Peter Höller
Bundesamt und Forschungszentrum für Wald, Institut für Lawinen- und Wildbachforschung, Innsbruck
 
ORF ON Science :  Peter Höller :  Umwelt und Klima 
 
Die Beurteilung der Lawinengefahr im freien Skiraum  
  Sieht man von den katastrophalen Lawinen-Ereignissen in den 50-er Jahren oder von den Unfällen im Jahr 1999 (Galtür) einmal ab, so ereignen sich immer noch die meisten Lawinenunfälle im freien, ungesicherten Raum.  
Lawinenkurse - zu theoretisch
Zum einen gibt es heute eine große Zahl an Erholungssuchenden die abseits des gesicherten Skiraumes ihr Vergnügen suchen, zum anderen ist jedoch für viele Wintersportler die Beurteilung der Lawinengefahr ein schwieriges Unterfangen.

Einschlägige Lawinenkurse werden von den Freizeitsportlern oft nicht angenommen, mit der ¿ teils berechtigten ¿ Begründung, daß diese zu theoretisch seien und das vermittelte Wissen für den Praktiker nicht unmittelbar anwendbar ist.
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Die Reduktionsmethode nach W. Munter
Diese unbefriedigende Situation, hat Munter (1997) dazu veranlaßt, eine Methode zu entwicklen die dem Tourengeher eine einfache Beurteilung der Lawinengefahr ermöglichen soll. Kern dieser Methode ist die Reduktionsformel, die lediglich die Gefahrenstufe (Gst) aus dem Lagebericht sowie die topographischen Parameter Hangneigung und Exposition beinhaltet.

Das akzeptierte Risiko wird aus Gefahrenpotential/ Reduktionsfaktor berechnet, wobei das Gefahrenpotential aus 2Gst und die Reduktionsfaktoren (RF) aus Hangneigung und Exposition abgeleitet werden; diese sind um so höher je flacher der Hang bzw. je weiter man vom Expositionsbereich NW-NE entfernt ist. Das akzeptierte Restrisiko wurde von Munter mit 1 festgesetzt.
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Warum eine Formel?
Die Idee, die dieser Formel zugrunde liegt, ist leicht erkärt: einerseits befinden sich die meisten Gefahrenstellen im Schattsektor (häufig schlechtes Schneedeckenfundament mit Schwachschichten aus Tiefenreif), anderseits wird die Wahrscheinlichkeit für einen Lawinenanriß umso größer, je steiler der Hang ist.

Ein Verzicht auf das Befahren von steilen nach Norden gerichteten Hängen kann also sicher zu einer Verringerung des Risikos beitragen; allerdings waren diese Tatsachen auch schon bisher bekannt, und es stellt sich die Frage warum man zu dieser Beurteilung eine Formel benötigt - verantwortungsbewußte Tourengeher haben in kritischen Zeiträumen diese Gebiete auch in der Vergangenheit (ohne Benutzung einer Formel) gemieden.
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Kritik an der Reduktionsmethode
Munter¿s Überlegungen stellen eine zu weitgehende Vereinfachung der tatsächlichen Gegebenheiten dar; denn zur Entstehung von Schneebrettlawinen tragen nicht nur die topo-graphischen Faktoren sondern in viel wesentlicherem Maße die Faktorengruppen Meteorologie und Schneedeckenaufbau bei.

Dabei fällt unter die Kategorie Meteorologie vor allem der Einfluß des Neuschnees (zusätzliche Auflast auf die Altschneedecke), der Temperatur (z.B. Setzung), sowie der Windgeschwindigkeit und Windrichtung (Schneeverfrachtung); unter der Kategorie Schneedecke ist vor allem der Aufbau und der Zustand derselben (Vorhandensein von Schwachschichten, Verbindung der Schichten untereinander, Durchfeuchtung) zu verstehen.
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Mit der Formel oft falsche Entscheidungen getroffen
Eine kürzlich veröffentlichte Studie (Zobl u. Ladstätter, 2001), bei der 69 Unfälle aus den Winterperioden 1997 bis 2000 analysiert und mit der Reduktionsmethode ausgewertet wurden, ergab, daß sich nur bei 44 der 69 Unfälle ein ¿Stop¿ ergeben hätte, d.h. hätte man sich alleine auf die Reduktionsformel verlassen, wäre man in 37% der Fälle falsch gelegen.

Diese Erkenntnisse scheinen also die oben angeführten Kritikpunkte zu bestätigen, dass man nämlich mit Hilfe topographischer Faktoren alleine keine zielführende Einschätzung der Lawinengefahr vornehmen kann. Auch wenn in die Formel die Gefahrenstufen aus dem Lage-bericht einfließen und darin die Faktoren Meteorolgie und Schneedecke entsprechend gewürdigt sind, ist dies insoferne nicht ausreichend, weil ja der Lagebericht nicht die lokale Situation im betreffenden Gebiet widerspiegeln kann.
Die einfache Methode bleibt unsicher
Wenn die Reduktionsmethode den Eindruck erweckt, man hätte nun endlich eine einfache und für jedermann anwendbare Methode zur Beurteilung der Lawinengefahr, so muß davor nur eindringlich gewarnt werden.

Da die Reduktionsformel aufgrund Nichtberücksichtigung wichtiger schneekundlicher und meteorologischer Faktoren wesentliche Lücken aufweist, kann sie als Entscheidungshilfe bei der Tourenplanung nur bedingt herangezogen werden.

Der Tourengeher (und natürlich insbesondere der Bergführer) hat auch weiterhin alle anderen Informationen und Erkundigungen die ihm billigerweise zuzumuten sind, einzuholen und diese - gemeinsam mit seiner Erfahrung - auf jeder Tour entsprechend zu würdigen.
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Literatur

Höller, P. 1998. Ist die Reduktionsmethode ein brauchbares Instrument zur Verringerung der Zahl der Lawinenunfälle im freien, ungesicherten Raum? Der Sachverständige, 1/98, 22-25.

Munter, W. 1997. 3x3 Lawinen.Agentur Pohl und Schellhammer, Garmisch-Partenkirchen,220 S.
->   Zobl, N. u. Ladstätter, E. 2001. Erkenntnisse zu Werner MUNTER aus Sicht der Alpin-gendarmerie.
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