Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft 
 
Toleranz und Krieg  
  Vor etwas über einem Jahr wohnte ich während einer Vortragsreise im "Österreichischen Kulturforum", das eben während der Ausschreitungen in Teheran beschädigt worden ist. Die Vorlesung dieses Studienjahrs handelt von Toleranz. Eine Überlegung zur Protestserie gegen die Karikaturen des Propheten Mohammed ist angebracht. Ich formuliere vier Thesen.  
1. Toleranz bezieht sich auf die innere Ordnung von Staaten
Natürlich gibt es unterschiedliche - und ausgesprochen weite - Verwendungsweisen dieses Begriffes. Um einigermaßen präzise zu bleiben, empfiehlt sich die Orientierung an seiner Entwicklung im europäischen Staatenverbund.

Die Erfahrung der Religionskriege und die intellektuelle Bewegung der Aufklärung haben eine Verfassungstradition begründet, der gemäß ethnischen und religiösen Minderheiten die Freiheit ihrer Lebensführung zugesichert wird. Konflikte über den Sinn des Daseins dürfen nicht mit Gewalt ausgetragen werden.

Innerhalb solcher Verhältnisse ist der Aufruf zur Bekämpfung von Glaubensgemeinschaften ("Köpft die Ungläubigen!") indiskutabel und zumindest durch den Verfassungsschutz zu überwachen.
2. Zwischenstaatliche Beziehungen regelt die Diplomatie
Die westlichen Industrienationen teilen Geschichte und Theorie der demokratischen Einbindung von Minderheiten. (Ausnahmen sind leicht zu finden.) Weder in post-kolonialen afrikanischen Gesellschaften, noch in gelenkten asiatischen Planwirtschaften, noch im arabischen Raum sind diese Voraussetzungen gegeben.

Die Tradition der Toleranz und Menschenrechte ist gegenüber diesen Gesellschaftsordnungen zu vertreten, aber sie kann gegen die dortigen Staatsformen nicht das europäische "Erfolgsmodell" durchboxen.

Solange Aufklärungsprozesse an die Grenzen der kulturellen und religiösen Selbstbestimmung von Nationen stoßen, ist Respekt zwischen Staaten erforderlich. Das bedeutet selbstverständlich auch den Schutz fremder Staatsangehöriger vor lokalen Attacken.
3. Ein Kriegszustand ist nicht der Ort für Toleranz
Karikaturen in einer unbekannten dänischen Zeitung scheinen ein lächerlicher Grund für internationalen Aufruhr.

Man kann die Reaktion auf diese Bilder jedoch als eine verspätete, verschobene Replik auf die Fotos aus dem Gefängnis Abu Ghraib auffassen. In ihnen ist symbolisch fassbar geworden, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten einen Krieg auf arabischem Boden führen.

Zehntausende Tote im Irak zeugen nicht von Toleranz. Unter diesen Umständen sollte man mit der Einforderung zivilisierter Umgangsformen vorsichtig umgehen.
4. Den (möglichen) künftigen Religionskrieg in Europa wird dessen "Erfolgsmodell" verursacht haben
Die Trennung "Toleranz im Staat" - "Diplomatie zwischen Staaten" ist offensichtlich unbefriedigend.

Bedeutende islamische Minderheiten leben in Frankreich, Großbritannien und auch in Österreich. Sie sind vom Krieg, den der Westen gegen islamisch geprägte Länder führt, direkt affiziert. Von ihnen ist zu fordern, dass sie sich nach den Regeln der Aufenthaltsländer richten.

Deren Regierungen können aber nicht erwarten, dass sie die Loyalität jener Staatsbürger gewinnen, deren Herkunftsländer sie drangsalieren und bombardieren.

Die neuen Religionskriege sind nicht durch Verfassungen im alten Stil einzudämmen, weil die imperiale Expansion des Westens den Widerstand gegen sein Staatsmodell bestärkt und - in globaler Interdependenz - auf seinem eigenen Territorium etabliert.

[8.2.06]
->   Hrachovec: Vorlesung zum Thema Toleranz
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Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Experte: Kein striktes Bilderverbot im Islam (3.2.06)
 
 
 
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