Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben 
 
Schöpfung und Evolution - zwischen Sein und Design  
  Lange Zeit schien der wissenschaftliche und weltanschauliche Streit um Darwin und Evolutionstheorie beigelegt. Auch in der Theologie wird heute mehrheitlich die Ansicht vertreten, dass zwischen Schöpfungsglaube und modernen Naturwissenschaften kein unüberwindlicher Gegensatz besteht.  
Heute gibt es jedoch neuen Streit um die Evolutionstheorie, der teilweise die Züge eines Kulturkampfes mit politischer Dimension annimmt. Ein soeben erschienener Sammelband will zur Versachlichung der Debatte beitragen.
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Neuerscheinung
Ulrich H.J. Körtner/Marianne Popp (Hg.), Schöpfung und Evolution - zwischen Sein und Design. Neuer Streit um die Evolutionstheorie, Böhlau, Wien 2007, 262 S.
->   Das Buch im Böhlau Verlag
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Kulturkampfstimmung
Bild: Verlag Böhlau
Folgt die Evolution einem göttlichen Plan oder dem blinden Zufall? Ist die Evolutionstheorie durch Fakten hinreichend bewiesen, oder handelt es sich um eine noch immer unbewiesene Theorie? Gibt es umgekehrt einleuchtende Gründe, an die Existenz eines Schöpfergottes zu glauben, oder ist der Schöpfungsglaube durch die modernen Naturwissenschaften widerlegt? Besteht zwischen Evolutionstheorie und Glaube überhaupt ein notwendiger Widerspruch, oder werden in der aktuellen Debatte falsche Alternativen aufgestellt?

Nicht nur die öffentlichen Äußerungen des Wiener Erzbischofs Kardinal Schönborn, sondern auch die streitbaren Bücher des Biologen und bekennenden Atheisten Richard Dawkins heizen die Diskussion an. Die Vertreter eines sogenannten Kreationismus in den USA behaupten, ihre Idee eines "intelligent design" dürfe den gleich Anspruch auf Wissenschaftlichkeit wie die Evolutionstheorie erheben und müsse daher neben dieser an staatlichen Schulen im Biologieunterricht gelehrt werden. Neuerdings wird diese Forderung auch von der russisch-orthodoxen Kirche erhoben.

Im Gegenzug propagieren Dawkins und die Bewegung der "Brights" ein naturalistisches Weltbild, das den christlichen Gottes- und Schöpfungsglauben auch in seinen aufgeklärten Spielarten für reine Einbildung hält.
->   "Brights": Neue Aufklärer gegen Irrationalität
Interdisziplinärer Dialog
Für mehr Sachlichkeit anstelle von unfruchtbarer Polemik votieren die Autoren des neu erschienenen Sammelbandes, an dem sich Biologen, Physiker, Philosophen und Theologen beteiligt haben. Die Autoren bilden seit Jahren eine interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft und halten regelmäßig gemeinsame Lehrveranstaltungen zum Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ab.

Das vorliegende Buch ist im Rahmen des "philosophisch-theologisch-biologischen Seminars" entstanden, das im Wintersemester 2006/2007 an der Universität Wien stattgefunden hat.
->   Philosophisch-theologisch-biologisches Seminar, Uni Wien
Die Positionen sind durchaus kontrovers. So werden die Möglichkeiten einer grundsätzlichen Vereinbarkeit von Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie bzw. die religionskritischen Konsequenzen der verschiedenen Versionen eines Naturalismus selbst von den an diesem Band beteiligten Naturwissenschaftlern unterschiedlich beurteilt.

Wiederum wird die Begründungsleistung eines evolutionären Naturalismus für eine normative Ethik nicht nur auf theologischer Seite, sondern auch unter Philosophen unterschiedlich eingeschätzt.
Methodische Voraussetzungen des Gesprächs
Das Buch wendet sich gegen oberflächliche Harmonisierungsversuche oder Synthesenbildungen, welche die erkenntnistheoretischen und methodologischen Unterschiede zwischen Natur- und Geisteswissenschaften missachten. Seine Grundannahme lautet, dass die Basis für das interdisziplinäre Gespräch zwischen Natur- und Geisteswissenschaften einschließlich der Theologie nicht in einer bestimmten Naturphilosophie, - weder einer naturalistische noch einer dualistischen -, sondern in der Hermeneutik besteht.

Erkenntnisleitend ist, genauer gesagt, eine Differenzhermeneutik, welche davon ausgeht, dass wir uns der Wirklichkeit nur multiperspektivisch annähern können, ohne dass sich die Einheit der Wirklichkeit in einer metaphysischen Letztbegründungstheorie beschreiben ließe. Dabei wird vorausgesetzt, dass keine der am interdisziplinären Dialog beteiligten Wissenschaften einen privilegierten Zugang zu dem hat, was wir Wirklichkeit nennen.
Wissenschaftssprachen und Alltagssprache
Hermeneutik ist die Lehre vom Verstehen. Verständigungsprobleme zwischen Natur- und Geisteswissenschaften beginnen schon bei der Sprache. Die unterschiedlichen Wissenschaften entwickeln und verwenden ihre Sondersprachen, die sie benötigen, um ihren Gegenstandsbereich möglichst präzise zu beschreiben. Die unterschiedlichen Wissenschaftssprachen sind aber immer auch an die Alltagssprache und unsere alltägliche Lebenspraxis zurückgebunden.

Dieser Umstand kann für allerlei Verwirrungen sorgen. Die moderne Physik verwendet z.B. zahlreiche metaphorische Begriffe, ohne die sie sich einer breiteren Öffentlichkeit kaum verständlich machen könnte. Wenn diese aber aus dem Geltungsbereich der Physik in andere Lebenszusammenhänge übertragen werden, verändert sich die Bedeutung der Wörter.

Inzwischen hat eine Fülle von physikalischen Begriffen und Konzeptionen Einzug in andere Wissenschaften, aber auch in unsere Alltagssprache gehalten. Theologen und Philosophen sprechen heute wie selbstverständlich von Selbstorganisation, Urknall oder Wärmetod. In der Politik oder im Feuilleton ist des Öfteren von Quantensprüngen die Rede. Während aber ein Quantensprung in der Physik ein winzig kleines Ereignis im subatomaren Bereich ist, verwenden viele Menschen das Wort in der Alltagssprache, um etwas ganz Großes auszudrücken.
Theologie und Glaube
Ein kritisches Wort ist freilich auch an die Naturwissenschaftler zu richten, die sich am Gespräch mit der Theologie über Fragen der Schöpfungslehre beteiligen möchten. Nicht selten erlebt man nämlich, dass Naturwissenschaftler die moderne Unterscheidung zwischen Theologie und Religion nicht mitvollziehen. Selbst wohlmeinende Naturwissenschaftler verwechseln den Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie oft mit einem Dialog zwischen Naturwissenschaft und Glaube.

Wie Physik oder Biologie ist auch die Theologie eine Wissenschaft, in der es um Hypothesenbildung, Verifikation und Falsifikation geht. Auch die Theologie hat ihre Methoden und Theorien. Zwischen subjektiven Glaubensaussagen und wissenschaftlich-theologischen Aussagen, welche Glaubensaussagen zu ihrem Gegenstand haben, ist wissenschaftstheoretisch zu unterscheiden.

Eine theologische Theorie der Schöpfung ist von der biblischen Aussage: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde", ebenso zu unterscheiden wie von Martin Luthers Bekenntnis im Kleinen Katechismus: "Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen."
Bibel besteht nicht aus naturwissenschaftlichen Sätzen
Die biblischen Schöpfungsberichte sind keine naturwissenschaftliche Hypothese über die Entstehung des Kosmos, sondern religiöse Poesie. Ihre Aussagen sind keine wissenschaftlich verifizierbaren oder falsifizierbaren Sätze. Die Aussage: "Und siehe, es war sehr gut", in welcher der erste der beiden alttestamentlichen Schöpfungsberichte gipfelt (1. Mose 1,31), ist nicht von der Art wie der Satz: "Gestern hat es geregnet." Wenn man hier von Wahrheit sprechen will, dann in einem anderen Sinne als im Rahmen naturwissenschaftlicher Theoriebildung. Es geht hier um so etwas wie Lebenswahrheit oder existenzielle Wahrheit.

Wer sich wissenschaftlich mit den biblischen Schöpfungsaussagen beschäftigen will, ist auf bibelwissenschaftliches Fachwissen angewiesen. Dazu gehören z.B. religionswissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Grundkenntnisse über die Entstehungsgeschichte der ersten Kapitel der Bibel, über ihre literarische Gattung und ihren zeitgeschichtlichen Kontext.

Gleiches gilt für die Schöpfungsaussagen in den Psalmen, dem Gebetbuches des Alten Testaments, in der altisraelitischen Weisheitsliteratur wie dem Buch der Sprüche Salomos oder dem Buch Hiob wie für den hymnischen Prolog des Johannesevangeliums.
Offene Gesprächslage
Im interdisziplinären Gespräch über Schöpfungsglaube und Evolution stehen sich also nicht einfach Theologie und Naturwissenschaften oder Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften als geschlossene Blöcke gegenüber. Wovor man sich aber zu hüten hat, sind Hybridsprachspiele, welche die Grenzen zwischen Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften verwischen.

Das Ergebnis wäre eine Form von Metaphysik oder Naturphilosophie im schlechtesten Sinne des Wortes, eine "Mixophilosophicotheologia". Wenn diese dann noch mit dem Anspruch daher kommt, eine aufgeklärte Form der Religion oder ein undogmatisches Christentum zu sein, haben wir es nur noch mit einer Privatreligion oder Weltanschauung, aber weder mit Theologie noch mit Naturwissenschaft zu tun.
Kein "intelligent design"
Übereinstimmung herrscht unter den beteiligten Autoren darin, dass die Theorie des "intelligent design" keine ernstzunehmende Position im interdisziplinären Diskurs über Schöpfung und Evolution darstellt.

Konsens besteht auch darin, dass bestimmte vorkritische Positionen einer Schöpfungstheologie, welche hinter Immanuel Kant zurückfallen, einen Rückschritt im Gespräch zwischen Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften bedeuten.

[7.9.07]
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