Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Leben und sterben lassen
Ethik am Lebensende, Teil 1
 
  "Sterbefall Mensch? Würde bis zuletzt", lautet der Titel eines internationalen Palliative-Care-Symposiums, das vom 15. bis 17. April in Wien stattfindet. Mehrere Vorträge setzen sich mit den ethischen Fragen der Sterbebegleitung und der Sterbehilfe auseinander, darunter auch der hier in Auszügen dokumentierte Kongressbeitrag.  
Palliative Care
Die WHO definiert Palliativmedizin als Behandlung von Patienten mit einer begrenzten Lebenserwartung aufgrund einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung. Hauptziel der Begleitung ist die (subjektiv empfundene) Lebensqualität.

Palliatives Handeln reicht freilich über den engen Bereich der medizinischen Versorgung hinaus. Überhaupt gibt es heute einen erweiterten Begriff von Palliativmedizin/Palliative Care, der beide nicht auf die Terminalphase eingrenzt, sondern auch die Pflege von Hochbetagten oder von Langzeitpatienten, z.B. von Wach-Koma-Patienten einschließt.

Literatur: S. Husebø/E. Klaschik, Palliativmedizin, 3. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 2003
Absage an aktive Euthanasie
Palliatvmedizin und Palliative Care sind eine Absage an Sterbehilfe im Sinne der Tötung auf Verlangen (S. Husebø/E. Klaschik), nicht aber an selbstbestimmtes Sterben.

Im Gegenteil versucht Palliative Care Menschen bei einem selbstbestimmten Sterben zu begleiten und zu unterstützen. Was der oder die Sterbende braucht und wünscht, steht im Zentrum der Sterbebegleitung. Selbstbestimmung oder Autonomie ist der Angelpunkt in der allgemeinen Diskussion über menschenwürdiges Sterben.
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Symposium "Sterbefall Mensch? Würde bis zuletzt"
Das Symposium "Sterbfall Mensch?" wird von der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universität Klagenfurt und vom Österreichischen Roten Kreuz veranstaltet.

Sterbefall Mensch? Würde bis zuletzt, 3. Internationales IFF-ÖRK-Symposium, 15.-17. April 2004, Palais Auersberg
->   Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung, Abteilung Palliative care und OrganisationsEthik (Dort ausführliches Veranstaltungsprogramm)
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Die Debatte über menschenwürdiges Sterben
Die Diskussion darüber, was menschenwürdiges Sterben bedeutet, wird gegenwärtig nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit bis in den Bereich der Gesetzgebung hinein intensiv geführt. Auch auf gesamteuropäischer Ebene steht das Thema auf der Tagesordnung.

Im Sommer 1999 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine Empfehlung zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde von Todkranken und Sterbenden. Im Zentrum dieses Dokumentes steht die Frage, wie weit das Recht auf Selbstbestimmung, das auch in der letzten Lebensphase gilt, reicht, und inwiefern es durch das Recht auf Leben, welches das Verbot jeder absichtlichen Tötung einschließt (Artikel 2 der Europäischen Menschenrechts-konvention), begrenzt wird.
->   Empfehlung des Europarats 1418 (siehe unter Link "Download")
Euthanasie in den Niederlanden
Während die Empfehlung des Europarats die Legalisierung der Tötung auf Verlangen, also der freiwilligen Euthanasie mit den Menschenrechten für unvereinbar hält, haben die Niederlande im Jahr 2002 durch entsprechende Gesetzesänderungen die Lebensbeendigung auf Verlangen einschließlich der Hilfe bei der Selbsttötung unter bestimmten Voraussetzungen für straffrei erklärt.

Ohne das Gesetz im einzelnen kommentieren zu wollen, muss an dieser Stelle allerdings darauf hingewiesen werden, dass es ausschließlich zugelassenen Ärztinnen und Ärzten gestattet ist, Patienten, deren Zustand für aussichtslos und deren Leiden für unerträglich gehalten wird, auf deren eigenes Verlangen zu töten oder ihnen zur Selbsttötung Beihilfe zu leisten. Ansonsten sind Euthanasie und Beihilfe zur Selbsttötung in den Niederlanden strafbar. Das Strafmaß wurde sogar noch heraufgesetzt.
Sterbehilfe in Belgien und in der Schweiz
Noch liberaler als das niederländische Recht ist die Gesetzgebung in Belgien. Der im Jahr 2002 verabschiedete Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit der freiwilligen Euthanasie nicht nur bei dauernden und unerträglichen physischen Leiden, sondern auch bei psychischen Leiden vor.

In der Schweiz wiederum ist zwar die Tötung auf Verlangen verboten, nicht jedoch - jedenfalls nicht generell - die Beihilfe zu Selbsttötung, die übrigens auch in Deutschland nicht unter Strafe steht. Während die Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaft die Mitwirkung von Ärzten am Suizid schwerkranker Menschen nach wie vor ablehnt, gibt es eine Reihe von Organisationen wie EXIT oder DIGNITAS, die in der Schweiz legal Beihilfe zum Suizid leisten.
Kontroverse Debatte im Europarat
Inzwischen gibt es auch im Europarat eine neue Initiative mit dem Ziel, die erwähnte Empfehlung von 1999 zu Fall zu bringen und durch ein Dokument zu ersetzen, das zwar die Notwendigkeit einer verbesserten Palliativmedizin betont, jedoch auch für das Recht auf Euthanasie und medizinisch assistierten Suizid eintritt (Dokument 9898).

Der Berichterstatter des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Familie, der Schweizer Abgeordnete Dick Marty, glaubt, "dass niemand das Recht hat, einem todkranken oder sterbenden Menschen die Pflicht aufzuerlegen, sein Leben unter unerträglichen Leiden und Qualen fortzusetzen, wenn er selbst beharrlich den Wunsch geäußert hat, es zu beenden". Wie Marty hinzufügt, impliziere das Recht auf Lebensbeendigung allerdings "nicht die Verpflichtung für das Gesundheitspersonal, sich an einem Akt der Sterbehilfe beteiligen zu müssen".

Ob diese Entwicklung tatsächlich, wie Marty behauptet, "in keiner Weise als verminderten Respekt für das menschliche Leben ausgelegt" werden kann, also mit Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar ist, welcher das Recht auf Leben garantiert, darf bezweifelt werden. Der Ausschuss des Europarates für Recht und Menschenrechte hat den Vorstoß des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Familie mit scharfen Worten zurückgewiesen und sich energisch für die Beibehaltung der Empfehlung des Europarates von 1999 eingesetzt (Dokument 9923).
->   Der Europarat
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Der Fall Diane Pretty
Abgesehen von Besorgnis erregenden Untersuchungen, die zeigen, dass neben der legalisierten freiwilligen Sterbehilfe in den Niederlanden und in Belgien auch nicht freiwillige und sogar unfreiwillige Sterbehilfe geleistet werden und dass die Dunkelziffer von Euthanasiefällen nach wie vor hoch ist, verweist der Berichterstatter des Menschenrechtsausschusses, der Brite McNamara, auf die Rechtssprechung im Fall Diane Pretty.

Ihr Fall sorgte im Frühjahr 2002 international für Aufsehen. Die Britin Diane Pretty wollte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erwirken, dass ihr Mann straffrei ausgehen solle, falls er ihr Beihilfe zur Selbsttötung leiste. Frau Pretty litt unter der unheilbaren und tödlich verlaufenden Amyothrophischen Lateralsklerose (ALS), die zu fortschreitender Lähmung führt. Die Klägerin war daher zur Selbsttötung physisch nicht mehr in der Lage.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied jedoch, dass das Recht auf Leben (Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention) nicht das Recht auf Suizid oder Tötung auf Verlangen einschließe. Andernfalls müsste nämlich argumentiert werden, dass Patienten oder Patientinnen, die nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu töten, ein Benefit vorenthalten würde. Mit dieser Argumentation wäre dann letztlich auch die nichtfreiwillige Euthanasie zu rechtfertigen. Dies aber ist ethisch wie rechtlich unzulässig. Generell lässt sich festhalten, dass aus der Straffreiheit des Suizids und auch aus der Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid in manchen Ländern kein Recht auf Sterbehilfe abzuleiten ist.
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Sterbehilfe und ethischer Pluralismus
Nichtsdestrotz wird die Debatte um die unterschiedlichen und z.T. gegensätzlichen Auffassungen darüber, was menschenwürdiges Sterben ist, weitergehen. Nimmt man zur europäischen Diskussion die Debatte in Nordamerika und Australien hinzu, so werden nicht nur kulturelle und rechtliche Unterschiede deutlich, sondern es werden auch innerhalb der Medizin, der Philosophie und der Rechtswissenschaft, aber auch der Theologie in der Frage der freiwilligen Euthanasie oder des medizinisch assistierten Suizids abweichende Positionen vertreten.

Hierbei besteht ein Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, der Fürsorgepflicht des Arztes und dem Menschenrecht auf Leben, aus welchem das gesetzlich verankerte Verbot jeder absichtlichen Tötung folgt.

Widersprochen werden muss aber der häufig geäußerten Ansicht, die Fortschritte der modernen Medizin, insbesondere der Intensivmedizin, machten das Problem der Euthanasie besonders drängend. Etliche Hauptargumente ihrer Befürworter sind seit der Antike hinlänglich bekannt und resultieren nicht aus neuen medizinisch-technischen Entwicklungen, sondern aus einem der christlichen Anthropologie widersprechenden Menschenbild. Die Fortschritte der Intensivmedizin sind allenfalls der Anlass, nicht aber der eigentliche Grund für die neue Euthanasiedebatte.
Die Frage nach dem Sinn
Allerdings führen die steigende Lebenserwartung und der medizinische Fortschritt zu neuen Erscheinungsformen des Sterbens, die auch ethisch vor neue Probleme stellen. Die Zahl der Hochbetagten nimmt beständig zu. Dem Tod geht oftmals eine längere Phase der Multimorbidität und schwerer Pflegebedürftigkeit voraus. Mit der höheren Lebensdauer steigt die Zahl der Menschen, die an einer progredienten Demenzkrankung mit starker Persönlichkeitsveränderung leiden.

Nicht nur, dass die Phase des Sterbens sich gegenüber früheren Epochen immer mehr in die Länge ziehen kann, sondern es schiebt sich zwischen die Lebensphasen von weitgehender körperlicher und geistiger Gesundheit und die Sterbephase eine eigene Lebensphase, welche grundlegende Fragen nach unserer Identität im Leben und im Sterben, nach Integrität, Kontinuität und Diskontinuität menschlicher Biographien stellt.

Solche Fragen sind freilich ebenso wenig wie diejenige, welches Leiden als sinnlos oder sinnvoll empfunden wird, als solche keine rein medizinischen Probleme, sondern Fragen der religiösen oder weltanschaulichen Einstellung und der persönlichen Lebensumstände.
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Der zweite Teil des Beitrags "Leben und sterben lassen - Ethik am Lebensende" von Ulrich Körtner erscheint in den kommenden Tagen in science.ORF.at.

Ulrich Körtner: Leben und sterben lassen, Teil 2
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->   Alles zum Stichwort Euthanasie im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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