Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 
Nein und Amen
Ein neues Dokument aus Rom zur Bioethik
 
  1987 veröffentlichte der Vatikan seine bioethische Instruktion "Donum Vitae". In seinem neuen Dokument mit dem Titel "Dignitas Personae" bekräftigt er die lehramtliche Position der katholischen Lehre, die auch auf neue Fragestellungen ausgedehnt wird. Der nachfolgende Beitrag diskutiert die Auswirkungen auf die weitere bioethische Debatte.  
"Dignitas Personae"
Kurz vor dem Weihnachtsfest, an dem die Christenheit die Geburt Jesu von Nazareth feiert, hat der Vatikan sinnigerweise ein neues Dokument zu Bioethik vorgelegt, das um Fragen der Fortpflanzung und der Forschung an embryonalem Gewebe kreist.

Zwanzig Jahre nach der Instruktion "Donum vitae" bekräftigt die römische Glaubenskongregation in ihrer neuen Instruktion "Dignitas Personae" die bekannten katholischen Grundpositionen in Sachen Reproduktionsmedizin, Präimplantationsdiagnostik, Stammzellforschung, reproduktives und therapeutisches Klonen.

Neu sind die ethischen Fragen, die durch die Erzeugung von Hybriden oder Zybriden, d.h. von Embryonen, die durch Implantation eines menschlichen Zellkerns in eine entkernte tierische Eizelle entstehen. Wie nicht anders zu erwarten, lehnt Rom auch diese Experimente scharf ab.
->   "Dignitas Personae" im Wortlaut
Kategorisches Nein zur In-Vitro-Fertilisation
Auch wenn Rom betont, die katholische Kirche befürworte grundsätzlich den biomedizinischen Fortschritt, meint doch die rhetorische Formel vom Ja zum Leben in Wahrheit über weite Strecken ein Nein zur modernen Biomedizin.

Als entscheidender Sündenfall wird die In-Vitro-Fertilisation gebrandmarkt. Schon deshalb, weil sie der katholischen Lehre von der natürlichen Zeugung in Ehe und Familie als allein zulässiger Form der Lebensweitergabe widerspricht, gilt sie als in sich schlechte Handlung. Dass bei der extrakorporalen Befruchtung auch noch überzählige Embryonen anfallen, die entweder nach einiger Zeit vernichtet oder für medizinische Forschungszwecke verwendet werden, wird für "ganz und gar verwerflich" gehalten und mit Abtreibung gleichgesetzt.
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"Embryonale Menschen"
Dabei unterstellt die römische Kirche, dass bereits befruchte Eizellen Personen oder "embryonale Menschen" sind. Allerdings hütet sie sich weiterhin, diese auch theologisch anfechtbare Behauptung, die sie in der Vergangenheit keineswegs vertreten hat, dogmatisch festzuschreiben, um sich eine haarige philosophische Debatte zu ersparen.
->   Ulrich Körtner: Menschliche Embryonen oder embryonale Menschen?
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Starre Positionen
Wer einfache Antworten auf komplexe Fragen sucht und markige Worte liebt, wird nicht enttäuscht. Intractytoplasmische Sameninjektion (ICSI): eine in sich unerlaubte Technik. Präimplantationsdiagnostik: Ausdruck einer eugenischen Mentalität, die "niederträchtig und höchst verwerflich" ist.

Therapeutisches Klonen: "in schwerwiegender Weise unmoralisch", da hier menschliches Leben für eine therapeutische Zielsetzung geopfert werde. Das wiegt in Roms Augen sogar noch schwerer als das reproduktive Klonen, bei dem Menschen faktisch "einer Art biologischer Sklaverei unterworfen" würden.

Herstellung von embryonalen Stammzellen: "in schwerwiegender Weise unerlaubt". Verwendung von bereits existierenden Stammzelllinien: "eine Mitwirkung am Bösen", die Ärgernis hervorruft. Erzeugung von Zybriden: "eine Beleidigung der Menschenwürde".
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Vernunft und Glaube
Das neue Dokument richtet sich nicht nur an gläubige Katholiken, sondern "an alle wahrheitssuchenden Menschen". Suchen müssen allerdings nur die anderen, während sich die römische Kirche im Besitz der unumstößlichen Wahrheit wähnt. Ihre bioethischen Positionen berufen sich nicht nur auf göttliche Offenbarung, sondern auch auf ihre Übereinstimmung mit einem vermeintlich unveränderlichen Naturrecht und den Erkenntnissen menschlicher Vernunft.

Die ganze Naturrechtsargumentation krankt freilich an einem verengten Vernunftbegriff und einem vormodernen Naturbegriff. So ignoriert die katholische Synthese von Vernunft und Glaube die grundsätzliche Pluralität menschlicher Vernunft, die sich in unterschiedlichen Formen der Rationalität und des Wissens manifestiert. Daher richtet sich der Ideologievorwurf, den Rom gegen Teile der modernen Biomedizin erhebt, gegen seine eigene Moraltheologie.
Kaum Diskussionsspielräume
Abgesehen davon, dass es nicht nur außerhalb, sondern selbst innerhalb der katholischen Theologie noch ganz andere Bestimmungen des Verhältnisses von Vernunft und Glaube gibt, steht die römische Kirche auch mit ihren bioethischen Positionen im ökumenischen und interreligiösen Dialog einigermaßen isoliert da. Die moderne Reproduktionsmedizin wird von der evangelischen Kirche, von Judentum und vom Islam grundsätzlich befürwortet. Auch zur Forschung an embryonalen Stammzellen gibt es in den anderen Religionsgemeinschaften unterschiedliche Sichtweisen.

Wer sich von der katholischen Kirche einen weiterführenden Diskussionsbeitrag erhofft hat, sieht sich enttäuscht. Nicht einmal die "Adoption" von überzähligen Embryonen, welche romtreue Lebensschützer propagieren, findet Gnade vor den Augen der Glaubenskongregation.
Abweichende Positionen unerwünscht
Abweichende Positionen zur Forschung an embryonalen Stammzellen, wie sie vereinzelt prominente Moraltheologen vertreten, werden nicht geduldet. Dass die Forschung an adulten Stammzellen auf den Vergleich mit embryonalen Stammzellen angewiesen ist, wird geflissentlich ignoriert.

Selbst die von katholischen Moraltheologen befürwortete Forschung mit induzierten pluripotenten Stammzellen oder anderen Zellen, die embryonalen Stammzellen ähnlich sind, stößt in Rom auf größte Zurückhaltung.

Solange der ontologische Status solcher Zellen nicht zweifelsfrei geklärt sei, rechtfertige schon die bloße Wahrscheinlichkeit, eine menschliche Person vor sich zu haben, ein striktes Forschungsverbot. Dagegen ist einzuwenden, dass die lehramtliche Sicht des ontologischen und moralischen Status von Embryonen keineswegs schon eine hinreichende Begründung für die bioethischen Urteile und die biopolitischen Forderungen der katholischen Kirche liefert.

Fazit: Der lehramtliche Rahmen für theologische und biopolitische Diskussionen bleibt eng gesteckt. Das ist auch aus ökumenischer Sicht bedauerlich.

[26.12.08]
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