Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Technologie .  Gesellschaft 
 
Oekonux: Ökonomie und freie Software  
  "Freie Software" und die "Ökonomie der Wissensproduktion" waren Themen der internationalen Konferenz der Initiativgruppe Oekonux, die vom 20. bis 23. Mai 2004 am Institut für Philosophie stattfand.  
Die Terminologie, die Karl Marx verwendet hat, klingt sperrig: "Produktionskräfte versus Produktionsverhältnisse", "Tauschwert", "Warenform". Mit diesen Begriffen analysierte Marx den Kapitalismus und stellte Prognosen über seine weitere Entwicklung auf.

Bekanntlich sind wesentliche Vorhersagen nicht eingetroffen, obwohl einige Prinzipien der marxistischen Betrachtungsweise nach wie vor Erklärungskraft besitzen. Mangels einer Alternative zum Kapitalismus scheint allerdings die Sprengkraft der Kritik des Marktsystems verpufft zu sein.
Umbruch durch das Internet
Doch die Verhältnisse sind (wieder einmal) im Umbruch. Das Internet hat die Möglichkeiten kooperativer Wissensproduktion spektakulär gesteigert.

Die globale, selbstgesteuerte Verteilung von Information ermöglicht ökonomische und soziale Entwicklungsprozesse von bisher ungeahntem Ausmaß.

Eine Gruppe vorwiegend deutschsprachiger Theoretiker und -innen arbeitet seit einigen Jahren im Grenzbereich zwischen marxistischer Gesellschaftsanalyse und aktuellen Formen der Softwareentwicklung.
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Initiativgruppe Oekonux
Ein Stichwort für die Entstehung hochqualitativer Produkte jenseits der Marktgesetze ist GNU/Linux, ein Betriebssystem (inklusive zahlreicher Anwendungen), das im letzten Jahrzehnt durch die weltweite Zusammenarbeit einiger hundert Softwareingenieure realisiert wurde. Der programmatische Name der Initiativgruppe lautet Oekonux. Vom 20. bis 23.5. fand am Institut für Philosophie der Universität Wien ihr 3. Kongress statt.
->   Oekonux-Konferenz
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Wertschöpfung und Verteilungsgerechtigkeit
Ein Schwerpunkt der Referate lag auf ökonomischer Theorie, im Speziellen auf gesellschaftlicher Wertschöpfung und Verteilungsgerechtigkeit.

Marx hat darin Recht behalten, dass die Steigerung der Produktivkräfte auch in diesem Fall eine Veränderung der Produktionsverhältnisse auslösen muss (Raoul Victor). Er täuschte sich jedoch, als er dem Kapitalismus die Fähigkeit absprach, von sich aus einen derartigen Umbruch hervorzubringen.

Eine Reihe von Beiträgen zur Konferenz diskutierten dieses Dilemma. Wie passt die weder markt- noch hierarchiegesteuerte Entwicklung zentraler Instrumente der Wissensgesellschaft zur ungebrochenen Dominanz des Profitmotivs?
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Die Zukunft der Arbeitsprozesse
Was Linux angeht, ist zu beobachten, dass sich Großkonzerne und Einzelanwender und -innen im Moment wechselseitig zu einer Erfolgsgeschichte verstärken. Künftige Arbeitsprozesse und die soziale Organisation einer post-industriellen Gesellschaft wurden unter diesem Vorzeichen von einigen Konferenzteilnehmern in den Blick genommen. (Thomas Atzert, Benni Baermann, Hans-Gert Gräbe, Stefan Merten, Stefan Meretz, Till Mossakowski, Wolfgang Pircher).
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Entscheidende Rolle des Eigentumsbegriffs
Innovationen im Internet richten sich nicht nach ökonomischen Analysen. Viele technisch realisierbare Neuerungen sprengen den Rahmen, in dem Produktivität nach Angebot und Nachfrage reguliert und von staatlichen Aufsichtsorganen kontrolliert wird.

Ein hochaktuelles Beispiel sind private Funknetze, durch die man sich dem Diktat der Breitbandanbieter entziehen kann (Andreas Trawöger). Die rechtliche und gesellschaftstheoretische Funktion des Eigentumsbegriffes spielt in diesen Zusammenhängen eine entscheidende Rolle.
Neue Regeln
Wissen "besitzt" man nicht wie einen Pullover (Stephan Eissler). In kollaborativ organisierten Enzyklopädien (Gunter von Aken) und Archiven (Herbert Hrachovec) herrschen neue Regeln der Wertschöpfung.

Die Zusammenarbeit setzt neue Akzente im Journalismus (Marion Hamm, J. Martin Pedersen) und erfordert entsprechende juridische Absicherung. Als ersten Schritt dazu stellte Creative Commons Austria eine Lizenz vor, die gewährleistet, dass digitale Materialien allgemein nutzbar bleiben und nicht für kommerzielle Zwecke privatisierbar sind.
Vernetzte Wissensproduktion
Die Konferenz brachte auch Beiträge mit handfestem politisch-praktischem Bezug, z.B. der Wiener Grünen und der "Linux Experts" der Wirtschaftkammer. M. Jakubowski stellte ein Projekt nachhaltiger Landwirtschaft vor, das seine Inspiration aus den Handlungsabläufen quelloffener Software bezieht.

Auch die Herstellung von Hardware lässt sich nach diesem Muster organisieren (Graham Seaman, Claus Müller, Christof Beaupoil).

Im Abschlusspanel der Konferenz wurde die Weiterentwicklung der zahlreichen Impulse gefordert. Ein gutes Beispiel vernetzter Wissensproduktion ist die Chance, sich in den Prozess einzuschalten. Dazu stehen digitale Anlaufstellen zur Verfügung wie die Homepage der Initiative und das Oekonux Wiki.

Die Aufforderung ist nach wie vor aktuell: "Passt auf. Bildet Banden. Organisiert euch!" (Christoph Spehr) .
->   Homepage des Projekts Oekonux
->   Sämtlicher Beiträge von Herbert Hrachovec in science.ORF.at
 
 
 
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