Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Eine Notiz über Fachjargon  
  Fachausdrücke sind umstritten; sie erregen Ärger und Bewunderung. Die Diskussion zu meinen beiden letzten Beiträgen (über das neueste Buch Michael Friedmans) zeigt, dass die Verwendung wissenschaftsspezifischer Terminologie oft als Affront gegenüber Laien empfunden wird.  
Unentbehrliches Instrument, intellektuelle Anmaßung?
Andererseits dienen solche Ausdrücke auch als Portale: Sie markieren standardisierte, in Einführungen erläuterte Zugangsmöglichkeiten in den Elfenbeinturm. Wer etwas mit "Neo-Kantianismus" verbindet, ist schon ein Stück weit in die Philosophie eingedrungen.

Es ist leicht, mit diesem Thema zu polarisieren. Für die einen handelt es sich um unentbehrliche Instrumente, für andere um Symbole typisch intellektueller Anmaßung.
->   Der Anlass zu dieser "Notiz über Fachjargon"
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Ein Beispiel
Darum ist es vielleicht hilfreich, ein Beispiel genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Produktion einer Radiosendung bot die Gelegenheit, die Wirkungsweise des Fachjargons aufmerksam zu verfolgen. Ein Zweck der Sendereihe "Philosophische Brocken" ist die Vorstellung akademischer Abschlussarbeiten; im speziellen Fall handelte es sich um eine sprachphilosophische Dissertation von Gerald Posselt.

Sein Ziel ist, nachzuweisen, dass Sprache nicht darin besteht, Dingen und Sachverhalten Worte anzukleben. Indem wir sprechen, schaffen wir eine Sicht der Welt. "Die Sitzung ist eröffnet" ist mehr als eine Feststellung. Der Satz ist selber eine Tätigkeit, ebenso wie "Tut mir leid." (Die Sendung ist am 24. April um 13 Uhr auf Radio Orange, FM 94.0 zu hören.)
->   Webcast
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Rhetorik, die Kunst der schönen Rede
Auf diesen Aspekt der Sprechhandlung ist man seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts aufmerksam geworden. Eine vernachlässigte Disziplin ist dadurch wieder in den Vordergrund gerückt, die Rhetorik. Die Kunst, schöne Reden zu halten, hat in der Zeit der Industrialisierung und Verwissenschaftlichung des Alltagslebens kaum jemanden interessiert.

Aber Sprache erschöpft sich nicht in Benennung; sie führt ein Eigenleben. Und darum lohnt es sich, einen Blick zurück zu werfen und nachzufragen, welche Kapazitäten man ihr sonst noch zugeschrieben hat. Rhetorik war einmal das systematische Studium der Wirksamkeit von Sprachfiguren und zweckgebundenen öffentlichen Kommunikationsformen. Sie gibt Aufschluss über die Mittel, etwas mit Sprache zu bewegen.
Zwei Versionen
Der nächste Gedankenschritt hat eine praxisorientierte und eine Elfenbeinversion. Die eine Möglichkeit: Was sind diese Instrumente und wie können wir sie heute nutzen? Betrachten wir die Tricks, mit denen Mark Anton in Shakespeares "Julius Caesar" die Menge umstimmt; das ist womöglich instruktiv. Vergleichbar sind die Chemikerinnen (m/w), die im tropischen Regenwald nach medizinisch wirksamen Substanzen suchen.

Die andere Reaktion ist distanzierter. Sie vermeidet die direkte Nutzanwendung und interessiert sich zunächst einmal für den Zustand, der uns fremdartig (geworden) ist. Mark Anton manipuliert die Zuhörer. Wie ist die Rede aufgebaut? Wie passt sie in das Theaterstück? Welche Auffassung hat Shakespeare von der Stimmungslage einer Volksversammlung? Im Vergleich: Welche Rolle spielen Heilkräuter für die Bevölkerung vor Ort?
Rhetorische Figur: Die Katachrese
Zwischen der fremden Welt und dem gegenwärtigen Wissensstand besteht eine Spannung, die übersprungen oder betont werden kann. Ein handgreifliches Beispiel bietet Gerald Posselts Analyse einer rhetorischen Figur, die einen "fürchterlichen" Namen trägt: die Katachrese.

Mit diesem Fachausdruck bezeichnet die Rhetorik sprachliche Wendungen, die weder wörtlich, noch dekorativ zu verstehen sind. "Microsoft Access" ist der Name eines Programms, "Informationsfriedhof" ein blumiges Wort, das einen Aspekt der Software hervorhebt. "Datenbank" ist eine Katachrese.
Der Ausdruck erzeugt die Sache
Es gibt kein Ding, das von diesem Wort bezeichnet oder durch die Formulierung ausgeschmückt würde. Der Ausdruck erzeugt die Sache; seine Funktion ist in der Alternative wörtlich/bildhaft nicht zu fassen.

Er ist ein eigenständiger Wirkstoff im Sprachgebrauch. Wer einmal auf ihn aufmerksam geworden ist, findet ihn in unterschiedlichen Erscheinungsformen von selbstverständlichen Formulierungen ("Einfluss") zur Komik ("vom Zahn der Zeit gebissen").
Es gibt an der Sprache etwas zu entdecken
Damit ist der Streit um Fachterminologie scharf beleuchtet. Eine Person, die von Katachrese spricht, kann sich nicht unschuldig darauf berufen, dass es diese rhetorische Figur eben gibt. Ihr Sprechen ist auch eine Handlung, in diesem Fall (unter anderem) die Anstrengung - und Anmaßung - eine Distanz zwischen dem leicht Erfassbaren und entlegeneren Regionen des Wissens einzurichten.

Kann das gut gehen? Das hängt an der Auseinandersetzung, die damit begonnen wird. Die kurzen Hinweise haben hoffentlich gezeigt, dass es im Fall der Katachrese etwas an der Sprache zu entdecken gibt.

Das lässt sich auch benutzerfreundlich formulieren, wie im Lexikon: "Bildbruch; Vermengung von nicht zusammengehörigen Bildern im Satz". Für einige Zwecke ist die Sache damit abgetan. Aber ein wichtiges Moment geht verloren. Der Ausdruck ist in die Alltagssprache übersetzt - hat jedoch die Umgebung verloren, in der er wirksam war. Man weiß nicht mehr so recht, wozu er nötig ist.
Elfenbeinturm-Vorwurf: Kein Totschlag-Argument
Mitunter ist es angebracht, Fachleute zu entzaubern. Sie reden unverständlich, wo es um Angelegenheiten geht, die alle Welt betreffen. Die Allerweltsweisheiten, die jede (m/w) von uns versteht, reichen andererseits nicht aus, um das Leben komfortabel und interessant zu machen. Dazu ist Sachverstand und Neugierde gegenüber unbekannten Verhaltens- und Sprachformen erforderlich.

Der Vorwurf, "Das kann ja kein normaler Mensch verstehen!", schmerzt. Aber er darf kein Totschlag-Argument werden. Die Verhältnisse, in denen wir uns bewegen, sind voll von Dingen, die kein normaler Mensch versteht, und die wir dennoch zur Kenntnis nehmen müssen.
 
 
 
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