Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Bio-Based Economy aus ethischer Sicht  
  "Bio-Based Economy" ist einer der Themenschwerpunkte beim Alpbacher Universitätstag 2007. Worin besteht der Beitrag der Biotechnologie zur gesellschaftlichen Entwicklung, und wie stellt sich das Verhältnis von Biologie und Ökonomie aus ethischer Sicht dar?  
Forschungsförderung ist Standortpolitik
Die Biotechnologie hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem gewinnträchtigen Wirtschaftsbereich entwickelt. Die "Life Sciences" sind der wirtschaftlich-ökonomische Komplex der Zukunft. Neben der Gentechnik und der Nanotechnologie beginnen sich die Converging Technologies zu etablieren. Dabei handelt es sich um die Kombination von Nano-, Bio-, Informations- und Kognitionswissenschaften.

Auch in der Forschungspolitik haben die Biowissenschaften einen hohen Stellenwert. Neben nationalen Forschungsprogrammen wir GEN-AU, dem österreichischen Genomforschungsprogramm, stehen auf europäischer Ebene die Rahmenprogramme der EU zur Forschungsförderung. Die Forschungsförderung verfolgt immer auch wirtschaftliche Zwecke. Sie ist eine Frage der wirtschaftlichen Standortpolitik.
->   Ulrich Körtner: Wissenschaftsethik und Converging Technologies (I)
->   Ulrich Körtner: Wissenschaftsethik und Converging Technologies (II)
Gesellschaftliche Reaktionen gespalten
Die Reaktionen der Gesellschaft auf den biotechnologischen Fortschritt sind zwiespältig. Einerseits wird der Beitrag der Biotechnologie zur Lösung gesellschaftlicher Probleme begrüßt. Das gilt für weite Bereiche der Biomedizin. Andererseits stößt der Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie auf erheblichen Widerstand.

Was die Chancen und Risiken von Nanotechnologie und Converging Technologies betrifft, gibt es bislang kaum eine öffentliche Diskussion. Der gesellschaftliche Informationsstand ist nach wie vor niedrig. Hier stellt sich die Frage, wie sich die an sich notwendigen Diskurse initiieren und organisieren lassen.

Gerade im Bereich der Nanotechnologie liegt aufgrund des frühen Entwicklungsstadiums die seltene Chance vor, frühzeitige Überlegungen zu den Hoffnungen und Risiken einer neuen Technologie anzustellen und die Ergebnisse der Reflexion in den Entwicklungsprozess einfließen zu lassen, um damit zur weiteren Gestaltung der Nanotechnologie beizutragen.
Biologie und Ökonomie - ein Wechselspiel
Die ökonomische Bedeutung der modernen Biologie wird durch den Ausdruck "bio-based economy" unterstrichen. Zwischen Biologie und Ökonomie entsteht dabei allerdings ein komplexes Wechselspiel.

Die Rede von der bio-basierten Ökonomie suggeriert die Vorstellung, als sei die Ökonomie zunehmend vom bio(techno)logischen Wissenszuwachs abhängig. Es verhält sich jedoch auch umgekehrt: Nicht nur die biologische Anwendungsforschung, sondern auch die Grundlagenforschung gerät in zunehmende Abhängigkeit von der Ökonomie.

Drittmittelforschung in Medizin und Biotechnologie wird eben nicht nur durch die öffentliche Hand, sondern auch durch die Privatindustrie bzw. durch große Konzerne betrieben. Die Entwicklung neuer Medikamente, die Einrichtung moderner Labors, all das kostet viel Geld, das die öffentliche Hand nicht immer hat oder in die Hand nehmen will. Mit gleichem Recht, wie man von "bio-based economy" spricht, kann man auch von "economy-based biology" sprechen.
Durchökonomisierung des Lebens
Biologie und Biotechnologie sind darum ein prominentes Beispiel für den Trend zur zunehmenden Durchökonomisierung des Lebens. Einseitiger Kulturpessimismus ist freilich unangebracht, insofern die Ökonomie selbst ein Teil des Lebens ist.

Und auch das "Geschäft mit dem Leben", gegen das Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitativen protestieren, ist keine neue Erscheinung, sondern ein fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte, vom sprichwörtlichen Kuhhandel bis zum Gemüseeinkauf im Supermarkt. Aber auch der Abschluss einer Lebensversicherung ist ein "Geschäft mit dem Leben".

Allerdings ist zu fragen, ob nicht die Bewirtschaftung des Lebens durch die Verflechtung von moderner Biotechnologie und Ökonomie eine neue Qualität erreicht. Analog zum Schutz der Menschenwürde, die nach Kant über jeden Preis erhaben ist, ist auf den Eigenwert der Natur hinzuweisen.

So ist "die Blume [...] nicht bloß dazu da, damit Menschen sich an ihre erfreuen; das Huhn ist keine reine Eierlegmaschine; viele Lebewesen haben überhaupt keinen erkennbaren und benennbaren unmittelbaren Nutzen für den Menschen", wie die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Einverständnis mit der Schöpfung" (1997) zutreffend feststellt.
Humanisierung der Ökonomie
Das "Unbehagen in der Kultur" (Sigmund Freud), das sich in Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen Ausdruck verschafft, richtet sich gegen den rechenhaft-berechnenden Blick auf das Leben und ruft in Erinnerung, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Es ist nicht zuletzt die Religion, die auf diesen Mehrwert und Selbstzweck des Lebens hinweist.

Die Entwicklung einer "bio-based economy" lässt sich gewiss nicht aufhalten oder gar rückgängig machen. Das wäre im Einzelfall auch gar nicht unbedingt wünschenswert. Wohl aber sind Strategien zur Humanisierung der Ökonomie zu entwickeln und auch politisch zu diskutieren. Zivilgesellschaftlichen Bewegungen, aber auch den Religionen kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.
Resakralisierung der Natur braucht Ideologiekritik
Eine Ethik des Lebens sollte freilich mehr sein als ein Resonanzboden für das neue Unbehagen in der Kultur. Auch für die theologische Ethik besteht in der religiösen Überhöhung des sich selbst regenerierenden Lebens eine Gefahr. Sofern sie nämlich in den Sog eines unreflektierten Gebrauchs des Wortes "Leben" gerät, droht sie mit einem religiösen Durchlauferhitzer für Allerweltsweisheiten verwechselt zu werden.

Dass alles Leben und zwar als solches heilig sein soll, wie immer wieder eingeklagt wird, klingt nur beim ersten Hören wie eine äußerste Radikalisierung der Ethik, läuft aber in Wahrheit auf ihre Abdankung hinaus. "Wo alles heilig ist, ist nichts mehr heilig" (Christoph Türcke).

Anstatt die Moralisierung der menschlichen Natur unreflektiert religiös zu verstärken, besteht eine wesentliche Aufgabe theologischer Ethik gerade umgekehrt in der ideologiekritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und religiösen Tendenzen der Resakralisierung der Natur.
->   Ulrich Körtner: Geschäft mit dem Leben (I)
->   Ulrich Körtner: Geschäft mit dem Leben (II)
Eine Frage der Gerechtigkeit
Fragen einer bio-basierten Ökonomie berühren außerdem zentrale Probleme der Gerechtigkeit. Hierbei ist zwischen mehreren Begriffen von Gerechtigkeit zu unterscheiden. Alles Wirtschaften basiert bekanntlich auf der Tauschgerechtigkeit. Sie liegt auch der kantischen Unterscheidung von Wert und Würde zugrunde.

Neben der Tauschgerechtigkeit steht die Verteilungsgerechtigkeit, auch austeilende Gerechtigkeit genannt. Hier stellt sich die Frage, wie für alle Mitglieder der Gesellschaft ein gerechter Zugang zur Grundversorgung und zu bestimmten Dienstleistungen, zum Arbeitsmarkt oder auch zur Gesundheitsversorgung gewährleistet werden kann. Man kann hier auch von einer Teilhabegerechtigkeit sprechen.

Hierbei gilt es wiederum zu unterscheiden zwischen dem Nahbereich und dem Fernbereich. Teilhabegerechtigkeit darf sich nicht auf die unmittelbare Umgebung, die eigene Gruppe, den eigenen Staat oder meinetwegen auch die Europäische Union als transnationale Einheit beschränken. Gerechtigkeit muss im Weltmaßstab geübt und wenigstens ansatzweise hergestellt werden.

Das ist z.B. das Ziel internationaler Handels- und Zollabkommen wie GATT oder TRIPS. Anspruch und Wirklichkeit klaffen im internationalen Maßstab bekanntlich oft weit auseinander. Und auch, wenn es um die Nutzung genetischer Ressourcen geht, ist die Frage der Teilhabegerechtigkeit ein sozialethisches Problem allerersten Ranges.
Kosten-Nutzen-Analyse reicht nicht aus
Und schließlich stellt sich die Frage nach Gerechtigkeit gegenüber der nichtmenschlichen Natur. Was oft als Umweltgerechtigkeit bezeichnet wird, lässt sich auch als Umweltverträglichkeit beschreiben. Gerechtigkeit in diesem Sinne schließt auch das Prinzip der Biodiversität, d.h. die Forderung nach Bewahrung der Artenvielfalt ein.

An dieser Stelle muss auch von Kostengerechtigkeit gesprochen werden. Wenn es um Kosten und Nutzen von sogenannten Geschäften mit dem Leben geht, auch um die Abwägung möglicher Risiken für Gesundheit und Umwelt, ist es von größter Bedeutung, was als Kosten zählt und wie der Nutzen bestimmt wird.

Eine rein ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse bzw. der Bezug auf den Zeitraum der Kapitalverwertung reicht aus ethischer Sicht nicht aus. Auch ökologische Kosten wie auch ihre Globalisierung müssen in die Bewertung einbezogen werden. So ist es ethisch unvertretbar, die Kosten des vorherrschenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen den Menschen und der Natur in ferner Zukunft aufzubürden.
Ethik des Lebens - im antiken Sinne
Welche Sichtweise der Chancen und Risiken einer bio-basierten Ökonomie kann nun die Ethik entwickeln? Sie hat zunächst den Begriff des Lebens zu klären.

Die griechische Sprache und die antike Philosophie unterscheiden zwei Lebensbegriffe, nämlich bios und zoe. Während als zoe die biologischen Phänomene bezeichnet werden, ist - unserem heutigen Sprachempfinden widersprechend - unter bios die menschliche Lebensführung verstanden.

Ein erster Beitrag zur Humanisierung der bio-basierten Ökonomie besteht darin, Ökonomie und Wissenschaften, also auch die Biologie, als Teil der menschlichen und von Menschen ethisch zu verantwortenden Lebensführung zu begreifen.

"Bio-basiert" hieße dann im antiken Sinne gerade nicht, die Entwicklung von Naturwissenschaften und Ökonomie als einen quasi ungerichteten Naturvorgang zu begreifen, sondern als Folge menschlichen Planens und Handelns.
Ein neues Verständnis von Lebenswissenschaften
Damit verbunden ist ein veränderter Begriff von "Life Sciences" zu entwickeln. Derzeit versteht man unter "Lebenswissenschaften" nur die biologischen und biotechnologischen Disziplinen. Dabei ist doch die Ethik im ursprünglichen Sinn des Wortes bios die "Lebenswissenschaft" schlechthin. Aber auch Religion und Theologie helfen auf ihre Weise das Leben zu verstehen und zu achten.

Diese Einsicht hat universitätspolitische Konsequenzen. Statt Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften gegeneinander auszuspielen, ist über einen interdisziplinären Begriff von Lebenswissenschaften und interdisziplinäre Projekte nachzudenken, die Biologie, Philosophie und Theologie, Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften sowie last but not least die Ökonomie neu miteinander ins Gespräch bringen.

[30.8.07]
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