Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft 
 
Bedingungen für Freiheit (5): Debatten  
  Gründe dienen dazu, Personen von der Gültigkeit von Behauptungen und der Attraktivität von Vorschlägen zu überzeugen. Zum Beispiel in der Auseinandersetzung über Willensfreiheit. Die Serie, die hier zu Ende geht, wäre ganz sinnlos, wenn sie nicht dazu beitrüge, Positionen gegeneinander auszuspielen, ihre Plausibilität zu prüfen und sich allenfalls für eine Option zu entscheiden.  
Soviel Beweglichkeit ist jedenfalls vorausgesetzt, wenn Forscherinnen (m/w) respektvoll miteinander sprechen. Das heißt zumindest: Zwischen den Stellungnahmen gibt es eine Wahl.

Die Kommentare der Leserinnen (m/w) dieses Forums demonstrieren den Spielraum deutlich. Ich antworte auf einige, um den Gedankengang abzurunden.
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Dieser Artikel ist Teil einer fünfteiligen Serie zum Thema "Bedingungen für Freiheit". Bisher erschienen:
1: Anfangen
2: Das Experiment
3: Können
4: Gründe
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Es gibt mehr als zwei Möglichkeiten
Es gibt Alternativen, für welche argumentiert werden kann, andernfalls reden wir hier bloß herum. Das kann man sehr minimalistisch halten. "Man hat genau zwei Möglichkeiten", nämlich die universelle Determination durch Naturgesetze oder die Einführung eines metaphysischen Prinzips (salai, 18.1.).

Ein eigenartiger, selbst auferlegter Zwang. Wo steht geschrieben, dass es sich darauf reduziert? Ein Erdbeben ist entweder ein Naturereignis oder ein Gottesgericht? Da liegt einiges dazwischen: eine Katastrophe, ein Trauma, ein Impuls für die Bauwirtschaft. Programmatisch gesagt: überall, wo es zwei Möglichkeiten gibt, gibt es mehr als zwei Möglichkeiten.
Reaktionen der Leserinnen ...
Die Reaktionen der Leserinnen (m/w) bieten ein buntes Bild. Ein starker Impuls sind die Versuche, das Handeln von Personen durch ein Zusammenspielen "unterschiedlicher Bewusstseinsebenen" (nomsim, 18.1.) verständlich zu machen.

Diese Betrachtungsweise entspricht auch dem Diskussionsstand der naturwissenschaftlich orientierten Philosophie der Psychologie. Der Mensch besteht aus zahlreichen Automatismen, die stellenweise einer übergeordneten Kontrollinstanz unterworfen sind.

Auch dieses Modell lässt sich mit der schwarz/weiß-Frage unter Druck setzen. Zieht die Kontrollinstanz nur die Endsumme aus den Eingaben der unteren Instanzen, oder hat sie ein davon unabhängiges Pouvoir?
... im Gehrock des 19. Jahrhunderts
Es ist ein Denkreflex. Entweder es war der Alkohol oder der freie Wille (fouloleron, 18.1.). Wo bleiben die Nuancen? Streckenweise diskutieren wir im Zylinder und Gehrock die Agenda des 19. Jahrhunderts.

"Wir haben einen freien Willen", das klingt wie "Sie hat einen Bausparvertrag" und wer sich auf die Suche nach dem Willen macht, kann ihn nicht finden. (Vielleicht den "letzten Willen".)

Heutzutage ist darauf hinzuweisen, dass sich das Wörtchen "haben" in diesen beiden Sätzen unterschiedlich verhält. "Ein freier Wille" ist nicht von der Art, dass er einfach konstatiert oder vermisst werden kann.
Die Debatte verlagern
Wer sich auf das Spiel "Wo ist er denn zu sehen?" einlässt, hat sich vorneweg dem Druck der Schwarz-weiß-Fraktion gebeugt. Nur in diesem Rahmen kommt es zum defensiven "zweifle, ob es wirklich nur diese beiden Möglichkeiten gibt! (nive, 18.1.) und dem generösen "OK, immer raus damit!" (salai, 18.1.)

Das Kunststück besteht darin, die Debatte zu verlagern. Um die Pointe unseres Redens vom freien Willen zu sehen, sind Exkursionen in Themenbereiche wie Anfangen, Können und Begründen nötig gewesen.

"können muss man dürfen" (hellmoodeville, 26.1.) lese ich so: Zur Fähigkeit, etwas zu tun, gehört eine Freigabe. Es muss gestattet sein, zu wählen und davon ist die entweder/oder Variante eine Minimalform.
Genuss einer nuancenreichen Beschreibung
Mit "Freigabe" sind wir nahe an Metaphysik und Religion. "Dass alle Menschen einen freien Willen haben" (Karl Bednarik, 27.1.) beruht nach meinen Ausführungen darauf, dass sie in den Genuss einer nuancenreichen Beschreibung ihres Verhaltens kommen können. So ist es neutral formuliert.

Es fragt sich - darüber hinaus - wer diesen Genuss garantiert und damit sind Instanzen angesprochen, deren Bestehen und Wirksamkeit sprachphilosophisch nicht zugänglich ist. Menschen als Richterinnen (m/w) über Menschenleben (allgeier, aasgeier, 28.1-29.1.) tangieren diesen Punkt.
Entkrampfung und Retourkutsche
Das ist also ein Plädoyer zur Entkrampfung der Debatte zwischen der "gottlosen Wissenschaft" und den "Werten des christlichen Abendlandes".

Für jene, denen eine Retourkutsche lieber ist, empfiehlt sich dieses "Paradoxon": "Haeckel ärgert sich über die Juristen, die sich nicht drum kümmern, dass die Kriminellen, die sie verurteilen ja keinen freien Willen haben. Er merkt aber nicht, dass dann ja auch die Juristen determiniert handeln, ja und sein Ärger ist ja auch determiniert." (marlenew, 12.1.)

So sieht es aus, wenn das Manöver der Zuschreibung von Verantwortung abgeblockt wird. Ein Zustand ohne Ärger. Ein direkter Übergang von der Naturwissenschaft in die Erlösung vom Ich.

[9.2.05]
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Literaturhinweise:
Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. München, Wien 2001
Petra Gehring: Es blinkt, es denkt. Die bildgebenden und die weltbildgebenden Verfahren der Neurowissenschaft. In: Philosophische Rundschau 51 (2004). S. 273-295
Thomas Metzinger: Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie. Paderborn 2001
Michael Pauen: Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung. Frankfurt/M 2001
Jürgen Schröder: Einführung in die Philosophie des Geistes. Frankfurt/M 2004
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