Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft 
 
Von Wien bis New York: Kritik durch Satire  
  Vor 100 Jahren, im Mai 1907, machte sich der Wiener Männergesangsverein auf die Reise in die Vereinigten Staaten. Die Presse verfolgte das Unternehmen mit dem bekannten Gusto für Gesellschaftsklatsch und Karl Kraus zerpflückte ihre Dummheiten in der "Fackel".  
Wie gewohnt spannte er den Bogen seiner Satire bis zur Staatspolitik und Metaphysik: "Österreichs politische Repräsentanz wird auf sein Schicksal weniger Einfluss haben, als ein Leichenkutscher auf die Unsterblichkeit der Seele."
Jon Stewart als Nachfolger von Karl Kraus

Jon Stewart
Die weltpolitischen Gewichte haben sich verlagert; das Zentrum der Macht und die Adresse für Satire sind in die USA gewandert. In New York hat eine TV-Station "Comedy Central" die Rolle übernommen, die Karl Kraus vorspielte. Zu seiner Zeit war es die Tagespresse, die sich der Sensationslust der Bevölkerung annahm und sie aktuell befriedigte.

Heute sind es die 24-Stunden Nachrichtenkanäle, die attraktive Neuigkeiten (Eifersuchtsdrama in der NASA, Drogentod eines Ex-Models) publikumswirksam aufbereiten und rund um die Uhr kommentieren.

Jon Stewarts "The Daily Show" ist ein halbstündiges Nachtprogramm (Montag bis Donnerstag), das die hirnlose Heuchelei dieses Journalismus bloßlegt.
Kritik an Quotenjagd und Politik

Wie Karl Kraus sieht Jon Stewart eine direkte Beziehung zwischen der Jagd nach Quoten und dem Versagen der Medien angesichts der elementaren Erfordernisse politischer Meinungsbildung.

Das probate Mittel, zumindest einen Knallkörper zur Warnung zu zünden, ist die Satire. In stellenweise atemberaubenden Sequenzen macht Jon Stewart die politische Elite Washingtons lächerlich.

Unlängst forderte George W. Bush Geduld im Irakkrieg: "We're making progress." Stewart verfolgte die Phrase in frühere Auftritte zurück: 2006, 2005, 2004. Dann die Ankündigung Bushs am 1.Mai 2003: "We have prevailed" und das Zeichen im Hintergrund: "Mission accomplished!"

Darauf Jon Stewart: Ach, darin liegt das Problem. Wir sollten die Zeit von vorne nach hinten leben. Zuerst der Sieg und dann der Fortschritt, der zum Sieg führt.
Bagdad als Pacman-Szenario
 


Ein regelmäßiges Feature der "Daily Show" sind getürkte Korrespondentenberichte. Nachrichtensendungen im Fernsehen bedienen sich der zugespielten Kommentatorin, um der Melange von Präsentation, Bildberichten und illustrierender Graphik eine fachmännische Note hinzuzufügen.

Im Ton dieser Zuspielungen persifliert Jon Stewart und sein Team die Welterklärungsmuster oder Besänftigungsdialoge.

Aasif Mandvi, "Bürochef in Bagdad", berichtet von der Absicht des Pentagon, die Stadt durch Mauern in ein Pacman-Szenario zu verwandeln, damit US-Soldaten gefahrlos Terroristinnen in farbigen Burkhas erschießen können.
Multimedia als Gegenwehr
Karl Kraus hat sich sprachlich über den Männergesangsverein hergemacht, der "sein Stimmrecht in Amerika ausübt". Der Schiffsmast gab ihm Gelegenheit, über den "Transport von Mastbürgern" zu ätzen.

Es reicht nicht, den Satiriker als Kulturerbe zu feiern. Die multimediale Umgebung enthält vertiefte Abgründe und bietet gesteigerte Gelegenheiten zur Gegenwehr.

Jon Stewarts Sendungen zu verfolgen bedeutet, abgesehen vom puren Vergnügen, den Weg zu erinnern, an dessen Beginn Karl Kraus bereits perfekte Medienkritik geübt hatte - um so gestärkt den Zukunftsaussichten gewachsen zu sein.

[11.5.07]
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