Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Kunst jenseits des Guckkastens  
  Der Beginn der "Wiener Festwochen" erinnert daran: normalerweise gibt es Kunstwerke und Publikum. Die Werke setzen sich in Szene, die Öffentlichkeit sieht und staunt. Man kann auch sagen: "Die Öffentlichkeit nimmt am Geschehen teil", aber ihre Aktivität hält sich in engen Grenzen. Ein Kunstprojekt Christoph Steinbreners, das am 5. Mai am Karmelitermarkt im 2. Wiener Gemeindebezirk eröffnet wurde, setzt andere Akzente.  
Alt-Wiener Institution: Der "Figurinimann"
Auf den ersten Blick handelt es sich um eine verwirrende Vielfalt von Personen, Objekten und Aktionen. Die "Operation Figurini" greift auf eine Alt-Wiener Einrichtung zurück. Der "Figurinimann" verkaufte auf den Märkten der Stadt billige Gipsstatuetten.

An seiner Stelle treten freiwillige Mitarbeiterinnen (m/w), die auf drei Märkten Mitbringsel von 56 Künstlerinnen (m/w) feilbieten.
Objekte und Texte zu acht Schlüsselworten
Die Objekte sind nach thematischen Vorgaben gefertigt. Acht Schlüsselworte("Gerechtigkeit", "Herrschaft", "Kultur", "Natur", "Religion", "Sprache", "Wirtschaft","Wissenschaft") wurden paarweise zu 56 Überschriften kombiniert.

Zu ihnen gibt es auch Textbeiträge, am WWW und auf Einpackpapier. Dann eine Fotodokumentation der Beteiligten und einen Film. Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten.
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Einer dieser Textbeiträge stammt vom Politologen Anton Pelinka. science.ORF.at brachte ihn zu Beginn der "Operation Figurini" unter dem Titel "Religion: Einfache Antworten auf die Fragen nach Gerechtigkeit".
->   Beitrag von Anton Pelinka (3.5.03)
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Soziale Skulptur nach Josef Beuys
Kommentatoren springen helfend ein. Ein Anhaltspunkt ist die Zusammenstellung der acht Grundbegriffe. Sie ergibt eine Art enzyklopädisches Tableau, das nach der Projektidee die lokalen Wiener Verhältnisse aus allgemeiner Sicht darstellen soll. Aber der Querverweis auf Enzyklopädien führt nicht weit.

Das sind systematisch-wissenschaftliche Unternehmen, während die Themenpaare des Projekts eher wie Suchscheinwerfer operieren, die einander zufällig überkreuzen. Die zweite Deutungshilfe gibt der Untertitel, den Christoph Steinbrener bei Josef Beuys gefunden hat: "eine soziale Skulptur".

Diese Formel trifft die Organisationsmuster, in die unterschiedliche Gruppen bei der Verwirklichung des Regieplans gebracht werden. Der Werkstoff dieser Skulptur ist nicht Holz, Metall, Glas, sondern beteiligte Personen. Kunst nicht im Guckkasten, sondern als eine Art Gesellschaftstanz.
Der Figurinimann: Eine antiquarische Intervention ...
Doch auch diese Charakterisierung bleibt an der Oberfläche. Sie sagt nichts über die Idee, nach der sich dieses Arrangement richtet. Aber der Figurinimann ist eine präzis gesetzte Erinnerung. Als Untertitel für die Vorgänge würde sich "eine antiquarische Intervention" empfehlen. Das verweist auf die strategisch provokante Rolle, die diesem Fragment aus der Heimatkunde zugedacht ist.
... kein Wahrzeichen
Der Figurinimann ist kein Wahrzeichen wie das Riesenrad oder das Reiterstandbild Erzherzog Karls; er ist auch keine neugebaute Antiquität wie das Cafe Griensteidl. Ein Griff in die Vergangenheit holt ein Detail und setzt es in einer Zeitreise auf einen aktuellen Marktplatz. Da passt es nicht mehr hin.

Das antiquarische Bewusstsein ist ein seltsamer Zustand. Mit Liebe widmet er sich einem überholten Ding, das er, dem Fortschritt zum Trotz, in der Gegenwart stark macht. Das lachende Auge gilt der Rettung einer schönen Sache, das weinende sieht, dass sie nur durch spezielle Schutzmaßnahmen überlebt.
Kunst und Gemüse, Seite an Seite
Kunstgegenstände für den täglichen Gebrauch kaufen wir nicht mehr von mobilen Händlern (Obwohl das Angebot von Schnitzereien aus Afrika auf Promenaden ein Ausläufer dieser Tradition ist.) Der Lebensmittelmarkt ist vom Kunstmarkt völlig getrennt. Die antiquarische Intervention durchkreuzt die Arbeitsteilung und stellt Kunstwerke wieder an die Seite von Gemüse.

Eine solche Phantasie ist selbst nur als ein Kunstwerk lebensfähig, das heißt: beschützt und betreut von jenen Institutionen, die wir zur Pflege unseres Erinnerungs- und Erfahrungsvermögens eingerichtet haben.
Einen Brauch spielen, den es nicht mehr gibt
Damit die "Wiener Festwochen" nicht auf die Hochkultur beschränkt bleiben, gibt es "Bezirksfestwochen". Auch dort dominiert die Asymmetrie zwischen Showproduktion und Dabeisein.

An der "Operation Figurini" sind viele Menschen in einem stärkeren Sinn beteiligt. Sie spielen einen Brauch, den es nicht mehr gibt, und sehen besser, wo sie sich stattdessen befinden.
->   Operation Figurini
 
 
 
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