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Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Rudolf Bultmann vor 125 Jahren geboren  
  Vor 125 Jahren wurde der Neutestamentler Rudolf Bultmann geboren. Er war einer der bedeutendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Veranstaltungen und Neuerscheinungen erinnern an den großen Gelehrten und sein Lebenswerk.  
Biographisches
Bild: Universitaet Marburg
Rudolf Bultmann
Rudolf Bultmann (1884-1976) gilt mit Recht nicht nur als einer der bedeutendsten Neutestamentler, sondern überhaupt als einer der wichtigsten protestantischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Von der liberalen Theologie und der religionsgeschichtlichen Schule herkommend, näherte er sich früh der von Karl Barth (1886-1968) begründeten Dialektischen Theologie an und war bald neben Barth, Emil Brunner, Friedrich Gogarten, Eduard Thurneysen und Georg März einer ihrer führenden Vertreter.

n der Zeit des Kirchenkampfes während des "Dritten Reiches" gehört Bultmann der Bekennenden Kirche an.

1910 promovierte Bultmann, der aus einem oldenburgischen Pfarrhaus stammte, mit einer Untersuchung zur Theologie des Paulus und habilitierte sich 1912 mit einer Studie zur Exegese Theodors von Mopsuestia. 1916 wurde er als a.o. Professor für Neues Testament nach Breslau berufen, 1920 als ordentlicher Professor nach Gießen und 1921 nach Marburg, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte.
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Rechtzeitig zu seinem 125. Geburtstag ist soeben eine umfassende Bultmann-Biographie von Konrad Hammann erschienen: Rudolf Bultmann. Eine Biographie, Mohr Siebeck: Tübingen 2009.
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Bultmann und die dialektische Theologie
Wie die Dialektische Theologie insgesamt ist auch die Theologie Bultmanns als Reaktion auf die Krise des Historismus zu verstehen. Die für die liberale Theologie charakteristische Diastase zwischen Religion und wissenschaftlicher Theologie, welche Bultmann in seiner Frühzeit mitvollzogen hat, lehnte er später vehement ab.

Freilich hat Bultmann einen durchaus differenzierten Begriff von Dialektischer Theologie vertreten. 1924 schrieb er, es handele sich bei der dialektischen Theologie eben "nicht um Erneuerung der Orthodoxie, sondern um Besinnung auf die Konsequenzen, die sich aus der durch die liberale Theologie bestimmten Situation ergeben".

In kritischer Kontinuität mit seinem Lehrer Wilhelm Herrmann (1846-1922) fragt Bultmann nach der Erkennbarkeit Gottes in seiner Offenbarung. Im Unterschied zu Barth lassen sich Gott und Mensch nach Bultmanns Offenbarungsverständnis nicht voneinander trennen. Will man von Gott reden, so muss man vielmehr von sich selbst reden.
Konsequente Exegese
Bild: Universitaet Marburg
Bultmann-Büste an der Universität Marburg
Kennzeichnend für Bultmanns theologisches Werk und Denken ist die Verbindung von historischer Exegese und systematischer Theologie. Wie Bultmann in den Epilegomena seiner 1953 erschienenen Theologie des Neuen Testaments - für Jahrzehnte ein Standardwerk - ausgeführt hat, besteht die Aufgabe der Theologie in der Einheit ihrer Disziplinen darin, "das aus dem Glauben erwachsende Verständnis von Gott und damit von Welt und Mensch zu entwickeln".

Versteht man diese Aufgabe mit Bultmann als systematische Theologie, die freilich von jeder unhistorisch verfahrenden "Normaldogmatik" unterschieden wird, so war Bultmann ganz gewiss nicht nur ein Exeget und ein Systematiker von Rang, sondern als Exeget ein Systematischer Theologe.

Für die Exegese der Bibel gelten nach Bultmann keine anderen Methoden als für die Interpretation anderer Texte auch. Als Mitbegründer der formgeschichtlichen Methode - 1921 erschien seine Geschichte der Synoptischen Tradition (10. Auflage 1995) - hat selbst maßgeblich zur Weiterentwicklung der mit der Aufklärung entstandenen historisch-kritischen Methode beigetragen. Zu seinen Hauptwerken zählen außerdem sein Jesusbuch von 1926, sein 1941 erschienener Kommentar zum Johannesevangelium sowie seine vierbändige Aufsatzsammlung Glauben und Verstehen.
Auseinandersetzung mit dem Historismus
Die Vorstellung einer "hermeneutica sacra", welche die Bibelauslegung von besonderen religiösen oder dogmatischen Prämissen abhängig macht, lehnte Bultmann entschieden ab: "Theologie ist eigentlich und immer historische Theologie. Die Rückwendung der Theologie zur Geschichte ist dabei keine grundsätzlich andere als in jeder Geschichtswissenschaft, d.h. sie ist die unter dem in der Gegenwart vernommenen Anspruch der Zukunft erfolgende kritische [!] Rückwendung zur eigenen Geschichte. Zum Glauben wird [!] diese Rückwendung, wenn sie den Anspruch dieses geschichtlichen Faktums (Faktums meiner Geschichte), der Schrift anerkennt, was nicht als Voraussetzung von der Interpretation erledigt sein kann, sondern sich nur in ihr vollzieht."

Geschichtsauslegung ist nach Bultmann freilich immer zugleich Selbstauslegung, und je klarer dies ist, "um so deutlicher ist es auch, dass die Exegese ausdrücklich von der Frage der Selbstauslegung geleitet sein muss, wenn sie nicht dem Subjektivismus verfallen will". Das nicht erkannt zu haben, war für Bultmann das Ungenügen des Historismus des 19. Jahrhunderts.
Entmythologisierung der Bibel
Die praktische Konsequenz aus diesen Überlegungen besteht in Bultmanns Programm der existentialen Interpretation, deren Kehrseite die sogenannte Entmythologisierung ist. Klarsichtig arbeitet er die erheblichen Schwierigkeiten heraus, vor die sich jedes Bemühen um ein zeitgemäßes Verstehen der biblischen Botschaft gestellt sieht.

Oberflächlich betrachtet besteht das Grundproblem in den mythischen Zügen des neutestamentlichen Weltbildes, die dem aufgeklärt-naturwissenschaftlichen Weltbild gänzlich widersprechen. Lapidar stellt Bultmann fest, das mythische Weltbild der Bibel habe sich "erledigt". "Man kann", so schreibt Bultmann 1941, "nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben."

Das Neue Testament sei darum zu "entmythologisieren". Entmythologisierung bedeutet bei Bultmann freilich nicht die Eliminierung des Mythos, sondern seine Reinterpretation. Positiv gewendet geht es Bultmann um die "existentiale Interpretation" des Neuen Testaments. Der Glaube ist vom Mythos zu unterscheiden, weil er sich wie die Rede von Gott jeder weltbildhaften Verobjektivierung entzieht.
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Bultmann und Heidegger
Neben der Lektüre Soren Kierkegaards und Wilhelm Diltheys und neben Bultmanns Lehrer Wilhelm Herrmann hat vor allem das intensive Gespräch mit Martin Heidegger Bultmanns hermeneutisches Programm beeinflusst. Zwischen Bultmann und Heidegger, der ebenfalls 1976 starb, bestand in dessen Marburger Zeit eine intensive Arbeitsgemeinschaft. Allerdings ging Bultmann nach 1933 zu Heidegger, als dieser sich zeitweise dem Nationalsozialismus zuwandte, deutlich auf Distanz.

Neue Einblicke in das Verhältnis von Bultmann von Heidegger gibt der soeben aus dem Nachlass veröffentlichte Briefwechsel. Er gehört zu den wichtigsten Kapiteln des Gespräches zwischen Theologie und Philosophie im 20. Jahrhundert.

Buchtipp: Rudolf Bultmann/Martin Heidegger, Briefwechsel 1925-1976, hg. v. Andreas Großmann u. Christof Landmesser, Klostermann: Frankfurt a.M. 2009
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Ketzer oder moderner Kirchenvater?
In den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde Bultmanns Entmythologisierungsprogramm zum innerkirchlichen Streitfall. Konservative Kreise machten dem Marburger Theologen den Vorwurf, das christliche Glaubensbekenntnis abzuschaffen, und strebten sogar ein Lehrzuchtverfahren an. Anderen Kritikern ging Bultmanns Modernisierung der Theologie im Gegenteil nicht weit genug.

Heute hat Bultmann längst kirchliche Anerkennung erfahren. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten der Begriff des Mythos eine neue Aufwertung erfahren hat, bleibt Bultmanns Theologie ungebrochen aktuell. Gerade in der Auseinandersetzung mit neuen Formen einer synkretistischen und mythischen Religiosität sollte Bultmanns Mythoskritik ebenso neu bedacht werden wie sein kritischer Umgang mit dem Begriff der Religion.
Bultmann -Theologe der Gegenwart
Der aktuelle Stand der Bultmann-Forschung und die Bedeutung, die Bultmanns Werk für die Theologie der Gegenwart hat, sind Thema der 11. Jahrestagung der 1998 gegründeten Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für Hermeneutische Theologie, die vom 2. bis 4. März an der Evangelischen Akademie Hofgeismar stattfindet. Neben der neuen Bultmann-Biographie und dem Briefwechesel Bultmann-Heidegger wird dort auch der jüngste Band der Bultmann-Gesellschaft vorgestellt.

[13.2.09]
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Neuerscheinung: Ulrich H.J. Körtner (Hg.), Kirche - Christus - Kerygma. Profil und Identität christlicher Kirche(n), Neukirchener Verlag: Neukirchen-Vluyn 2009.
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->   Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für hermeneutische Theologie
->   Rudolf Bultmann - Spagat zwischen Glauben und Verstehen (Uni Marburg)
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