Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben 
 
Geschäft mit dem Leben? (II)  
  Biomedizin und Life Sciences unterwerfen das Leben technischer Rationalität und ökonomischer Logik. "Kein Patent auf Leben", lautet eine bekannte Forderung der Kritiker. Aber was heißt überhaupt "Leben"? Und wurde Leben nicht immer schon als Ware gehandelt? Eine Ethik des Lebens sollte mehr sein als ein Resonanzboden für das neue Unbehagen in der Kultur.  
Eigenwertigkeit von Tieren und Pflanzen
Nun wird heute aber darüber diskutiert, ob nicht auch Tieren oder gar Pflanzen eine Art von Würde zuzusprechen ist, d.h. ob man der Natur bzw. nichtmenschlichen Lebewesen, Arten wie Individuen eine Eigenwertigkeit und somit eine Form von Eigenrechten zugestehen muss.

Im Sinne des biblischen Schöpfungsglaubens sind Pflanzen und Tiere jedenfalls nicht einfach als Sachen zu betrachten, die ethisch und rechtlich wie leblose Materie behandelt werden dürften.

Zwar lässt es sich rechtfertigen, dass die Menschen pflanzliches und tierischen Leben zu ihrer Ernährung, ihrer Versorgung - einschließlich ihrer medizinischen Versorgung - und auch zu ihrer Freude gebrauchen und verbrauchen. Folglich darf zu diesen Zwecken, soweit sie sich ethisch rechtfertigen lassen, auch mit pflanzlichem und tierischem Leben gehandelt werden.

Aber "die Blume ist nicht bloß dazu da, damit Menschen sich an ihre erfreuen; das Huhn ist keine reine Eierlegmaschine; viele Lebewesen haben überhaupt keinen erkennbaren und benennbaren unmittelbaren Nutzen für den Menschen", wie die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Einverständnis mit der Schöpfung" (1997) zutreffend feststellt.

Auch besitzen Tiere ihre eigene Individualität, und selbst bei Pflanzen gleicht nicht eine der anderen, sofern sie nicht auf entsprechende Weise vom Menschen gezüchtet werden. So lässt sich der Gedanke der Eigenwertigkeit von Tieren und Pflanzen in einer Weise vertreten, der sich nicht auf den Artenschutz beschränkt, sondern die Achtung vor jedem einzelnen Lebewesen einschließt.
->   EKD-Denkschrift "Einverständnis mit der Schöpfung"
Forderung nach einem verbesserten Tierschutz
Zwar ist ein erkenntnistheoretischer Anthropozentrismus für die Bioethik unvermeidbar ist, weil nur der Mensch moralische Fragen stellen kann. Doch rechtfertigt dies keinen ethischen Anthropozentrismus, der nur das Wohl und Wehe des Menschen für ethisch belangvoll hält.

Mag man z.B. den Handel mit Tieren und ihre Aufzucht zum Zwecke der Fleischgewinnung grundsätzlich mit einer biblischen Sicht des Tieres für vereinbar halten, so gibt doch die Massentierhaltung in vielen Bereichen Anlass zu scharfer Kritik.

Das "Geschäft mit dem Leben" missachtet oftmals noch immer elementare Forderungen des Tierschutzes und einer artgerechten Tierhaltung. Wobei wir uns bewusst sein müssen, dass die Verantwortung für Missstände nicht nur bei den Erzeugern und ihren Lobbies, sondern auch bei den Verbrauchern liegen, denen im Zweifelsfall niedrige Fleisch- oder Eierpreise wichtiger als die Grundsätze des Tierschutzes sind. Wer hier ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
Natur und Kultur sind keine statischen Größen
Die Frage, welcher Natur Eigenwert zukommt bzw. welche Natur geschützt werden soll, lässt sich allerdings nicht zeitlos oder geschichtsunabhängig beantworten.

"Weder die Natur noch der Mensch und seine Kultur sind statische, unwandelbare Größen. Es geht sonach hier also immer um Abwägungsprozesse, in welche Kriterien der Pluriformität, der Schönheit, der Seltenheit, des Faszinierenden und Ehrfurchterweckenden, aber auch Kriterien der funktionalen Erforderlichkeit und Notwendigkeit einfließen und ebenso immer wieder miteinander konkurrieren können" (Wilhelm Korff).

Das Gleiche gilt auch unter der theologischen Prämisse, dass die Welt Gottes Schöpfung ist. Bewahrung der Schöpfung bzw. die Erhaltung ihrer Integrität, wie man im Englischen sagt ("integrity of creation"), bedeutet nicht die Festschreibung eines momentanen Zustands oder die Wiederherstellung eines mythischen Urzustandes, sondern die Anerkennung und Weiterentwicklung der in der Schöpfung angelegten Möglichkeiten.
Patent auf Leben?
Zu den besonders umstrittenen Themen, wenn es um "Geschäfte mit dem Leben" geht, gehört die Patentierung biotechnologischer Erfindungen. "Kein Patent auf Leben!" lautet eine bekannte Forderung von Umweltschutzorganisationen.

Konkret wird von ihnen auch die erwähnte Biopatentrichtlinie der EU abgelehnt, deren Umsetzung in mehreren europäischen Staaten, darunter auch Österreich wegen ethischer Bedenken noch immer nicht erfolgt ist.
->   Ulrich Körtner: Kein Patent auf Leben?
->   EU-Biopatentrichtlinie: Regierung dafür - Einschränkungen?
Patente: Ethische Prinzipien für jeden Fall thematisieren
Die komplexe Frage nach der grundsätzlichen ethischen Zulässigkeit der Anwendung gentechnischer Verfahren nicht nur im Bereich der Medizin und der pharmazeutischen Industrie, sondern auch im Bereich der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion kann hier nicht im Detail erörtert werden. Ich gehe davon aus, dass sie auch aus Sicht der christlichen Schöpfungslehre prinzipiell positiv zu beantworten ist.

Die ethische Bewertung des Einsatzes von Gentechnik hängt aber in jedem Einzelfall von den Zielen und der Beachtung ethischer Prinzipien ab. Konkret geht es um einen wirksamen Gesundheits- und Verbraucherschutz, um Umweltverträglichkeit, Sozialverträglichkeit, außerdem um die internationale Verträglichkeit im Verhältnis zwischen Erster und Dritter Welt.

Gleiches gilt für die Ausgestaltung des Patentrechts auf dem Gebiet biotechnologischer Erfindungen. Besonders umstritten ist die Patentierung von biologischem Material. Auch wenn sie sich bei sogenannten Verfahrenspatenten grundsätzlich ethisch rechtfertigen lässt, müssen doch klarere rechtliche und ethischer Grenzen als bisher gezogen werden. Die Biopatentrichtlinie der EU ist ein Versuch in diese Richtung. Jedoch ist die internationale Anerkennungspraxis nach wie vor oftmals äußerst fragwürdig, wie jüngste Beispiele zeigen.
->   Biopatente: Wissenschaftler kritisieren Anerkennungspraxis
Die Ökonomie als Teil des Lebens
Bei allen Diskussionen über die konkrete Ausgestaltung des Patentrechts auf dem Gebiet biotechnologischer Erfindungen darf doch nicht übersehen werden, dass die Ökonomie - das Geschäft mit dem Leben, wenn man so will - ein Teil des Lebens selbst ist. Lebensfeindlich aber wird die Ökonomie dann, wenn sie sich ganz aus sich selbst heraus zu begründen und verstehen versucht.

Die Durchökonomisierung des Lebens führt gewissermaßen dazu, dass das menschliche Leben in Konflikt mit sich selbst und dem übrigen Leben gerät. Aus christlicher Sicht ist immer wieder daran zu erinnern und aktiv dafür einzutreten, dass nicht nur die Würde des Menschen, sondern dass auch die Würde allen sonstigen Lebens bzw. seine Eigenwertigkeit geachtet und geschützt wird. Dazu verpflichtet der christliche Schöpfungsglaube, der in den letzten beiden Jahrzehnten aus mancher anthropozentrischen Engführung der Vergangenheit herausgeführt worden ist.

Ein Eigentumsrecht am Leben, konkret eine Patenterteilung auf Leben als solches kann und darf es nicht geben. Das Geschäft mit dem Leben stößt hier an seine ethische Grenze.

[23.8.05]
->   Ulrich Körtner: Geschäft mit dem Leben? (I)
->   Alle Beiträge von Ulrich Körnter in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben 
 

 
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