Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Suizid - ein Menschenrecht?  
  Der Freispruch bei einem Klagenfurter Prozess um Suizidbeihilfe hat die Debatte über Sterbehilfe in Österreich neu entfacht. Manche fordern eine Änderung des österreichischen Strafrechts. Soll Beihilfe zu Selbsttötung wie in der Schweiz erlaubt werden?  
In dubio pro reo
Im Zweifel für den Angeklagten: Das gilt auch im Fall jenes Mannes, der in Klagenfurt vor Gericht stand, weil er seiner Frau, die an einer tödlichen neurologischen Krankheit litt, Beihilfe zur Selbsttötung geleistet hat. In Österreich ist Suizidbeihilfe verboten. Unter bestimmten Voraussetzungen jedoch nicht in der Schweiz, wo Organisationen wie Exit oder Dignitas Menschen, die aus dem Leben scheiden wollen, ihre Dienste anbieten. Dorthin hat der Beklagte seine Frau begleitet und ihr ihren letzten Wunsch erfüllt.

Die amyothrophe Lateralsklerose, abgekürzt ALS, an der die Frau laut Presseberichten litt, ist eine schwerwiegende und noch immer unheilbare Erkrankung des Nervensystems, die zu fortschreitender Lähmung führt. Am Ende ist auch die Atemmuskulatur betroffen. Sowohl für die Erkrankten selbst als auch für ihre Angehörigen bedeutet ALS einen schweren Leidensweg. Jedem, der in diese Situation gerät, sollte unser Mitgefühl gelten.
->   ALS - oegn.at
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Evangelische Position zur Sterbehilfe
Bereits 1996 hat die Evangelische Kirche in Österreich in einem Dokument zur Sterbehilfe davon gesprochen, dass der Umgang mit sterbenden Menschen mitunter in derart schwierige Grenzsituationen führen kann, in denen allen Beteiligten bewusst wird, dass jede mögliche Entscheidung falsch sein kann. Weder Angehörige noch Ärzte sollten automatisch kriminalisiert werden, wenn sie sich ihrer moralischen Verantwortung stellen, und in Rechnung gestellt, dass es Grenzfälle gibt, die sich einer objektiven Beurteilung durch gängige juristische Kriterien entziehen.
->   Die evangelische Stellungnahme zur Sterbehilfe
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Grenzfälle und falsche Argumente
Grenzfälle können freilich nur dort entstehen, wo es Grenzen gibt. Wenn jetzt aus Anlass eines tragischen Einzelfalls über eine Änderung des österreichischen Strafrechts nachgedacht wird, halte ich das für den falschen Weg. Es ist falsch verstandenes Mitleid, wenn Grenzfälle zur Regel erklärt werden, wie überhaupt eine Ethik, die allein auf das Gefühl des Mitleids baut, keine tragfähige Basis hat.

Es ist auch eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn suggeriert wird, im Fall von ALS gäbe es nur die Alternative qualvollen Erstickens oder Suizid. Wer das behauptet, verrät nur seine Unkenntnis über die Möglichkeiten heutiger Palliativmedizin.
Kein Grundrecht auf Suizid
Suizid und Suizidversuch sind keine strafbaren Handlungen. Daraus wie der Vertreter von Dignitas Ludwig Minelli in der ORF-Sendung "Im Zentrum" am 14. Oktober zu folgern, Selbsttötung sei ein Menschenrecht, ist jedoch abwegig.

Falsch ist darum auch die Behauptung, das österreichische Verbot der Suizidbeihilfe widerspreche der Europäischen Menschenrechtskonvention. Im Fall Diane Pretty, einer britischen ALS-Patienten, deren Schicksal im Jahr 2002 die Öffentlichkeit bewegte, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Gegenteil klargestellt, dass aus der Straffreiheit der Selbsttötung kein positives Recht auf Selbsttötung und damit kein Recht auf Beihilfe zum Suizid abzuleiten ist.
Der Fall Pretty
Diane Pretty wollte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erwirken, dass ihr Mann straffrei ausgehen solle, falls er ihr Beihilfe zur Selbsttötung leiste, was in Großbritannien wie in Österreich grundsätzlich strafbar ist. Die Klägerin war zur Selbsttötung physisch nicht mehr in der Lage und argumentierte, sie werde gegenüber Menschen, die sich noch selbst töten können, diskriminiert.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied jedoch, dass das Recht auf Leben (Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention) und das Recht auf Schutz der Privatsphäre (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) nicht das Recht auf Suizid oder der Tötung auf Verlangen einschließe. Andernfalls müsste nämlich argumentiert werden, dass Patienten oder Patientinnen, die nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu töten, ein Benefit vorenthalten würde.

Mit dieser Argumentation wäre dann letztlich auch die nichtfreiwillige Euthanasie zu rechtfertigen. Denn auch in diesem Fall könnte man dann ja argumentieren, hier würden Menschen diskriminiert, die aufgrund fehlender Zustimmungsfähigkeit sich nicht mehr für freiwillige Euthanasie entscheiden könnten. Dies aber ist ethisch wie rechtlich eine unzulässige Argumentation.
Alternativen: Palliative Care und Patientenverfügungen
Dass gleichwohl aus dem uneingeschränkten Recht auf Leben keine uneingeschränkte Pflicht zum Leben folgt, erkennt auch die die österreichische Rechtsordnung an. Nach Paragraph 110 des Strafgesetzbuches darf niemand gegen seinen Willen behandelt und am Leben erhalten werden. Dieser Grundsatz wird durch das österreichische Patientenverfügungsgesetz gestärkt, das seit einem Jahr in Kraft ist.

Wenn es Lehren aus dem Klagenfurter Fall zu ziehen gilt, dann die, dass die palliativmedizinische Versorgung in Österreich weiter auszubauen und über die Möglichkeiten der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht verstärkt aufzuklären ist. Auf dieser Basis gibt es genügend Möglichkeiten, Sterbenden und Sterbewilligen medizinischen Beistand zu leisten, ohne den Weg der Suizidbeihilfe beschreiten zu müssen.

[26.10.07]
->   Dachverband Hospiz Österreich
->   Literatur zum österreichischen Patientenverfügungsgesetz
 
 
 
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