Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Klone: Menschen oder Monster?, Teil 1  
  Auch nach dem Fälschungsskandal um den südkoreanischen Forscher Hwang gilt es weiter als wahrscheinlich, dass das Klonen im Humanbereich grundsätzlich möglich ist. Zwar stößt das Klonen zu reproduktiven Zwecken weltweit auf Ablehnung. Die bioethische Debatte um das so genannte therapeutische Klonen hält jedoch unvermindert an. Umstritten ist vor allem der ontologische und moralische Status entwicklungsfähiger Zellen, die durch Klonen entstehen.  
Neue Klonversuche
Der Skandal um den Klonforscher Hwang Woo Suk und seine komplett gefälschte Studie über Stammzelllinien, die aus geklonten menschlichen Embryonen gewonnen sein sollten, hat die Forschung auf diesem Gebiet nicht stoppen können.

Vor wenigen Wochen haben Forscher der Harvard University mit Arbeiten zum Klonen menschlicher Embryonen begonnen. Auch ihr Ziel ist es, Stammzelllinien für therapeutische Zwecke zu entwickeln.
->   science.ORF.at: US-Forscher klonen menschliche Embryonen
->   science.ORF.at: Hwangs Stammzellstudie komplett gefälscht
Forschungsaktivitäten auch in Europa
In Europa wird auf dem Gebiet des therapeutischen Klonens ebenfalls geforscht. Bereits 2003 hat die britische Human Fertilisation and Embryology Authority das erste Forschungsvorhaben zur Herstellung von Stammzelllinien aus geklonten menschlichen Blastozysten zu Forschungszwecken genehmigt.

Auch andere europäische Länder, z.B. Schweden, haben Rechtsgrundlagen für das Klonen zu biomedizinischen Zwecken geschaffen.
Geklonte Embryonen: Werdende Menschen?
Ethisch ist das Klonen menschlicher Embryonen weiterhin umstritten. Handelt es sich bei ihnen um werdende Menschen oder um eine Lebensform eigener Art, die nicht unter den Schutz der Menschenwürde und des Lebens fällt? Nach einer verbreiteten Ansicht handelt es sich bei geklonten Embryonen genauso um werdende Menschen wie bei in vitro befruchteten Eizellen.

Folgt man dieser Argumentation, müsste das Klonen menschlicher Embryonen aus prinzipiellen Erwägungen verboten werden. Auch wenn ein geklonter Embryo nicht eine Frau implantiert würde, um eine Schwangerschaft herbeizuführen, handelte es sich um ein unethisches Experiment am Menschen. Zwischen therapeutischem und reproduktiven Klonen bestünde demnach ethisch kein Unterschied. Beides wäre abzulehnen.
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Eine aktuelle Stellungnahme zum Forschungsklonen
Für ein Stufenmodell bei der ethischen Bewertung verschiedener Techniken zur Herstellung embryonaler Stammzellen spricht sich die Zentrale Ethikkommission der deutschen Bundesärztekammer (ZEK) in ihrer Stellungnahme zum "Forschungsklonen mit dem Ziel therapeutischer Anwendungen" vom Februar 2006 aus. Ethisch am problematischsten erscheint demnach die Herstellung und Zerstörung von Embryonen in vitro zu Forschungszwecken. Weniger problematisch sei die Verwendung überzähliger Embryonen, die bei der künstlichen Fortpflanzung (In-vitro-Fertilisation) anfallen.

Für noch unbedenklicher hält die ZEK "ein Verfahren, von dem höchst unwahrscheinlich ist, ob dadurch überhaupt Blastozysten hergestellt werden können, die die Fähigkeit besitzen, sich zu einem ganzen menschlichen Organismus zu entwickeln. Dieser Fall liegt bei den gegenwärtig praktizierten Versuchen zum Klonen menschlicher Blastozysten vor." Einschränkend fügt die Kommission allerdings hinzu, nach anderer Auffassung sei aus derartigen Unsicherheiten die Konsequenz zu ziehen, "dass bereits die geringe Möglichkeit, dass sich ein Mensch aus der Blastozyste entwickeln könnte, ausreicht, um vorsorglich von dem Verfahren Abstand zu nehmen".

Sollte es möglich sein, Blastozysten oder blastozystenähnliche Strukturen zu erzeugen, von denen zwar Stammzelllinien gewonnen werden können, die jedoch mit Sicherheit unfähig sind, sich zu einem ganzen menschlichen Organismus zu entwickeln, würden diese Bedenken nach Ansicht der ZEK entfallen. In diesem Fall entstünde zwar menschliches Leben (human life), aber kein Mensch (human being).
->   Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission (Bundesärztekammer) zum therapeutischen Klonen
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Die Position des Molekularbiologen Jens Reich
Das Stufenmodell der ZEK orientiert sich am Kriterium der Totipotenz. Entwicklungsfähige menschliche Zellen, welche die Fähigkeit besitzen, sich zu einem vollständigen Individuum zu entwickeln, gelten demnach in jedem Fall als besonders schutzwürdig, gleich ob sie durch Zeugung oder durch Zellkerntransfer, d.h. durch Klonen entstanden sind.

Ganz anders die Sichtweise des renommierten Molekularbiologen Jens Reich, der am Max- Delbrück-Centrum in Berlin forscht und Mitglied des deutschen Nationalen Ethikrats ist. In einem vielbeachteten Aufsatz, der 2004 erschienen ist, argumentiert Reich: Sollte es jemals menschliche Klone geben, würde es sich bei ihnen nicht um Menschen, sondern um Monster handeln.
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Jens Reich: Empirische Totipotenz und metaphysische Gattungszugehörigkeit bei der moralischen Beurteilung des vorgeburtlichen menschlichen Lebens, in: Zeitschrift für medizinische Ethik 50, 2004, Heft 2, S. 115-130
->   Der Aufsatz von Jens Reich (Abstract)
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Totipotenz: Kein hinreichendes Kriterium für Menschsein
Reich kritisiert die gängige These, wonach die Totipotenz entwicklungsfähiger Zellen, also ihre Fähigkeit, sich zu einem vollständigen und lebensfähigen Individuum zu entwickeln, kein hinreichendes Kriterium ist, um ihnen Menschsein zuzusprechen. Totipotenz sei inzwischen ein "manipulierbares Attribut", ein durch Zellkerntansfer entstandener Klon sei auch kein Embryo im üblichen Sinne des Wortes, sondern ein "Artefakt".

Dem Klon fehle ein wesentliches Kennzeichen, das ihn als zur Menschheitsfamilie gehörig auswiese, nämlich die natürliche Zeugung. Einer Frau einen solchen Klon einzupflanzen, wäre eine unzulässige Ersatzhandlung. Zwar werde diese auch bei der In-vitro-Fertilisation mit technischen Mitteln herbeigeführt. Es handele sich aber hierbei immer noch um eine Zeugung mit doppelter biologischer Elternschaft.
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Klone: Keine Menschen wie du und ich
Gesetz den Fall, ein Klon würde von einer Frau ausgetragen und zur Welt gebracht, hielte es Reich für falsch, allein aus der Tatsache, dass der Klon einen funktionierenden menschlichen Körper hätte, zu folgern, dass er auch normativ als Mensch anzusehen wäre. "Meine Auffassung setzt das Gegenteil: Der Klon ist kein Mensch, das ist das Schreckliche. Er ist ein Monster, ein Homunculus, ein Zombie, ein Golem". An dem Klon werde ein metaphysisches Vergehen begangen, das nicht heilbar sei: "Durch Zusammenrühren von Akzidentien entsteht keine metaphysische Freiheit!"

Nach Reichs Überzeugung dürften wir dem Klon daher keinesfalls vorgaukeln, er sei "ein Mensch wie du und ich". Das wäre nur "eine Notlüge, ein Trostpflaster". Konsequenterweise fielen Klone nicht unter die Klasse von Individuen, denen auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 oder der Europäischen Menschenrechtskonvention und vergleichbarer Völkerrechtsdokumente Menschenwürde und Menschenrechte zuzusprechen wären. Sie wären folglich auch in rechtlicher Hinsicht bedauernswerte Kreaturen.
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Fehlende Gottebenbildlichkeit
Religiös gesprochen hätten Klone keinen Anteil an der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Das zu glauben, hieße für Reich zu glauben, der Mensch könnte "mit einer Mikromanipulation unter dem Mikroskop die metaphysische Kreation eines 'Menschen' durch Gott emulieren - für meine religiöse Intuition eine wahrlich häretische Vorstellung!"

Denn in diesem Fall müsste Gott eine "satanische Erpressung durch Schaffung eines Menschen honorieren". In Umkehrung einer Formulierung aus dem nicäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis (381 n.Chr.), wonach der ewige Logos vom göttlichen Vater gezeugt, nicht erschaffen wurden, erklärt Reich, ein Klon wäre gemacht, nicht gezeugt ("factum, non genitum").
Kategorisches Verbot des reproduktiven Klonens
Reich kommt zu dem Schluss, dass das Klonen von Menschen nicht etwa nur aus praktischen Erwägungen über das hohe Risiko solcher Experimente, sondern kategorisch abzulehnen und zu verbieten ist.

Anders verhält es sich für ihn jedoch mit dem Klonen zu therapeutischen Zwecken - also zur Erzeugung von menschlichen Stammzellen. Zwar steht Reich auch diesem kritisch gegenüber. Das Verbot des therapeutischen Klonen ist für ihn jedoch "ein hypothetischer, kein kategorischer Imperativ".

[26.6.06]
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