Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
PID - Argumente für eine beschränkte Zulassung  
  Die österreichische Bioethikkommission hat ihre Beratungen zur Präimplantationsdiagnostik (PID) abgeschlossen. Zwar hat sie keine einheitliche Stellungnahme abgegeben. Eine deutliche Mehrheit spricht sich allerdings für die beschränkte Zulassung der PID aus.  
Die derzeitige Gesetzeslage
Auch die Kommissionsminderheit votiert allerdings nicht für ein vollständiges Verbot der PID, sondern für die Beibehaltung der derzeitigen Gesetzeslage. Gemäß Artikel 9 des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) dürfen in vitro (im Reagenzglas) gezeugte Embryonen - das Gesetz spricht von "entwicklungsfähigen Zellen" - "nur insoweit untersucht und behandelt werden, als dies nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist".

Eindeutig nicht erlaubt ist die PID, wenn damit genetisch auffällige, aber an sich lebensfähige Embryonen ausgesondert werden sollen. Namhafte Rechtswissenschaftler vertreten aber die Ansicht, dass der Einsatz der PID in ganz bestimmten Fällen durch den Wortlaut von Artikel 9 FMedG durchaus erlaubt sei.

Demnach wäre die PID schon jetzt zulässig, wenn Embryonen aufgrund von Chromosomenanomalien (Aneuploidien) oder genetischen Störungen nicht oder nur begrenzt lebensfähig sind. Die genannten Anomalien führen dazu, dass sich die im Reagenzglas gezeugten Embryonen gar nicht erst in die Gebärmutter einnisten, oder dass die sich aus ihnen entwickelnden Feten das Geburtsstadium nicht erreichen, oder dass Neugeborene kurz nach ihrer Geburt sterben.
Rechtlicher Klärungsbedarf
Ob diese Auslegung des FMedG zutrifft, ist freilich nicht sicher. Zumindest gibt es bisher keine entsprechenden Gerichtsentscheidungen. Zumindest in diesem Punkt sollte der Gesetzgeber durch eine entsprechende rechtliche Bestimmung für Klarheit sorgen.
...
Bioethischer Konsens
In jenen Fällen, die möglicherweise durch das geltende Recht abgedeckt sind, ist das Ziel der PID nicht die Verhinderung einer schweren Erbkrankheit oder Behinderung, also nicht die Verhinderung der Existenz eines kranken oder behinderten Kindes, sondern im Gegenteil die Geburt eines lebensfähigen Kindes. Leitend ist nicht die Unterscheidung zwischen lebenswert und lebensunwert, die von Behindertenvertretern und Lebensschützern zu Recht kritisiert wird, sondern die Unterscheidung zwischen lebensfähig und nicht lebensfähig.

Diejenigen, die in der Bioethikkommission für die Beibehaltung der geltenden Gesetzeslage plädieren, sind sich mit der Kommissionsmehrheit darin einig, dass die Anwendung der PID zumindest in diesen engen Grenzen ethisch vertretbar ist.

Einigkeit herrscht in der Kommission also darüber, dass ein Totalverbot der PID ethisch und rechtlich nicht gerechtfertigt ist. Einig ist man sich umgekehrt aber auch darin, dass sich eine völlige Freigabe der PID ebensowenig rechtfertigen lässt. Bei allen Auffassungsunterschieden, die in den gegensätzlichen Stellungnahmen zum Ausdruck kommen, muss doch dieser bestehende Konsens hervorgehoben werden.
->   PID - Der Bericht der Bioethikkommission (pdf-Datei; Juli 2004)
...
Weitere Indikationen für die PID
Während die Kommissionsminderheit die Anwendung der PID auf die genannten Grenzfälle von nicht lebensfähigen Embryonen begrenzen will, spricht sich die Kommissionsmehrheit dafür aus, die PID auch in weiteren Fällen zuzulassen.

Grundsätzlich unterscheidet man zwei weitere Gruppen von Indikationen:

1.) Einsatz der PID zum Zweck der negativen Selektion bei Krankheiten, die prinzipiell mit dem Leben vereinbar sind

2.) PID zum Zweck der positiven Selektion von gewünschten genetischen Merkmalen.

Die Befürworter einer weitergehenden Zulassung der PID lehnen die letztgenannte Indikation entschieden ab. Menschen nach Maß oder so genannte Designerbabies kommen aus ethischer Sicht nicht in Frage. Darin ist man sich in der Bioethikkommission einig.

In der Frage der negativen Selektion von Krankheiten, die prinzipiell mit dem Leben vereinbar sind, gehen die Ansichten in der Kommission aber auseinander. Anders als die Kommissionsminderheit lehnt das Mehrheitsvotum die PID in diesen Fällen nicht generell ab, spricht sich aber für Einschränkungen aus.
...
PID und PND
Diese Stellungnahme verweist darauf, dass bei bestehender Schwangerschaft vorgeburtliche Untersuchungen erlaubt sind, die als Pränataldiagnostik (PND) bezeichnet werden. Deren Konsequenzen, nämlich unter Umständen ein späterer Schwangerschaftsabbruch oder gehäufte Schwangerschaftsabbrüche, sind durchaus problematischer als diejenigen der PID.

Aus ethischer und rechtlicher Sicht wäre es deshalb inkonsistent und sachlich nicht gerechtfertigt, die PID generell zu verbieten. Sie sollte nach Ansicht der Kommissionsmehrheit auch für Paare zugelassen werden, die ein hohes Risiko aufweisen, ein Kind mit schwerer genetisch bedingter Krankheit zu bekommen.

Abgelehnt wird freilich die Einführung eines generellen genetischen Screenings im Rahmen der In-vitro-Fertilisation (IVF). Vielmehr soll die Entscheidung für eine PID auf den Einzelfall bezogen sein und auf der Grundlage eines Indikationsmodells getroffen werden. Dafür werden konkrete rechtliche Regelungen vorgeschlagen.
->   Markus Hengstschläger: Genetische Pränataldiagnostik - ein aktueller Überblick
...
Rechtsdogmatische und rechtspolitische Argumente
Neben ethischen Argumenten spielen für die Kommissionsmehrheit auch verfassungsrechtliche Aspekte eine wesentliche Rolle. Konkret geht es um die Anwendung des Gleichheitssatzes, die Entscheidungsautonomie der betroffenen Frau, das Recht auf Leben und seine Geltung für den Embryo, den Schutz der Menschenwürde sowie das Diskriminierungsverbot.

Beim Vergleich der beiden gegensätzlichen Stellungnahmen fallen Unterschiede in der Zugangsweise auf. Während das Mehrheitsvotum vor allem rechtsdogmatisch argumentiert, argumentiert das Minderheitsvotum in erster Linie rechtspolitisch.

So wird zugestanden, dass die österreichische Rechtsordnung streng genommen kein Recht auf Leben für Embryonen kennt. Verfassungsrechtlich lässt sich auch schwerlich behaupten, dass der Schutz der Menschenwürde bereits für Embryonen in vitro gilt.

Die Gegner der PID machen geltend, dass der Embryo unabhängig von seinem rechtlichen einen moralischen Status hat, der es verbiete, den Embryo zu instrumentalisieren und seine Weiterexistenz einer Güterabwägung zu unterziehen. PID und PND ließen sich nicht vergleichen, da zwischen einer bestehenden Schwangerschaft und einem allfälligen Schwangerschaftsabbruch auf der einen Seite und einer Zeugung auf Probe und der Selektion mit Hilfe der PID auf der anderen Seite moralisch ein grundsätzlicher Unterschied bestehe.

Ein Hauptargument der PID-Kritiker lautet, die Zulassung der PID verstärke gesellschaftspolitisch nicht wünschbare Tendenzen. Sie fördere letztlich die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und eugenische Einstellungen. Auch habe die PID möglicherweise eine "Türöffnerfunktion", um bei der IVF vermehrt überzählige Embryonen zu erzeugen, die für Forschungszwecke genutzt werden könnten.
Einwände der PID-Befürworter
Bei den Befürwortern einer beschränkten Zulassung der PID verfangen solche Türöffner- oder Dammbruchargumente jedoch nicht. Die geäußerten Befürchtungen seien gerade im Hinblick auf historische Erfahrungen im deutschsprachigen Raum verständlich und ernst zu nehmen, jedoch nach Abwägung aller Argumente im Ergebnis nicht stichhaltig.

Dass PND und PID in der Gesellschaft ein behindertenfeindliches Klima erzeugen, lässt sich empirisch nicht nachweisen. Im Gegenteil zeigt sich, dass in allen Industrieländern seit Jahrzehnten die Rechte von Menschen mit Behinderungen kontinuierlich ausgebaut und mit steigendem Aufwand gefördert werden. Die Integrationsbemühungen der Behindertenpolitik haben durchaus Erfolge aufzuweisen, wenngleich selbstverständlich noch vieles zur Verbesserung der Lage von Menschen mit Behinderungen und ihrer Familien zu tun ist.
Ethik und Recht
Rechtsdogmatische Gründe sprechen im Ergebnis gegen ein generelles Verbot der PID. Dabei ist auch die Unterscheidung von Recht und Moral zu beachten. Das Recht hat nicht die Funktion einer bestimmten Moralauffassung uneingeschränkte Geltung zu verschaffen, sondern für Rechtsfrieden in einer pluralistischen Gesellschaft zu sorgen, in der unterschiedliche moralische, weltanschauliche und religiöse Überzeugungen vertreten werden.

Zwar muss das positive Recht an grundlegende moralische Überzeugungen rückgebunden werden. Dabei ist freilich im Sinne von J. Rawls Theorie des politischen Liberalismus zwischen den Bereichen des Öffentlichen und des Nicht-Öffentlichen zu unterscheiden. Die öffentlich akzeptierte Moral wird im Vergleich zum Ethos verschiedener Weltanschauungsgemeinschaften oder Religionsgemeinschaften bisweilen nicht mehr als ein Minimalkonsens sein.

Das Recht, welches von allen Bürgerinnen und Bürgern zu achten und zu befolgen ist, hat die Selbstbeschränkung religiöser und strittiger moralischer Überzeugungen zur Voraussetzung. Ohne solche Selbstbeschränkung ist kein Rechtsfrieden herstellbar.
...
Der strittige Status des Embryos
Das gilt nun auch für die gegensätzlichen Sichtweisen, die in der Frage nach dem moralischen Status des Embryos eingenommen werden. Die ethische Bewertung der PID hängt in hohem Maße von der Antwort auf die Frage ab, welchen ontologischen und moralischen Status der Embryo hat. Eine Durchsicht aller Positionen, die in der Frage des Status von Embryonen eingenommen werden, zeigt, dass ihre Bedeutung für die bioethische Entscheidungsfindung häufig überschätzt wird.

Eine klare Alternative zwischen der vorgeblich objektiven Grenzziehung bei der Kernverschmelzung als maßgeblichem Beginn der moralischen Schutzwürdigkeit von Embryonen und allen anderen scheinbar willkürlichen Definitionen des Lebensanfangs besteht in dieser Schärfe schon deshalb nicht, weil keine der in der Statusfrage eingenommenen Positionen ohne philosophische oder theologische Zusatzannahmen auskommt.

Die These, wonach ein durchgehender und jenem geborener Personen vergleichbarer moralischen Schutzanspruch während der Gesamtphase der Embryonalentwicklung ab der Befruchtung besteht, wird meist durch die Kombination des so genannten Potentialitätsarguments mit dem Kontinuitäts- und dem Identitätsargument zu begründen versucht. Diese Argumente sind jedoch für die embryonale Frühphase weder für sich genommen noch in ihrer Kombination stichhaltig.
->   U. Körtner: Menschliche Embryonen oder embryonale Menschen?
...
Abgestufter Lebensschutz
Außerdem ist mit der Zuschreibung eines bestimmten moralischen Status des Embryo für sich genommen noch unbeantwortet, ob der von der Rechtsordnung zu leistende Schutz während der gesamten Phase der Embryonalentwicklung einheitlich ausgestaltet werden soll.

Die geläufige argumentative Zuspitzung auf die Alternative, ob bereits der Embryo moralisch als "Person" zu betrachten und folglich wie geborene Menschen rechtlich zu schützen wäre oder nicht, verkürzt die Problematik in unzulässiger Weise. Einerseits kann nämlich die Rechtsordnung - allerdings nur im engen Rahmen der Grundrechte - auch den rechtlichen Schutz von Personen differenziert ausgestalten, und andererseits können auch andere - nicht als Personen qualifizierte - Schutzgüter mehr oder weniger unter den Schutz der Rechtsordnung gestellt werden.

Ein derart differenzierendes Schutzkonzept ist im geltenden österreichischen Recht seit jeher verwirklicht: Einerseits wird der Embryo wird zwar nicht als Person im Rechtssinn (d.h. also als Träger subjektiver Rechte und Pflichten) qualifiziert, andererseits wird ihm aber sehr wohl ein - entwicklungsabhängig ansteigender - gradueller Schutz zuteil.
Ergebnis: Ein eingeschränktes Ja
Im Ergebnis führen diese Überlegungen die Mehrheit der Kommissionsmitglieder zu einer differenzierten Bewertung der PID. Sie plädieren für eine beschränkte, aber keineswegs für eine generelle Zulassung der PID. Dass die PID, wie ihre Kritiker behaupten, ihrem Wesen nach stets eine auf Selektion ausgerichtete Methode sei, die negativ-eugenische Tendenzen billige und die Verhinderung der Geburt von Menschen mit Behinderung zum Ziel habe und für legitim erkläre, ist jedoch nach Ansicht der Kommissionsmehrheit eine unbegründete These.
->   Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt
->   Das Stichwort Präimplantationsdiagnostik im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick