Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Wissen und Bildung 
 
"Powerpoint-Karaoke": Vorsprechen und Seitenblicke  
  Al Gore befehligt in seinem Film "An Inconvenient Truth" das gesamte Arsenal moderner Präsentationstechniken mit beiläufigen Handbewegungen.  
Umso einprägsamer ist die Szene, in der er eine Graphik abschreitet, die den Verlauf der CO2-Konzentration der Erdatmosphäre über einen Zeitraum von 650.000 Jahren darstellt.

 


In der Gegenwart angelangt zeigt die Kurve einen steilen Anstieg. Al Gore besteigt eine Hebevorrichtung und fährt die Linie hoch. Zuvor hatte er noch angemerkt: "Wenn ich mich mit dem Apparat nicht umbringe."
Publikumswirksame Effekte
Der Politiker steht auf der Bühne und inszeniert einen publikumswirksamen Effekt. Er setzt seinen Körper dazu ein, die Pointe einer Illustration zu verdeutlichen, in der es um eine beängstigende Entwicklung geht. Das Mittel ist theatralisch; es handelt sich um eine Aufführung. Die Szene appelliert an die Vernunft des Publikums, aber sie bedient sich eines Show-Effekts.

Im akademischen Betrieb ist so etwas verpönt. Auch dort stehen kluge Personen auf dem Podium, doch ihre körperliche Präsenz dient primär der Mitteilung (oft der Verlesung) vorbereiteter Manuskripte.
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Tagungs-Hinweis
Vom 1. bis 3. November findet an der Uni Wien die Tagung "Tabellen, Kurven, Piktogramme. Techniken der Visualisierung in den Sozialwissenschaften". Herbert Hrachovec spricht dabei zum Thema "Zur Epistemologie von Powerpoint-Karaoke".
->   Mehr über die Veranstaltung
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Weniger Inszenierung an den Unis
Das Publikum folgt in diesen Fällen den Ausführungen der Sprecherinnen (m/w). Ein Vortragspult erhebt sich nicht in die zweite Etage. Es ist ein Ort der Gedankenübermittlung, an dem eine Beauftragte die Ergebnisse ihrer theoretischen Arbeit mitteilt.

Die Inszenierung solcher Ausführungen ist in der Regel minimal. Gedankengängen kann man gut mit geschlossenen Augen folgen, obwohl es langsam aus der Mode kommt.

 


Bildzusätze sind gefragt und an vielen Stellen sachlich angezeigt. So etwa, wenn Al Gore die handschriftlichen Korrekturen projeziert, die ein politischer Zensor an einem Projektbericht zum Klimawandel anbringt.
Von verbalen Komparsen zu verdrehten Flugobjekten
Vergleichsweise wenige projezierte Worte sind derart unerlässlich. Der Regierungsbeamte, der offenbar aus strategischem Kalkül handelte, wurde entlassen und kam sofort bei Exxon Mobile unter. Al Gore bringt eine polemische Pointe an, die er mit einem Zitat von Upton Sinclair unterstützt.

 


Der Satz wird, parallel zu seiner sprachlichen Artikulation, den Zuhörerinnen (m/w) vor Augen geführt. Er fällt in die Kategorie der Vorführung. Seine Präsentation ist nicht mit schauspielerischem Einsatz verbunden und andererseits für den Gedankengang entbehrlich. Sie ist ein theatralischer Effekt, den der Redner zur Unterstreichung seiner Worte anbringt.

Der Kniff ist wohlbekannt. Software unterstützt Präsentationen, indem sie Stichworte und Merksätze dramatisiert, d.h. als verbale Komparsen auf die Leinwand beamt. Was mit Romanzitaten beginnt, führt zu raffiniert verdrehten Flugobjekten, die dem Publikum die neuesten Programmiertricks demonstrieren.
Powerpoint Karaoke: Es fehlt eine Tonspur
Bild:Fachschaft Informatik, TU Kaiserslautern
Es ist eine Hilfe, es ist eine Plage. Eine schöne Verdeutlichung des Dilemmas bietet die Idee des "Powerpoint Karaoke". Zur Unterhaltung trägt jemand per Zufall aus dem Netz geholte Präsentationen vor. Das heißt: die Slides funktionieren wie die Orchesterbegleitung, zu der die Vortragende ihr Solo singt.

Die Sache ist nicht nur ein witziger Einfall. Sie beleuchtet eine theoretisch noch wenig durchdachte, neuartige Position vortragender Personen zu ihrem Thema und zum Auditorium. Das Karaoke setup operiert damit, dass zwischen der Musikdarbietung und den Zuhörerinnen (m/w) ein Kanal ausgespart wird: die Tonspur, auf der sich eine Stimme live zur Vermittlungsinstanz zwischen der "Dosenmusik" und den Konsumentinnen macht.

Ein Individuum klinkt sich in die Bühnentechnik ein und wird zum "prosumer", zu einem Hybrid von Produzentin und Konsumenten.
Eine neue Situation der Vermittlung
Die meisten Vortragenden wissen es nicht, aber sie folgen einem ähnlichen Gesetz. Sie können für sich beanspruchen, dass sie den Inhalt ihrer Vorführung selbst "komponieren", aber das Szenario macht aus Berichterstatterinnen Performer.

Die oftmals diletantischen Vorlese-Stücke im Microsoft-Design dokumentieren, dass die Balance zwischen der Mitteilung eines Gedankenganges einerseits und andererseits der im Augenblick entstehenden Vergegenwärtigung von Notizen aus einem vorausliegenden Arbeitsprozess schwierig zu finden ist. Die Option PowerPoint ist nicht bloß eine Ergänzung des Vorlesens und der freien Rede. Sie versetzt die Vortragenden in ein andersartiges, medientechnisches Arrangement.
Alle Augen auf Leinwand gerichtet
Der wichtigste Unterschied hängt nicht an der Computerausstattung, sondern an einer Situation, für die es hergebrachte Formulierungen gibt. Man kann zu einer Gruppe oder vor einer Gruppe sprechen.

Im einen Fall ist gemeint: die Rednerin wendet sich mit einer Botschaft an das Publikum; der andere Fall bezeichnet primär einen Auftritt. "Er sprach vor der Nationalversammlung" heißt: man hat ihn an dieser hervorgehobenen Stelle sprechen lassen.

Die Datenprojektion fügt dieser Redensart einen zusätzlichen Aspekt hinzu. Reden vor Publikum besagt hier, dass eine Person sich vor die Gruppe stellt und nicht auf sie, sondern - wie die Angesprochenen - auf eine Leinwand ausgerichtet ist.

Sie sehen an der Person vorbei auf die Tafel; die Person hat zusätzlich zum Auditorium die veröffentlichte Vortragsunterlage im Blick. Aus einer Zuwendung ist mit dieser Erfindung ein doppelter Austausch von Seitenblicken geworden.

[2.11.07]
->   Powerpoint-Karaoke (Zentrale Intelligenz Agentur)
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