Host-Info
Herbert Hrachovec
Institut für Philosophie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Wissen und Bildung .  Technologie 
 
Elektronisch verstärkte Lehre an der Universität Wien  
  Besucherinnen des Kunsthistorischen Museums sind früher allein durch die Räume gewandert, es sei denn, sie nahmen an einer Führung teil. Mittlerweile gibt es eine dritte Möglichkeit: sie tragen einen "audio-guide", der ihren selbstgewählten Weg sachkundig betreut. Die Vorteile des Individualismus und der professionellen Anleitung scheinen darin kombiniert zu sein.  
"Blended learning": Konventionelle und digitale Lehre
Angewandt auf den Unterricht an Universitäten: die Alternative zwischen Selbststudium und dem traditionellen Lehrbetrieb ist unzureichend. Es ist nicht einzusehen, warum der Erwerb von Wissen an die Anwesenheit im Hörsaal und den Gebrauch von Skripten gebunden sein muss.

Vorlesungen lassen sich live im Internet übertragen, Diskussionsforen und on-line-Ereignisse verbinden sich zu neuen Lernerfahrungen. "Blended learning" bedeutet: die experimentelle Kombination konventioneller und digital unterstützter Lehrstrategien.
Neue Situation für Organisation: Techniker mischen sich ein
Unternehmungslustige Vortragende versuchen das schon seit einigen Jahren. Eine andere Frage ist die Auswirkung auf große Organisationen. Jahrhundertelang haben Universitäten ihren Angestellten nicht dreingeredet, wenn es darum ging, wie sie Lehrveranstaltungen durchführen.

Die Entwicklung der Erziehungstechnologie hat die Situation verändert. Die Unterstützung des digital verstärkten Unterrichts erfordert Systemressourcen, die am besten zentral verwaltet werden. So mischen sich Techniker und Softwareentwicklerinnen in den gewohnten Lehrbetrieb.
Probebetrieb an der Universität Wien
An der Universität Wien beginnt dieses Semester probeweise die Betreuung innovativer Lehre durch das Projektteam der "Lehrentwicklung", in Koordination mit dem "Zentralen Informatikdienst".

Ein Dutzend Hochschullehrer (m/w) werden bei der Planung und Implementierung ihrer digital angereicherten Veranstaltungen unterstützt. Die Aktion setzt bescheiden an, wirft aber gleich zu Beginn weitreichende Fragen auf.
Neue Formen von Abhängigkeit
Computerprogramme sind nicht unschuldig. Sie enthalten vielfältige Vorentscheidungen über den betreffenden Sachzweck und den Bewegungsspielraum der Benutzer (m/w). Darüber hinaus sind es in der Regel kommerzielle Produkte, die sich nach Marktgesetzen richten.

Für eine akademische Institution ist das besonders heikel. Wenn sie darangeht, ihre Tätigkeit im Rahmen dieser Voraussetzungen abzuwickeln, handelt sie sich einen neuen Typus von Abhängigkeit ein. Eine "Lernplattform" prägt den Gehalt (und die Haltbarkeit) einer Veranstaltung bedeutend tiefer, als der Verlag des Lehrbuchs oder die Marke des Overhead-Projektors.
Entscheidung für "open source"-Produkt
Darum ist es bemerkenswert, dass die Universität Wien sich dazu entschieden hat, in der Testphase ein "open source"-Produkt, das in Köln entwickelte ILIAS einzusetzen. In verschiedenen Expertisen liegt das Programm gleichauf mit den marktbeherrschenden Angeboten großer Firmen, deren Augenmerk oft der innerbetrieblichen Weiterbildung und weniger dem akademischen Betrieb gilt.

Die Quellen der Software stehen zur Gänze zur Verfügung, können an die lokalen Bedürfnisse angepasst und um erwünschte Funktionalitäten erweitert werden. Die Lehrinhalte, die mit ihrer Hilfe entwickelt werden, bleiben ohne Einschränkungen im Besitz ihrer Produzenten (m/w).
Kein einfaches Unterfangen
Das Unternehmen muss mit Schwierigkeiten rechnen. Erste Ergebnisse sind an einer im Institut für Philosophie installierten ILIAS-Instanz zu sehen. Die Benutzer (m/w) wollen nicht auf den Komfort verzichten, den gebräuchliche Programme bieten und nicht den Eindruck haben, als Testkaninchen eingesetzt zu werden.

Andererseits gehört es zur Definition einer Universität, dass sie nicht einfach Wirtschaftsinteressen reproduziert, sondern sich mit dem Urteil Zeit lässt. Sie ist kein Ort für "product placement". Eigensinn ist nicht selten unbequem; es bleibt abzuwarten, wie produktiv er sein kann.
->   Alle Beiträge von Herbert Hrachovec in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  Herbert Hrachovec :  Wissen und Bildung .  Technologie 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick