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Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft .  Leben 
 
Bedingungen für Freiheit (2): Das Experiment  
  Beim Sprechen werden jene Schallwellen erzeugt, aus denen Worte und Sätze bestehen. "Tintenfass" bedeutet etwas anderes, als "Tintenfarce". Woran liegt das? Akustische Analysen werden nicht weit führen. Es beruht auf der Projektion eines bestimmten Lautsystems auf die hörbaren Daten.  
Dass etwas überhaupt ein Sprechlaut ist - z.B. im Unterschied zum Räuspern - kann nur mit Hilfe phonologischer Ordnungen entschieden werden. Dafür reichen Tonabfolgen nicht, auch wenn sie zum Verfahren unentbehrlich sind.
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Dieser Artikel ist Teil einer fünfteiligen Serie zum Thema "Willensfreiheit". Bisher erschienen: Bedingungen für Freiheit (1): Anfangen.
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Keine Freiheit in der Hirnelektrik
Das augenblicklich heftig diskutierte neurophysiologische Experiment Benjamin Libets hat eine ähnliche Struktur. Auf der einen Seite werden neuro-elektrische Impulse aufgezeichnet, auf der anderen Seite liegt ein Deutungsmuster.

Die Provokation besteht in der Verbindung der beiden Perspektiven: das Erregungsdiagramm soll Aufschluss über den Verlauf willentlich ausgelöster Handlungen geben. Ein erster Einspruch: Sowenig wie die Sprache in Lautwellen, befindet sich der Wille in der Hirnelektrik. "Lokale präparatorische Erregunsveränderungen großer Nervenverbände" (Niels Birbaumer) enthalten weder Freiheit noch Unfreiheit.

Zugegeben, aber die Versuchsanordnung lässt sich vorsichtiger beschreiben. Ihr Objekt sind die neurologischen Korrelate der Willenstätigkeit.
Freier Wille klischeehaft reduziert
Vorsicht ist angezeigt, wenn Philosophinnen (m/w) sich in empirische Forschungs-Designs einmischen, aber eine Anmerkung ist unerlässlich.

Was unter "Willenstätigkeit" zu verstehen sei, übernimmt die Neurophysiologie aus externen Quellen; wie auf die Akustik Ergebnisse der Phonologie aufgesetzt werden. Nur dass der Referenzrahmen im ersten Fall ziemlich verschwommen ist.

Die Spannweite zwischen neurologischen Daten und den Vorgaben des Deutungssystems ist ungewöhnlich groß. Und das Verständnis von "freiem Willen", das B. Libet heranzieht, ist klischeehaft reduziert.

Eine selbstgewählte Armbewegung gilt ihm als repräsentatives Ereignis. Belassen wir es einmal bei dieser Konstruktion und registrieren die Ergebnisse der Libetschen Zuordnung.
Bereitschaftspotenzial liegt vor Entschluss
Die Untersuchung zeigt, dass derartigen Körperbewegungen im Unterschied zu spontanen Reaktionen ein messbares "Bereitschaftspotenzial" vorausgeht. Wenn man den Zeitpunkt lokalisiert, zu dem Versuchspersonen ihren "Entschluss" zur Bewegung ansetzen, zeigt sich ein bemerkenswertes Ergebnis: er liegt zwischen dem Aufbau des Potenzials und der Innervation des Körperteils.

Eine bewusste Steuerung kann den eingeleiteten Vorgang abbrechen, aber sie liegt ihm nicht zuvor. Das heißt: die Vorstellung, dass wir beim raschen Fingerschnippen vorweg eine nachweisbare Bewusstseinstätigkeit vollziehen und daran anschließend zur Handlung übergehen, passt nicht zum neuro-elektrischen Befund.
Wann beginnt eine Handlung?
In sonagraphischen Mustern von Lautfolgen ist der Begriff "Anfang eines Lautes" nicht eindeutig definiert. Wie und wo ein Laut beginnt, bemisst sich aus dem Kontext und aus der Sinnzuschreibung.

Das gilt auch für den "Beginn einer Handlung" im psychologischen Experiment. Welche Messergebnisse man als Indikatoren für den Beginn einer Handlung ansieht, hängt maßgeblich am Begriff einer Handlung. Und umgekehrt bestimmt in dieser Korrelation die Beschaffenheit der Daten, was im Deutungssystem von ihnen verständlich gemacht werden kann.

Also doch: Die Messung von Klangwellen ergibt keinen semantischen Unterschied, die Registrierung von Gehirnströmen eignet sich nicht zur Lokalisierung von Freiheit.

Die Auswertung des Experiments springt unkontrolliert zwischen dem Messresultat und der Betrachtungsweise. Ein Stoffstück ist rot-weiss-rot gefärbt, das macht es nicht zu einer Nationalfahne.
(Zu) kurze Zeitspanne
Die Konsequenz ist ein Vermittlungsangebot zwischen Hirnforschung und konventioneller Theorie. Wer der Auffassung ist, "der freie Wille" ließe sich am Musterfall des sekundenschnellen Fingerschnippens untersuchen, wählt einen Methodenrahmen, der nur beschränkte Verallgemeinerungen zulässt.

Das Beispiel aus der Lautforschung legt nahe, in derart kurzen Zeitspannen mit Beginn-Zuschreibungen vorsichtig umzugehen. Vor allem aber fragt sich, wie sich ein einigermaßen normaler Begriff von Freiheit in diesem Messabschnitt abbilden lässt. Schließlich dreht sich die Aufregung nicht um das Auftreten einer Amplitude, sondern um die unterstellte Determiniertheit des menschlichen Handelns.

Etwas anspruchsvoller sollte der Handlungsbegriff also sein. (Farben alleine machen keine Fahne.) Eine Handlung muss man ausführen oder unterlassen können. Demnächst mehr darüber.

[18.1.05]
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