Christian Gastgeber
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"Madame Autriche"
Zum 10. Todestag der Germanistin, Pädagogin und Schriftstellerin Minna Lachs (1907-1993)
 
  Am 22. 6. 1993 jährt sich zum 10. Mal der Tod der mehrfach ausgezeichneten Minna Lachs. Ein nach ihr benannter Park im 6. Wiener Gemeindebezirk erinnert noch heute an sie und an ihr pionierhaftes pädagogisches Wirken. Das Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK) widmet sich in einem Forschungsprojekt dem herausragenden und die Kultur des Landes mitbestimmenden Wirken österreichischer Wissenschaftlerinnen.  
Jugend und Ausbildung

Minna Lachs
Als Minna Schiffmann, Tochter eines jüdischen Vertreters eines österreichischen Kohlenunternehmens, am 10. 7. 1907 in Galizien geboren, floh sie zu Beginn des ersten Weltkrieges mit der Familie nach Wien.

Sie wuchs in einem Sprachenmix aus Deutsch, Polnisch, Ruthenisch, Englisch, Französisch und Hebräisch auf, studierte Germanistik, Romanistik, Psychologie und Pädagogik, lernte Charlotte Bühler kennen und wurde in deren Kreis aufgenommen. 1931 promovierte sie mit der Dissertation "Die deutsche Ghettogeschichte" und legte zwei Jahre später die Lehramtsprüfung in Deutsch und Französisch ab.

Inzwischen mit dem Juristen Ernst Lachs verheiratet, konnte sie wegen des damals geltenden Doppelverdienergesetzes nur an Privatschulen unterrichten und Matura-Vorbereitungskurse in ihrer Wohnung abhalten.
Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten
Als im Juli 1938 ihr Sohn Thomas auf die Welt kam, war es für die Familie schon längst zu gefährlich geworden, noch länger in Wien zu bleiben.

Im September 1938 kam sie mit dem zwei Monate alten Baby in der Schweiz an. Mit dem berüchtigten spanischen Emigrantenschiff "Navemar", bezeichnenderweise auch "schwimmendes Konzentrationslager" genannt, erreichte die Familie 1941 New York.
Entwicklung neuer Unterrichtsmethoden
Als Pädagogin und Psychologin betätigte Minna Lachs sich in zahlreichen privaten Schulen sowie Organisationen und entwickelte neue Unterrichtsmethoden, indem sie Schulanfängern mit Versen und Liedern Fremdsprachen beibrachte.

Daneben organisierte sie Leserunden und Diskussionen mit Schülern über Krieg und Frieden und wandte sich entschieden gegen Rassismus in jeder Form.
Rückkehr nach Wien
1947 kehrte die beliebte Lehrerin, von ihren Schülern bewundernd "Madame Autriche" oder "Signora Austria" genannt, "aus dem Glauben an das andere Österreich" nach Wien zurück. Sie unterrichtete an Mittelschulen, verfasste Lehrbücher für den Englischunterricht und Handbücher für Lehrer, um das nationalsozialistische Unterrichtsmaterial endgültig zu verdrängen.

1954 bis 1972 war sie Schuldirektorin am Wiener Mädchengymnasium in der Haizingergasse im 18. Wiener Gemeindebezirk, arbeitete ehrenamtlich für die UNESCO, setzte sich für Toleranz, Völkerverständigung und Frieden ein und war ab 1956 Vizepräsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission.
Literarisches Erbe
Zwischen zwei Welten; L¿cker-Verlag
Neuauflage im Löcker-Verlag
Ihre Schulreformen wie die Einführung von Dichterlesungen oder der Einsatz des Englischunterrichts in der Volksschule waren bahnbrechend. Nebenbei hielt Minna Lachs die Erinnerungen an ihr bewegtes Leben fest und veröffentliche 1986 "Warum schaust du zurück ... Erinnerungen 1907-1941" im Europaverlag und 1992 die Fortsetzung "Zwischen zwei Welten ... Erinnerungen 1941-1946" im Verlag Jugend & Volk, zuletzt aufgelegt vom Löcker-Verlag mit einem Vorwort von Julian Schutting.

Neben wissenschaftlichen Publikationen schuf sie unter anderem auch das von Angelika Kaufmann illustrierte Kinderbuch "Was raschelt da im Bauernhof", erstmals 1973 im Verlag Jugend & Volk erschienen, 1987 neu aufgelegt.
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Frauenbiografisches Großprojekt am IWK
Die Biografie von Minna Lachs ist nur eine von fast 8.000, die am Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK) im Rahmen des Projektes "biografiA. Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen" unter der Leitung der Wissenschaftshistorikerin Ilse Korotin erarbeitet wurde.

Schwerpunkt ist zur Zeit - nachdem 342 Wissenschaftlerinnen, unter ihnen auch Minna Lachs, von der Historikerin Edith Leisch-Prost porträtiert und in Form eines von Ilse Korotin und Brigitta Keintzel herausgegebenen Lexikons ("Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben und Wirken", erschienen 2002 bei Böhlau) gewürdigt wurden, das Mittelalter, die frühe Neuzeit sowie das Modulprojekt "Jüdische Frauen in Österreich und ihr Beitrag zu Wissenschaft, Kunst und Kultur".
->   biografiA. Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen
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Wissenschafterinnen in und aus Österreich

Böhlau-Verlag 2002
Leben und Wirken
Herausgegeben von Ilse Korotin und Brigitta Keintzel
Böhlau 2002
->   Weitere Informationen in www.boehlau.at
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Autorin des Beitrages
Dieser Beitrag stammt von:
Susanne Blumesberger
Dokumentationsstelle für Frauenforschung, Institut für Wissenschaft und Kunst, Berggasse 17, 1090 Wien.
Bearbeiterin des Projekts "Jüdische Frauen in Österreich und ihr Beitrag zu Wissenschaft, Kunst und Kultur" und Mitherausgeberin des dreibändigen "Handbuchs österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft - 18. bis 20. Jahrhundert"
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