeit wird erkannt, wie niedrig das Einkommen für die erforderte Leistung ist.

Das Zitat eines Mitarbeiters: "Ich habe auch nicht drüber nachgedacht, ehrlich gesagt; das merkt man erst, wenn man arbeitet, dass es zuwenig ist. Ich habe nicht gewusst, dass wir so viele Projekte haben." Frage: Gehaltserhöhung? "Nicht drinnen, kein Thema: Wenn es Ihnen nicht gefällt, dann können Sie ja gehen."
Leistungsbezogene Bezahlung ...
Unter dem positiv klingenden Schlagwort "leistungsgerechte Bezahlung" verbirgt sich häufig ein unkalkulierbar schwankendes Einkommen - das unternehmerische Risiko wird zum Teil an die Beschäftigten weitergegeben.

Insgesamt gibt es in 51 Prozent aller Callcenter leistungsbezogene Gehaltsbestandteile, in diesen Callcentern machen individuelle Leistungszulagen durchschnittlich 22 Prozent des Bruttojahreseinkommens aus.
... vor allem bei externen Centern
Betrachtet man die unterschiedlichen Callcenter-Typen, so lässt sich erkennen, dass diese Form der Gehaltsberechnung v.a. bei externen Anbietern von Bedeutung ist.

Durchschnittlich machen individuell berechnete Gehaltsbestandteile bei externen Callcentern 32 Prozent des Gehalts eines Agents aus. Das Gehalt der Agents in Inhouse-Callcentern besteht hingegen nur zu 13 Prozent aus individuell berechneten Gehaltsbestandteilen.
Fazit
Callcenter sind keine homogene Gruppe. Vor allem die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Betriebe sowie Branchenbedingungen haben Einfluss auf die Qualität der Arbeit.

Das grundlegende Arbeitsmodell, also die KundInnenbetreuung übers Telefon und mittels Computer, sagt wenig über die Qualität der Arbeit aus.

Die Bandbreite der Arbeitsbedingungen zeigt vielmehr, dass abhängig von den Rahmenbedingungen Callcenter nicht einfach mit niedriger Qualität der Arbeit gleichgesetzt werden dürfen.

[Annika Schönauer, 31.1.06]
->   FORBA
->   Global Call Center Industry Project
Weitere Studien (pdf-Dateien) zu Callcentern in:
->   Deutschland
->   Dänemark
->   Niederlande
->   USA
->   Indien
 
 
 
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