Jörg Flecker
FORBA -Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
 
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Erfahrung in der Wissensgesellschaft - ein Paradoxon?  
  Um in der modernen Arbeitswelt zu bestehen, muss man sich ständig neues Wissen aneignen. Erfahrung und andere implizite Wissensformen bleiben dennoch von entscheidender Bedeutung.  
Verlernen lernen
Bei rasch wandelnden Anforderungen wird von Arbeitskräften gefordert, das "Verlernen zu lernen". Unter diesen Bedingungen wird Erfahrungswissen als unwichtig, ja als Relikt vergangener Zeiten betrachtet, das in der heutigen, von Computertechnologien und Flexibilität bestimmten Arbeitswelt nicht nur an Wert verliert, sondern ein Hindernis für die Bewältigung grundlegend neuer Anforderungen darstellt.
Wissensmanagement
In den Unternehmen wird unter dem Stichwort Wissensmanagement versucht, das gesamte Wissen in der Organisation nutzbar zu machen und auf diese Weise Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Auch wenn implizite Wissensformen dabei Erwähnung finden und auf die Bedeutung von Schlüsselqualifikationen, also außerfachlichen, etwa sozialen oder kommunikativen Kompetenzen und Fähigkeiten, hingewiesen wird, ist die Diskussion stark auf Fakten und fachliches, theoretisches Wissen fokussiert.
Erfahrene Arbeitskräfte
Mit der Bedeutung von Erfahrung schwindet, so die verhängnisvolle Verknüpfung, die Bedeutung jener Menschen, die in besonderem Maße darüber verfügen. Es sind in erster Linie ältere ArbeitnehmerInnen, deren Erfahrungspotential heute als wertlos gilt und denen die Sortiermaschine Arbeitsmarkt zunehmend das "Arbeitslos" zuteilt.
Erfahrungsbegriff
Diese Bewertung basiert allerdings auf einem oberflächlichen Verständnis von Erfahrung als "reine Routine" oder als "angesammelter Erfahrungsschatz", der durch Technologiesprünge entwertet wird. Neuere sozialwissenschaftliche Ansätze konnten aber in den letzten Jahren zeigen, dass Erfahrungswissen vielmehr ein komplexer und vielschichtiger Handlungsmodus ist, der v.a. die Bewältigung unbestimmter Arbeitssituationen erleichtert, in denen Regeln und Vorschriften nicht mehr weiter helfen. Der in München am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) von Fritz Böhle u.a. entwickelte Ansatz wurde in Österreich von FORBA in Forschungsprojekten mit Erfolg angewandt.
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Merkmale erfahrungsgeleiteten Arbeitens
Was macht nun den Typus des ausgefuchsten "alten Hasen", den es in fast jedem Betrieb gibt, aus? Worin bestehen seine/ihre Stärken, die ihn/sie befähigen, für verzwickte Situationen improvisierte Lösungen zu entwickeln? Im Ansatz des "erfahrungsgeleiteten Arbeitens" konnten folgende Merkmale für diese besondere Arbeitsweise gefunden werden:
- bildhaftes, wahrnehmungsgeleitetes und erlebnisbezogenes Denken
- sinnlich-körperliche Wahrnehmung
- herantastend-dialogisches Vorgehen
- Einfühlungsvermögen und Einsatz von Gefühlen als Medium des Erkennens und Beurteilens.
Beim erfahrungsgeleiteten Arbeiten handelt sich also um einen eigenständigen, ganzheitlichen Wissens- und Handlungsmodus, der sowohl auf fachliche wie auch auf organisatorische und soziale Aspekte im Betrieb angewendet wird. Das besondere daran ist, dass im erfahrungsgeleiteten Arbeiten besondere menschliche Potentiale, wie Gefühle und sinnliche Wahrnehmung, in die Arbeit und in fachliches Wissen integriert und zu besonderen Kompetenzen verschmolzen werden.
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Suspekte Subjektivität
Vielfach widerstrebt es dem in der Arbeitswelt vorherrschenden, von Rationalität und formaler Logik geprägten Denken, zu akzeptieren, dass jemand etwas mit "Gespür" oder "Gefühl" bewältigt, wie es die ArbeiterInnen vielfach ausdrücken. Das erscheint als suspekt und daher wird dieser Arbeitsweise auch die Anerkennung als spezifische Kompetenz entzogen. Erfahrungsgeleitetes Arbeiten erfährt in diesem Sinne das gleiche Schicksal wie Hausarbeit, die weitgehend unsichtbar bleibt und deren Qualitäten erst wahrgenommen werden wenn sie nicht mehr ausgeführt wird.
Bedeutung empirisch nachgewiesen
Die Relevanz von erfahrungsgeleiteten Arbeitsformen wurde inzwischen in über hundert Unternehmen empirisch nachgewiesen und zwar in hochautomatisierten Produktionszweigen ebenso wie in der Altenpflege oder bei den information brokern im Cyberspace. Die Erkenntnisse lassen sich auf die Gestaltung von Arbeitsorganisation und Technik ebenso anwenden wie auf Konzepte zur Lehrlingsausbildung oder auf die Entwicklung neuer Einatzfelder und Arbeitsrollen für ältere Beschäftigte.

MANFRED KRENN, Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)
Forschungsberichte zum Thema aus Österreich (pdf-files)
Krenn, M./Flecker, J. (2000): Erfahrungsgeleitetes Arbeiten in der automatisierten Produktion. Neue Anforderungen an die Personalpolitik, Ausbildung und Arbeitsgestaltung, FORBA-Forschungsbericht 3/2000
Krenn, M: Erfahrungswissen als Ressource für altersgerechten Personaleinsatz. Neue Wege zu höherer Beschäftigungssicherheit für ältere ArbeitnehmerInnen. FORBA-Forschungsbericht 4/2001
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