Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Euthanasie - ein Sterben in Würde?
Tötung auf Verlangen ist keine ethisch vertretbare Lösung für das Problem des menschenwürdigen Sterbens
 
  Das gestern im niederländischen Senat beschlossene Euthanasiegesetz löst auch in Österreich eine neue Diskussion um Sterbehilfe und menschenwürdiges Sterben aus. Die niederländische Entscheidung weist jedoch in die falsche Richtung.  
Was heißt menschenwürdig sterben?
Europaweit wird über das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben diskutiert. Die Verdrängung des Todes führt in den westlichen Gesellschaften zu offenkundigen Defiziten in der Begleitung von Todkranken und Sterbenden. Mehr als 70 Prozent aller Menschen sterben im Spital oder im Altenheim. Die Zahl der Hochbetagten nimmt zu; traditionelle Familienformen, in denen Sterbende sich geborgen fühlen konnten, schwinden zunehmend. Neben der Angst vor Schmerzen und unerträglichen Leiden ist die Angst vor der Einsamkeit im Sterben besonders groß.
Die Angst und die Einsamkeit der Sterbenden
Nicht nur die Sterbenden, sondern auch ihre Angehörigen fühlen sich oftmals alleingelassen und mit der Pflege überfordert. Daraus erwächst die Angst, anderen Menschen unnötig zur Last zu fallen, oder Ärzten und Pflegepersonal ausgeliefert zu sein und der Würde beraubt zu werden. Es gibt die Angst, entweder unnötig lange am Leben erhalten zu werden oder aber umgekehrt nicht ausreichend medizinisch versorgt zu werden.
Hinter der Forderung nach einem Sterben in Würde stehen nicht nur Ängste, sondern auch handfeste negative Erfahrungen. Daher muß auch in Österreich dringend über eine Verbesserung der Situation von Sterbenden und ihrer Angehörigen diskutiert werden. Es stellt sich aber die Frage, ob das Recht auf menschenwürdiges Sterben auch das Recht auf Euthanasie, d.h. auf Tötung auf Verlangen, einschließt.
Menschenrechte am Lebensende
Auch auf gesamteuropäischer Ebene steht das Thema des menschenwürdigen Sterbens auf der Tagesordnung. Im Sommer 1999 verabschiedete die parlamentarische Versammlung des Europarates eine Empfehlung zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde von Todkranken und Sterbenden.
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Schutz der Menschenrechte und der Würde der Todkranken und Sterbenden
Im Zentrum der Empfehlung 1418 des Europarates steht die Frage, wie weit das Recht auf Selbstbestimmung, das auch in der letzten Lebensphase gilt, reicht und inwiefern es durch das Recht auf Leben in Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention begrenzt wird, wonach kein Mensch absichtlich getötet werden darf. Das Europaratsdokument erklärt jede Form der aktiven Sterbehilfe für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Das Dokument entstand unter Federführung der österreichischen Europaratsabgeordneten Edeltraud Gatterer. Der Entwurf stammt von Mitgliedern des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien.

Eine deutsche Übersetzung des vollständigen Textes findet sich auf der Homepage des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien (unter "Download")
->   Empfehlung 1418 (1999) des Europarats
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Die Grenzen der Autonomie
Angelpunkt der Euthanasiedebatte ist der Begriff der Autonomie. Das erwähnte Dokument des Europarates unterstreicht einerseits die Notwendigkeit, das Selbstbestimmungsrecht von Todkranken und Sterbenden zu stärken. Dazu gehören vor allem das Recht auf Therapieverzicht oder eine Verbesserung der Rechtsstellung von sogenannten Patientenverfügungen und Patientenvollmachten, die für den Fall abgefaßt werden, daß der Betroffene selbst nicht mehr ansprechbar und entscheidungsfähig ist.
Von Befürwortern der Euthanasie wird freilich zumeist mit einem abstrakten Autonomieprinzip argumentiert, welches die Dimension ethischer Verantwortung ausblendet, durch die das Selbstbestimmungsrecht begrenzt wird. Auch nimmt ein abstrakter Autonomiebegriff die besondere Hilfs- und Schutzbedürftigkeit von Schwerkranken und Sterbenden nicht wahr. Das Beispiel der Niederlande zeigt, daß es keineswegs bei der freiwilligen Euthanasie bleibt, sondern immer wieder auch zu Fällen von nichtfreiwilliger Euthanasie kommt.

Es ist aus ethischer Sicht höchst problematisch, die Würde des Menschen an ein nacktes Autonomieprinzip zu binden, das Individualität mit Autarkie und völliger Unabhängigkeit verwechselt, so daß umgekehrt jede Form der Abhängigkeit, der Hilfsbedürftigkeit und Angewiesenheit auf andere Menschen als narzißtische Kränkung angesehen wird.

Ein solches Autonomieverständnis ist zudem strukturell mitleidslos, weil völlige Autarkie nur um den Preis der Beziehungslosigkeit zu haben ist. Hinter dem Wunsch nach aktiver Euthanasie steht oftmals weniger das Leiden der Sterbenden als vielmehr die Hilflosigkeit ihrer Umgebung, die meint, das Leiden eines Anhörigen nicht länger mit ansehen oder ertragen zu können.
Patientenautonomie und ärztliches Ethos
Gegenüber einer einseitig paternalistischen Auffassung des Arztberufes ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zweifellos zu stärken. Die Fürsorge- oder Garantenpflicht des Arztes und seine Verantwortung für den Einsatz medizinisch sinnvoller Mittel bleiben allerdings bestehen. Das Autonomieprinzip bedeutet keinesfalls, daß der Arzt auf unethische Forderungen eines Patienten oder einer Person seines Vertrauens einzugehen hätte.

Die ethisch vertretbaren Möglichkeiten, das Leiden zu bekämpfen, finden ihre Grenze dort, wo dies nur um den Preis gelänge, das Subjekt des Leidens, den Sterbenden, gezielt auszulöschen. Die Zubilligung einer solchen Handlungsweise, wie es nun in den Niederlanden der Fall ist, hat für das Ethos der Ärzte und der Heilberufe, also auch für das Berufsethos von Krankenschwestern und -pflegern, unabsehbare Folgen.
Scheinargumente
Widersprochen werden muß der häufig geäußerten Ansicht, es seien vor allem die Fortschritte der modernen Medizin, insbesondere der Intensivmedizin, die das Problem der Tötung auf Verlangen unausweichlich machten. Der medizinische Fortschritt ist allenfalls der Anlaß, nicht aber der eigentliche Grund für die heutige Euthanasiedebatte.
Im Gegenteil läßt sich einwenden, daß in Zeiten, in denen Möglichkeiten einer wirksamen Therapie oder auch der Schmerzbekämpfung und Symptomkontrolle gar nicht oder nur in geringem Maße gegeben waren, viel eher als heute Anlaß bestanden hätte, schweres Leiden als Indikation für die Tötung auf Verlangen zu akzeptieren. Die Frage aber, welches Leiden als sinnlos oder sinnvoll empfunden wird, ist kein Problem des medizinischen Fortschritts, sondern der religiösen und weltanschaulichen Einstellung und der persönlichen Lebensumstände.

Etliche der Argumente, die heute für das Recht auf freiwillige Euthanasie ins Feld geführt werden, sind tatsächlich seit der Antike hinlänglich bekannt. Sie resultieren nicht aus neuen medizinisch-technischen Entwicklungen, sondern aus einem der christlichen Anthropologie widersprechenden Menschenbild. Fragen des Menschenbildes stehen demnach in der medizinethischen Diskussion ganz oben auf der Tagesordnung.
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Die Stellung der Kirchen zum menschenwürdigen Sterben
Im Jänner 2000 hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich eine gemeinsame Stellungnahme zum Problem des menschenwürdigen Sterbens veröffentlicht. Dem Ökumenischen Rat gehören 14 Kirchen an. In ihrer gemeinsamen Erklärung plädieren die Kirchen, ähnlich wie die Parlamentarische Versammlung des Europarates, für die Stärkung der Rechte von Sterbenden und Todkranken, lehnen aber die aktive Euthanasie und somit auch eine Änderung des österreichischen Strafrechts entschieden ab. Gleichzeitig fordern die Kirchen den Ausbau der Palliativmedizin in Österreich.
->   Ökumenischer Rat der Kirchen in Österreich (siehe unter "Dokumentation")
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Palliativmedizin und "palliative care"
Eine besonders dringliche Aufgabe ist der Ausbau und die Förderung der Palliativmedizin. Deren Zielsetzung ist es, die physischen, psychischen und sozialen Leiden von Sterbenden zu lindern, aber auch spirituellen Beistand zu leisten. Palliatives Handeln reicht über den engen Bereich des Medizinischen hinaus. Ein umfassendes, integrales Konzept pallitaiver Zuwendung zum Patienten wird darum mit dem englischen Ausdruck "palliative care" bezeichnet. Im Wort "care" klingt das lateinische "cura" durch, welches die umfassende Sorge und Fürsorge für den Patienten meint. In der "palliative care" geht es um Sorge und Zuwendung zum Menschen in all seinen Lebensdimensionen.
Die Palliativmedizin hat wisenschaftlich mittlerweile einen sehr hohen Standard erreicht, der jedoch leider noch immer viel zu wenig in die Praxis umgesetzt wird. Nicht nur auf dem Gebiet der palliativmedizinischen Versorgung der Bevölkerung, sondern auch in der medizinischen Aus- und Weiterbildung sind in Österreich Verbesserungen gefordert. Mit diesem Thema wird sich unter anderem eine Enquete des Nationalrats am 29. Mai 2001 im Parlament befassen.
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Palliative Care und Hospizbewegung
Modellhaft für die Palliative Care ist die Hospizbewegung, die sich aus christlichen Wurzeln speist. In ganz Österreich gibt es inzwischen stationäre und auch ambulante Hospize. Die Kapazitäten sind aber nach wie vor zu gering. Auch muß die Finazierung gesichert werden.

Notwendig ist eine flächendeckende Verbesserung der palliativmeidzinischen Versorgung in Österreich. Nicht nur sollte in Spitälern und Pflegeheimen personell, räumlich und einrichtungsmäßig für eine würdevolle Sterbebegleitung, sondern auch in der häuslichen Krankenpflege für entsprechende Möglichkeiten gesorgt werden. Gerade so werden die Angst vor dem Sterbenden und die Einsamkeit der Sterbenden am wirksamsten bekämpft.
->   Dachverband Hospiz Österreich
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Palliativmedizin und Sterbehilfe
Ausgangspunkt der Palliative Care ist eine wirksame Schmerzbekämpfung und Symptomkontrolle. Dadurch wird nicht nur die physische, sondern auch die psychische Situation von Sterbenden wie auch ihrer Angehörigen entscheidend verbessert. Selbst wenn bei schmerzstillenden Maßnahmen eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist, ist dies kein Grund, die Schmerzbekämpfung zu unterlassen. Darüber herrscht unter Medizinethikern Einigkeit. Auch rechtlich ist diese Form der Sterbehilfe abgesichert.
Eine wirksame Schmerzbekämpfung und Symptomkontrolle kann unter Umständen sogar lebensverlängernd wirken. Das von Befürwortern der freiwilligen Euthanasie angebrachte Argument, zwischen Sterbenlassen, indirekter Sterbehilfe und direkter Euthanasie bestehe ethisch kein Unterschied, ist darum in dieser Pauschalität unhaltbar. Es macht sehr wohl ethisch einen Unterschied, ob der Tod eines Menschen durch entsprechendes Tun oder auch Unterlassen gezielt intendiert wird oder nicht.
Das gilt auch für den sogenannten Therapieabbruch. Es macht ethisch einen erheblichen Unterschied aus, ob die Beendigung einer Therapie als gezielte Lebensverkürzung oder als Verzicht auf eine letztlich unethische Sterbeverlängerung begründet wird.

Die Diskussion über Therapieabbruch und aktive Euthansie offenbart aber die Defizite eines einseitig kurativen Therapiebegriffs. Wo die kurative, auf Heilung ausgerichtete Therapie an das Ende ihrer Möglichkeiten gelangt, endet noch lange nicht die ärztliche Fürsorgepflicht. An die Stelle der kurativen hat dann vielmehr die palliative Therapie zu treten. Der Begriff "austherapiert" sollte endlich aus dem medizinischen Wortschatz gestrichen werden.
Für eine Kultur der Solidarität mit den Sterbenden
Läßt sich ein Grundrecht der Tötung auf Verlangen mit guten Gründen bestreiten, so muß doch die auch in Österreich von vielen befürwortete Freigabe der aktiven Euthanasie als Anfrage ernst genommen werden. Wie menschlich ist eigentlich eine Gesellschaft, in der mehr und mehr Menschen nur noch im freien Verfügungsrecht über ihren Tod die Möglichkeit sehen, ihre Menschenwürde im Leben und im Sterben zu wahren? Was wir brauchen ist eine neue Kultur der Solidarität mit den Sterbenden. Sie brauchen unseren Beistand, nicht die todbringende Spritze. Das Euthanasiegesetz der Niederlande weist in die falsche Richtung.
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Buchtips
Ulrich H.J. Körtner, Bedenken, daß wir sterben müssen. Sterben und Tod in Theologie und medizinischer Ethik (BsR 1147), München (C.H.Beck) 1996

Ulrich H.J. Körtner, Unverfügbarkeit des Lebens? Grundfragen der Bioethik und der medizinischen Ethik, Neukirchen-Vluyn (Neukirchener Verlag) 2001
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ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 

 
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