Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft 
 
Gestatten, Exzellenz?
Wie Exzellenz-Kriterien Traditionen bevorzugen
 
  Alle Rezepte zur Verbesserung der Qualität österreichischer Forschung sehen ähnlich aus. Es gilt, sich der internationalen Konkurrenz zu stellen und produktive, in der "Scientific Community" hochgestufte Wissenschaftlerinnen (m/w) zu berufen. Sie sollen auch Drittmittel eingeworben haben, d.h. in der Lage sein, ihre wissenschaftliche Tätigkeit zu verkaufen.  
Beispiel: Professur für Europäische Philosophie
Der Verlauf eines Berufungsverfahrens am Institut für Philosophie der Universität Wien gibt Anlass, auf unerwünschte Nebenwirkungen dieser Maximen hinzuweisen. Ausgeschrieben ist eine Professur für Europäische Philosophie, ein weites Feld.

Knapp unter 100 Bewerbungen trafen ein, zehn Kandidatinnen (m/w) wurden zu einem Probevortrag eingeladen. Die Auswahlkriterien waren wie oben: Publikationslisten, internationale Vernetzung, Drittmittel. Das Ergebnis war eine erstaunliche Engführung.
Fast alle Bewerber zu "Deutschem Idealismus"
Unter allen in Frage kommenden Epochen und Ländern bezog sich die überwiegende Mehrzahl der Vorträge auf Deutschland 1781-1832. Entsprechend selektiv die Wahl der Philosophen: Kant, Hegel und Fichte. Themengebiete: Aufklärung, Vernunft, Subjekt. Nichts über Aristoteles, Leibniz, Heidegger, Wittgenstein, die Phänomenologie, die kritische Theorie oder die Dekonstruktion.

Ich berichte hier nicht über die Qualität des Angebotes, das ist ein anderes Kapitel. Bemerkenswert an diesem kleinen Experiment in der freien Wildbahn des akademischen Lebens ist die Clusterbildung.
Woher kommt die Dominanz?
Seit langer Zeit gilt für eine Gruppe von Philosophinnen (m/w) der Deutsche Idealismus als der philosophische Bezugspunkt. Es gibt gute Gründe, seine herausragenden Ergebnisse zu schätzen und sein Vermächtnis zu pflegen.

Aber die Auffassung, dass sich die "philosophia perennis" um ihn dreht, ist reichlich partikular. Wenn man sich in der Fachwelt umsieht, wird deutlich, dass sie eine sehr spezifische Position - unter mehreren anderen - ist. Wie kommt es dazu, dass sie im vorliegenden Beispiel derart dominiert?
Tradition bestimmt "Exzellenz"
Ein wichtiger Grund sind genau die beschriebenen "Exzellenz"-Kriterien. Wenn in einem bevölkerungsreichen Nachbarland eine lange Tradition T besteht, die sich in beträchtlichen Ressourcen zur wissenschaftlichen Selbstdarstellung und in einer vergleichsweise hohen Anzahl gut ausgebildeter Vertreterinnen (m/w) niederschlägt, ist damit festgelegt, dass sowohl der internationale Ausblick, als auch das Kriterium der Publikationsdichte zugunsten von T wirken.

Es mag sich um eine hochansehnliche Richtung handeln, eines ist sie sicher nicht: derart qualitativ dominant, wie es die in den Auswahlprozess eingebauten Gütekriterien suggerieren.
Innovationen haben schlechte Karten
Wo Qualität herrscht, kommt Qualität dazu. Und dieser Zuwachs akkumuliert sich zu wissenschaftlichen Orthodoxien. Ab einem Punkt haben sie einen starken quantitativen Vorteil gegenüber Alternativen, die sich erst herauszubilden beginnen.

Dann wirkt die Orientierung an der verlässlichen Institutionalisierung systematisch konservativ. Innovation hat in diesem Verlauf schlechte Karten.

Der Rektor verlangt von der Philosophie die Angabe der fünf wichtigsten Fachjournale. Wenn wir ihm eine Liste geben, haben wir den status quo unterschrieben.

[30.1.08]
->   Institut für Philosophie, Uni Wien
->   Alle Beiträge von Herbert Hrachovec in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick