Jörg Flecker
FORBA -Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
 
ORF ON Science :  Jörg Flecker :  Gesellschaft 
 
Frauenbeschäftigung - quo vadis Österreich?  
  Zumindest seit Mitte der 80er Jahre steigt die Frauenbeschäftigung auch in Österreich kontinuierlich an. Dies ist vor allem auf die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Müttern zurückzuführen. An den Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit hat sich aber kaum etwas verbessert. Jetzt scheint Hilfe von der Europäischen Union zu kommen.  
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Ein Diskussionsbeitrag von Ingrid Mairhuber, Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)
->   FORBA
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Vollbeschäftigung wieder 'in'?
Der Europäische Rat erklärt im Jahr 2001 Vollbeschäftigung zu einem übergeordneten Ziele der EU-Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Vollbeschäftigung gilt nämlich als Voraussetzung, um die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen.

Zur Erreichung dieses Zieles, soll vor allem die Frauenbeschäftigung erhöht werden, denn hier besteht das größte Beschäftigungspotential.
Kinderbetreuungseinrichtungen und 'Halbe/Halbe'
Neben zahlreichen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die vom Europäischen Rat dazu im Rahmen der 'Beschäftigungspolitischen Leitlinien 2001' vorgeschlagen werden, nehmen auch Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Betreuungsarbeit einen besonderen Stellenwert ein. Dabei werden Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen sowie die Umverteilung der unbezahlten Versorgungsarbeit betont.
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"Es ist für ein ausreichendes und hochwertiges Betreuungsangebot für Kinder und pflegebedürftige Personen zu sorgen, um Frauen und Männern den Zugang zum Arbeitsmarkt und eine dauerhafte Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist eine ausgewogene Aufgabenteilung in der Familie" (Europäischer Rat 2001:21).
->   Europäischer Rat
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Betreuungsangebote
Die einzelnen EU-Länder sind demnach aufgefordert, für "die Bereitstellung bezahlbarer, leicht zugänglicher und hochwertiger Betreuungsangebote für Kinder und pflegebedürftige Personen" zu sorgen und durch die "Festlegung einer nationalen Zielvorgabe die Verbesserung des Angebotes an Betreuungsmöglichkeiten" voranzutreiben.
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Wie einer Studie des IHS zu entnehmen ist, liegt das Angebot an öffentlich geförderten Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich im Europavergleich deutlich unter dem Durchschnitt. Dies betrifft vor allem Kleinkinder bis 3 Jahre und die Nachmittagsbetreuung von SchülerInnen. In Österreich besuchen 3 Prozent der unter 3-Jährigen einen öffentlich finanzierten Betreuungsplatz (EU-Durchschnitt: 18 Prozent). Von den 6- bis 10-jährigen Kindern werden rund 6 Prozent nachmittags in öffentlich geförderten Einrichtungen betreut (EU-Durchschnitt: 29 Prozent) (IHS, Reihe Soziologie/Sociological Series No 41).
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Tu felix Austria...?
Obwohl Österreich verpflichtet ist, die von allen EU-Ländern gemeinsam erarbeiteten Inhalte der Beschäftigungspolitischen Leitlinie auf nationaler Ebene umzusetzen, geht die ÖVP/FPÖ-Regierung offensichtlich einen ganz anderen Weg. Trotz eines beträchtlichen Mangels an Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich sieht der "Nationale Aktionsplan für Beschäftigung 2001" keinen Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen vor.

Die Bundesregierung begnügt sich damit lapidar festzuhalten, daß die von der ehemaligen Frauenministerin Helga Konrad ins Leben gerufene "Kindergartenmilliarde" ausgeschöpft ist und flüchtet sich darüber hinaus in das beliebte Argument der "Nichtzuständigkeit".
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"Die Sonderfinanzierung des Bundes ist mit dem Budget 2000 ausgelaufen; sodass die Wahrnehmung dieser Aufgaben den Ländern und Gemeinden obliegt" (Umsetzungsbericht zum Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung - Österreich, 24. April 2001)
->   Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
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Umsetzung der EU- Maßnahmen
Unabhängig von der föderalistischen Struktur Österreichs ist die Bundesregierung aber in jedem Falle für die Umsetzung der auf EU-Ebene festgelegten Maßnahmen zuständig. Dementsprechend müßte die Bundesregierung mit den österreichischen Bundesländern zumindest über "Zielvorgaben zur Verbesserung des Angebotes an Betreuungsmöglichkeiten" verhandeln und somit den Ausbau bundesweit sicherstellen.
Im Widerspruch?
Aber nicht nur im Hinblick auf den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen scheint sich die Bundesregierung im Widerspruch zur europäischen Soziale- und Beschäftigungspolitik zu befinden.

Selbst das vor allem auf wirtschaftspolitische Argumente basierende Ziel der Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit findet im "Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung 2001" keine Berücksichtigung.
Mütter von künftigen Beitragszahlern
Abgesehen vom frauenpolitischen Rückschritt, der sich auch in derartigen "Maßnahmenlücken" manifestiert, scheint Österreich im Gegensatz zu den anderen EU-Ländern, die Erhöhung der Frauenbeschäftigung auch nicht zur Finanzierung seines sozialen Sicherungssystems, insbesondere der Pensionsversicherung, zu brauchen. Frauen werden eben in erster Linie als potentielle Mütter von zukünftigen Beitragszahlern wahrgenommen!
 
 
 
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