Jörg Flecker
FORBA -Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
 
ORF ON Science :  Jörg Flecker :  Gesellschaft 
 
Mythen der Informationsgesellschaft (Teil 2)  
  In einer flexiblen Arbeitswelt ist das traditionelle Dienstverhältnis passé. Oder leben Totgesagte wieder einmal länger?  
Network Society
Nach Manuel Castells ("The Rise of the Network Society") ergänzen einander Informations- und Kommunikations-technologien einerseits und der Wandel der Wirtschaftsstruktur wie der Organisationsformen andererseits. Sie führen dazu, daß an die Stelle von Großorganisationen Netze kleiner Firmen treten und daß sogenannte networker eine prominente Position im Arbeitsprozeß einnehmen.

Die Verbreitung von virtuellen Unternehmen, also von flexiblen Formen der Zusammenarbeit zwischen selbständigen Betrieben und Erwerbstätigen, läßt das traditionelle Dienstverhältnis, so ein heute sehr verbreitetes Argument, zum Auslaufmodell werden. Gerade in technologie-intensiven Bereichen gehöre die Zukunft den "e-lancers".
Flexibilität virtueller Unternehmen
Unter Flexibilität wird in diesem Zusammenhang vor allem verstanden, daß die Auswahl von KooperationspartnerInnen und die Zusammensetzung von Teams von den Erfordernissen jedes Projekts abhängig gemacht werden kann und keine langfristigen Bindungen bestehen.

Als Basiseinheit der Informationsgesellschaft wird in diesem Zusammenhang das Kleinstunternehmen, die "Small Offices and Home Offices" (SOHOs) gesehen.
So argumentierten die Münchner Betriebswirte Reichwald und Hermann in einem 2000 von Hubig herausgegebenen Band zur Wissensgesellschaft: "Anstatt durch die Einstellung eigener Mitarbeiter intern anzuwachsen, und damit die wichtige unternehmerische Flexibilität einzuschränken, schließen sich SOHOs in Netzwerken zusammen, um größere Projekte abwickeln zu können". Solche Thesen über die Arbeitsformen in der Informationsgesellschaft treffen unseres Erachtens jedoch nur sehr begrenzt zu.
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Mehr Selbständige und freie Dienstverträge
Was sagen die Statistiken? In Österreich ist die Zahl der Werkverträge und der freien Dienstverträge in den letzten Jahren tatsächlich stark angestiegen, aber betreffen dennoch nur etwa 1% der Erwerbstätigen. Sogar in den Berufen, in denen sie überdurchschnittlich häufig sind (Nachrichten/Verkehr, JournalistInnen, EDV etc.), sind jeweils weniger als 10% in diesen Vertragsformen beschäftigt.

Die Zahl der Selbständigen stieg in Österreich zwischen 1995 und 2000 zwar um 48.000 und damit stärker als in den fünf Jahren davor. Aber es wird geschätzt, daß ein großer Teil davon allein wegen der sozialversicherungsrechtlichen Änderungen nun neu in der Statistik aufscheint.
->   Artikel von Karl Wörister zum Thema
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Wie exklusiv?
In neuen IT-Branchen, allen voran Multimedia und Internet-bezogene Dienste, entsprechen die Arbeits- und Organisationsformen vielfach dem Bild der Netzwerk-Gesellschaft: Kleinstunternehmen oder neue Selbständige sind hier sehr häufig zu finden.

Doch zwei Frage bleiben offen: Hat das mit den Besonderheiten dieser Wirtschaftszweige oder eher damit zu tun, daß die Berufe und die Firmen vielfach neu sind? Lassen sich die Entwicklungen in diesen spezifischen Bereichen verallgemeinern, werden sie also in Zukunft auf den IKT-Sektor oder gar den Dienstleistungssektor insgesamt zutreffen?
Verschiedene Formen der Flexibilität
Bei genauerer Betrachtung erweisen sich die oben angeführten Thesen über unternehmerische Flexibilität als einseitig: Wie in anderen Wirtschaftsbereichen kann die Reaktions-geschwindigkeit der Unternehmen auch im IKT-Sektor auf den Qualifikationen und Erfahrungen ihrer langfristig Beschäftigten beruhen.

Dies ist auf die Bedeutung des betriebsspezifischen Wissens, der eingespielten Kooperationsformen und der Kundenbeziehungen zurückzuführen. Sogar Leiharbeitskräfte und Beschäftigte in freien Dienstverhältnissen sind de facto oft lange beim gleichen Betrieb im Einsatz.
Auslagerung geht weiter
Die Berichte darüber, daß der Trend zum Outsourcing anhält, scheinen die Thesen von der Netzwerkgesellschaft zu bestätigen. Im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse ist auf den zweiten Blick jedoch eine wichtige Einschränkung zu machen.

Ob es sich um IKT-Dienstleistungen oder andere Aufgaben handelt, welche die Betriebe heute von außen zukaufen: Die Anbieter dieser Dienstleistungen sind sehr häufig große, teils weltweit agierende Unternehmen. Bei ihnen ist die Beschäftigung in der Regel nicht anders organisiert als bei ihren Kunden - in Form von traditionellen Dienstverhältnissen.
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Häufigkeit der Auslagerung an freelancers
Der europaweite EMERGENCE Survey, dessen Gesamtergebnisse in Kürze veröffentlicht werden, erfaßte die Häufigkeit verschiedener Formen von "e-work". Damit sind alle Tätigkeiten gemeint, die außerhalb des Betriebs unter Verwendung von IKT und Telekommunikationsverbindungen ausgeführt werden. Insgesamt gaben 49% der befragten 8.000 Unternehmen an, solche Arbeitsformen zu praktizieren.

Nicht weniger als 43% der Unternehmen berichten von outsourcing auf der Basis von IKT. Dagegen arbeiten nur 11% der Unternehmen mit freiberuflich Tätigen zusammen, die ihre Arbeit über eine Datenleitung liefern ("eLancers"). Fragt man beim outsourcing nach den Betriebsgrößen der Dienstleistungsanbieter, so ergibt sich mit 23% der Unternehmen doch ein erhebliches Gewicht der Klein- und Kleinstbetriebe.
->   Das EMERGENCE Projekt
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Kein zwingender Trend
Die Datenlage erlaubt derzeit zwar keine detaillierte Antwort auf die Frage, ob wir die Behauptung, der Dienstvertrag sei in der Informationsgesellschaft passé, in das Reich der Mythen verweisen können.

Unseres Erachtens zeigen die Entwicklungen in den Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt jedoch, daß der Trend zu neuen Arbeitsformen keineswegs so generell und unausweichlich ist, wie er oft dargestellt wird. Die technischen Möglichkeiten für SOHOs und vernetztes Arbeiten sind eine Sache, die Entscheidungen über Vertragsformen und Beschäftigungsverhältnisse eine andere.
->   Mythen der Informationsgesellschaft (Teil I)
 
 
 
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