Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Wissen und Bildung 
 
Wissenschafts-Olympiade statt Uni-Qualität  
  Warteschlangen im Postamt, überfüllte Recycling-Container - wir erwarten Qualitätsverbesserungen. Universitäten sind nicht ausgenommen. Wissenschaft schützt nicht vor Nachlässigkeit, Selbstgefälligkeit und Schlendrian. Darum wird niemand etwas gegen Qualitätsoffensiven an österreichischen Hochschulen einwenden können. Klingt gut, entspricht bestehenden Bedürfnissen, bringt positive Presse. Her mit dem Plan zur Steigerung der Exzellenz?  
Papier ist geduldig. Es sind schon viele gute Vorsätze verkündet worden, darum empfiehlt sich etwas Skepsis.

Ich werde - einem aktuellen Anlass folgend - einige Überlegungen zur Exzellenz im Wintersport anstellen und die Ergebnisse auf die Initiative zur Qualitätssicherung beziehen, mit der das Rektorat der Universität Wien soeben die Belegschaft konfrontiert.
Medaillenbilanz zeigt Spitzenplatz
Die Olympischen Winterspiele zeigen, dass Österreich in einigen Disziplinen zur Weltklasse gehört. Die Endabrechnung ergibt einen Spitzenplatz. Das war schon anders und für die Sommerspiele ist nichts Ähnliches zu erwarten.

Der Medaillenspiegel bietet Genugtuung auf den ersten Blick, "der österreichische Sport" hat sich als international konkurrenzfähig erwiesen. Dieses Wohlgefühl begleitet einen viel komplizierteren Zusammenhang.
Stärken und Schwächen
Die alpinen Bewerbe sind schon seit jeher eine Stärke, Skispringen manchmal, Eislaufen war vor langer Zeit eine Erfolgsdisziplin, Eisschnelllauf hing an einer eingebürgerten Athletin. Beim Freestyle-Skisprung und Curling: Fehlanzeige; vom Biathlon schweigen wir lieber, da sind wir Weltklasse der anderen Art.

Wer sich ein Gesamtbild des österreichischen Wintersports machen will, muss historische und organisatorische Differenzen berücksichtigen.

Spitzenleistungen und Breitensport, Kriminalfälle, die Wetterlage und heroische Einzelkämpferinnen gehen in die Bilanz ein. Politisch vertretbare Sportförderung unterscheidet sich vom Sponsoring des alpinen Skipools durch die Industrie.
Journal-Publikationen wie Medaillen
Leider bewegt sich das Qualitätsbewusstsein des Rektorates der Universität Wien auf dem Niveau des Medaillenzählens. Die Parallele wird dadurch nahe gelegt, dass es für einige (speziell naturwissenschaftliche) Disziplinen so etwas wie Olympische Spiele gibt, d.h. einen international homogenen, alternativlosen Wettbewerb.

Veröffentlichungen in "Science" oder "Nature" sind das Äquivalent zu einem Platz am Podest in Turin. In einer einschlägigen Bilanz (aus Shanghai) bringt es (vergleichbar der Sommerolympiade) die Universität Wien derzeit auf Rang 85.

Da muss etwas geschehen, eine Qualitätsoffensive. Sie nimmt seltsame Züge an.
Wissenschaft: IOC mit ständig neuen Regeln
Für zahlreiche Wissenschaften existieren keine einspaltigen, global verbindlichen Leistungsparameter. Die Geschichte der Karibik oder die Dramen Grillparzers sind nicht international breit verteilt wie Datenbankprogramme.

Mitunter ändert sich in hochaktuellen Forschungsgebieten (Gender Studies, Medientheorie) der institutionelle Rahmen kurzfristig und dramatisch. Neue Kommunikations- und Interaktionsformen tauchen auf.

Wissenschaftstheoretisch begründete Kontroversen zwischen oppositionellen Schulen (klassische Physik versus Stringtheorie, empirisch-statistische und qualitative Sozialforschung) durchziehen das Feld der Konkurrenz. Die Wissenschaft gleicht einem olympischen Komitee, das die Regeln der etablierten Sportarten ständig verändert und immer wieder neue Disziplinen einführt.
Formalien statt Gemeinwohl-Analyse
Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang eine genaue Analyse der bestehenden Stärken und Schwächen, verbunden mit Diskussionen über das Profil einzelner Fächer und ihren Beitrag zum Gemeinwohl. (Es gibt gute Gründe für eine "österreichische" Meeresbiologie.)

Stattdessen setzt das Rektorat auf Formalien. "Bei mehreren Fakultäten wurde eine Steigerung der Publikationsleistung vereinbart" heißt es dazu in einem Protokoll.

Und eine Anzahl von Fakultäten bekommt den Auftrag, Listen der besten Publikationsorgane in der jeweiligen Disziplin zu erstellen, auf dass sie an ihnen gemessen werden können.
Wie die Jagd nach Haubenköchen in 5-Stern-Hotels
Wie eingangs gesagt: Vieles lässt sich verbessern. Die Frage ist allerdings, ob man nach Goldmedaillen unterwegs ist, oder einen Blick auf die Rahmenbedingungen wirft, unter denen eine solche Konkurrenz stattfindet.

Aus den Theologien, Philologien, Geschichtswissenschaften und der Philosophie sind bereits Proteste gegen die Stratifizierungspläne des Rektors vorgebracht worden. Diese Strategie gleicht der Jagd nach Haubenköchen in 5-Stern-Hotels.

Nichts gegen derartige Prestigeobjekte, und nichts gegen Nobelpreisträgerinnen. Sachlicher (und darum wissenschaftlicher) wäre, sich klar zu machen, dass es in den meisten Fällen keine gemeinsame Güteskala für alle Angebote eines Bereiches gibt (Luxusrestaurants, Beiseln, Cafes, Heurigenlokale, Würstelstände). Eine Tabelle ist eine Oberfläche, die Qualitäten der einzelnen Bereiche bleiben dem Blick auf sie verborgen.

[27.2.06]
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