Jörg Flecker
FORBA -Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
 
ORF ON Science :  Jörg Flecker :  Gesellschaft 
 
UnternehmensberaterInnen: Hoher Preis für Karriere  
  Unternehmensberatung ist eine generell wenig beforschte Branche, besonders wenig weiß man über die Arbeitsbedingungen in diesem Berufsfeld. Eine Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) untersuchte im Detail die Arbeitsumstände bei österreichischen UnternehmensberaterInnen: Welche Beschäftigungsformen, Arbeitspraktiken und Karriereverläufe sind in welchen Beratungsfeldern typisch? Inwiefern können Berufsziele tatsächlich eingelöst werden?  
Auf Basis von explorativen Interviews in unterschiedlichen Beratungsfeldern lassen sich die Befunde zu UnternehmensberatInnen trotz aller Heterogenität mit den Worten eines Consultants auf einen Nenner bringen: "Man braucht sehr hohes Energieniveau".

Intensiver Arbeitsdruck, ständige Mobilitätsbereitschaft, kurze Planungshorizonte, ausufernde Arbeitszeiten sowie forcierter interner Wettbewerb bei den renommierten Unternehmensberatungen sind gleichsam der Preis für gute Einkommens- und Karrierechancen.
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Die Studie ist im Rahmen der FORBA-Buchreihe unter dem Titel "Man braucht sehr hohes Energieniveau. Zum Arbeitsalltag von UnternehmensberaterInnen" (Hubert Eichmann und Ines Hofbauer) erschienen (ISBN 978-3-8360-6703-4).
->   Zum Buch (Verlag edition sigma)
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Arbeits- und Zeitdruck als Konstante
Eine (teilweise weit) überdurchschnittliche Belastbarkeit ist in allen Feldern, allen Betriebsgrößen und allen Hierarchieebenen Grundvoraussetzung - und wird in den bekannten Beratungsfirmen noch zusätzlich inszeniert. Gegenüber Kunden und auch im betrieblichen Binnenverhältnis hochgehaltene Effizienzkriterien äußern sich vor allem im allgegenwärtigen Zeitdruck und in einer "Grundtendenz der Überforderung".

Häufig wurde signalisiert, dass eine konstant hohe Einsatzbereitschaft gleichbedeutend oder sogar wichtiger für eine Consultingkarriere sei als etwa besonders elaborierte Fach- oder Methodenkenntnisse. Eine weitere Voraussetzung ist die Kompetenz zur Interaktion mit Kunden sowie die Bereitschaft, deren Irrationalitäten gegen gutes Geld zu ertragen.
Geschäftsmodelle und Personalstrategien
Bild: Verlag edition sigma
In größeren Consultingfirmen werden überwiegend BerufseinsteigerInnen mit Hochschulabschluss rekrutiert, die sich an die hierarchischen Arbeits- und Organisationsprinzipien anzupassen haben, wenn sie die an sich sehr attraktive Karriereleiter vom Junior Consultant bis zum Senior Manager bzw. Partner nach oben klettern wollen. Im Gegensatz dazu rekrutieren kleine Beratungsunternehmen nur selten NeueinsteigerInnen ohne einschlägige Berufserfahrung.

Das pyramidenförmige Geschäftsmodell in der Top-Managementberatung mit vielen Juniors am unteren Ende und wenigen Partnern an der Spitze verlangt kontinuierlich nach Nachwuchs. Die hohe Fluktuation ist Teil des Modells. Insbesondere der innerbetriebliche Wettbewerb wird als Markenzeichen für Exzellenz inszeniert.

Angesichts der hierarchischen Strukturen mit genau geregelten Karriereplänen tritt jedoch gegenüber der proklamierten Exzellenz ein faktisch dominierendes Senioritätsprinzip in den Vordergrund. Im Projektalltag wird in der jeweils unteren Stufe Zuarbeit für die nächsthöhere Ebene geleistet.
Rund-um-die-Uhr-Einsatz
Erwerbstätige in der Unternehmensberatung führen ein ausgesprochen arbeitszentriertes Leben - analog zur Arbeitsweise von Führungskräften auf der Auftraggeberseite, als deren "Sparringpartner" BeraterInnen häufig auftreten.

Typisch für viele ist die Zielsetzung, nach Jahren in der Unternehmensberatung in die vergleichsweise ruhigeren Gewässer eines Industrie- oder Dienstleistungsunternehmens zu wechseln oder über Selbstständigkeit eine Ausweitung der individuellen Zeitautonomie zu erreichen.
Privatlebenszeit oft Restlebenszeit
Privatleben nimmt für viele den Stellenwert einer Restkategorie ein. Die Mehrheit der GesprächspartnerInnen berichtet von Arrangements mit zwei in Vollzeit berufstätigen Partnern.

Ähnliche Sozialisationshintergründe und ähnliche Präferenzen für eine arbeitsintensive Berufslaufbahn sind eine Art Erfolgsgeheimnis für gelingende Beziehungen der VielarbeiterInnen. Wenn beide ähnlich lang arbeiten, hält sich die Kritik an ungenügender Freizeitgestaltung in Grenzen.
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Einkommen zentral
Für viele UnternehmensberaterInnen ist die in der Einkommenshöhe ausgedrückte materielle Gratifikation gleichzeitig zentraler Motivationsfaktor, Barometer für die Arbeitszufriedenheit und wichtiges Statussignal für Vergleichsprozesse gegenüber KollegInnen.
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Aufstiegs- und Sprungbrettkarrieren
Niemand ist nur deshalb UnternehmensberaterIn, um überhaupt ein Einkommen zu erzielen, um also über Erwerbstätigkeit die ökonomische Existenz abzusichern.
Die unterschiedliche Ausprägung der extrinsischen/instrumentellen Ziele (Statuserwerb, möglichst hohes Einkommen) ist ein guter Indikator zur Bildung von zwei Idealtypen:

- erstens jene Aufstiegsorientierten, die an einer "statusgemäßen" Karriere, vor allem als Führungskraft im Management, interessiert sind und
- zweitens jene an einer Fachkarriere Orientierten, bei denen die Beratung selbst bzw. die Beratungsinhalte im Zentrum der weiteren Karriereplanung stehen.

Interessanter Weise ist die Berufszufriedenheit bei der (im Durchschnitt älteren) zweiten Gruppe höher; zum Teil einfach deshalb, weil Kriterien für Zufriedenheit breiter angelegt sind als die von Dritten vorgegebenen Messlatten für Berufserfolg. Die Bindung an Inhalte der eigenen Arbeit ist stärker und Bedingungen und Folgen der eigenen Handlungen sind überschaubarer.

[4.4.08]
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