Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft .  Leben 
 
Forschungsethik und Menschenbild
Zum Leitbild medizinischer Forschung
 
  Die medizinische Forschung ist in Organisation und Zielsetzung erheblichen Veränderungen unterworfen. Sie betreffen nicht nur die wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen, die institutionellen und ökonomischen Rahmenbedingungen, sondern auch das Leitbild der Forschung und die berufliche Einstellung der Forschenden. Die Debatte über das Pro und Kontra verbrauchender Embryonenforschung ist dafür exemplarisch.  
Menschenbild und Menschenwürde
Im Kern aller medizinethischen Diskussionen geht es um grundlegende Fragen der Anthropologie. Die medizinethische Diskussion ist einer der Orte, an welchem unsere Gesellschaft ihr Verhältnis zum Sinn des Lebens und des Leidens, zu Geburt und Tod als gleichermaßen personalen wie sozialen Realitäten zu klären versucht.
Die Sprache der Medizin
Zu fragen ist nicht allein nach dem Menschenbild der modernen Medizin und seinen Veränderungen, die z.B. buchstäblich durch neue bildgebende Verfahren hervorgerufen werden, sondern auch nach der Sprache der Medizin, in welcher diese vom Menschen redet.
"Im Mittelpunkt der Mensch": das ist zumeist nur die Rhetorik von Sonntagsreden. Selbst wenn sie ehrlich gemeint sind, klingen sie für heutige Ohren merkwürdig antiquiert. Im Alltag ist allenfalls vom Patientengut, von Fällen oder Probanden die Rede. "Der Mensch" bzw. "der Mensch als Person" kommt im Klinik- und Forschungsalltag kaum vor.
Der Mensch als Objekt und als Subjekt der Forschung
Die Frage nach dem die Medizin in Therapie und Forschung leitenden Menschenbild stellt sich auf doppelte Weise. Es geht nicht nur um das Bild vom Menschen als Objekt medizinischer Forschung, d.h. um das heutige Bild vom Kranken und vom Gesunden, sondern auch um das Bild vom Menschen als Subjekt der Medizin, d.h. um das Selbstbild und Selbstverständnis des Arztes, der Ärztin, bzw. des Forschers oder der Forscherin.
Zu diskutieren ist nicht nur die Sicht des leidenden Menschen, sondern auch diejenige des tätigen Menschen. Thema einer medizinischen Anthropologie ist nicht nur das menschliche Leiden und die Begrenztheit der Lebensdauer, sondern auch der Sinn und die Grenzen ärztlichen Handelns, die Erfahrung der Ohnmacht und des Scheiterns.
Ziele und Grenzen der Medizin
Der medizinische Fortschritt im allgemeinen wie derjenige der Biomedizin im besonderen wirft die Grundsatzfrage nach Sinn und Ziel der Medizin überhaupt auf. Hinter der Frage, ob die Medizin darf, was sie kann, verbirgt sich die Frage nach ihrem Wozu. Entscheidend für das Leitbild medizinischer Forschung ist die Frage nach den Zielen der modernen Medizin.
Nur wenn die elementare Frage nach dem Selbstverständnis der Medizin, d.h. aber auch nach den sie leitenden Begriffen von Krankheit und Gesundheit gestellt wird, lassen sich auch die ethischen Grenzen medizinischen Handelns und Forschens bestimmen.
Die Utopie des Machbaren
Im Unterschied zu einer krankenorientierten, patientenzentrierten Medizin steht eine krankheitsorientierte Medizin in der Gefahr, daß der medizinisch-technologische Fortschritt zum Selbstzweck wird. Gemacht wird, was machbar ist und zudem einen ökonomischen Gewinn verspricht.
Hinter der Verselbständigung medizinischen Fortschritts steht aber auch ein utopischer Gesundheitsbegriff, der in der Bevölkerung um sich greift und durch den medizinischen Fortschritt genährt wird. Seine Kehrseite besteht darin, daß jede Beeinträchtigung des Wohlbefindens als Verhinderung des Glücks, als Einschränkung sinnhaften Lebens und somit ausschließlich negativ bewertet wird.
Menschenbild auf dem Prüfstand
Die Kritik an biomedizinischen Allmachtsphantasien oder an handfesten ökonomischen Interessen berechtigt jedoch nicht dazu, die Chancen der modernen Biomedizin auszuschlagen, auch wenn diese vermutlich geringer sind als bisweilen erhofft wird. Es fragt sich aber, ob unser Menschenbild den ethischen Herausforderungen des medizinischen Fortschritts noch gewachsen ist, zumal es das eine Menschenbild in der pluralistischen Gesellschaft gar nicht gibt.
Weitreichender als die tatsächlich vorhandenen biomedizinischen Möglichkeiten sind die weltanschaulichen und gesellschaftlichen Folgen der modernen Medizin. Wesentliche Einsichten der bisherigen abendländischen Kultur und eines vom Christentum geprägten Menschenbildes drohen verloren zu gehen.
Leben als Fragment
Die Theologie erinnert im interdisziplinären Gespräch an die Einsicht, daß menschliches Leben wesenhaft fragmentarisch und unvollkommen ist und daß auch Behinderungen und Leiden zu einem sinnerfüllten Leben dazugehören. Diese Erkenntnis entspricht zumindest der christlichen Anthropologie, welche den Menschen im Lichte der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu von Nazareth als Geschöpf Gottes versteht.
Heil und Heilung
Die christliche Sicht des Menschen schließt auch die Unterscheidung von Heil und Heilung ein, auch wenn beide aufeinander bezogen sind. Das bedeutet, daß das medizinische Handeln ebenso wie die medizinische Forschung von allen offenen oder geheimen soteriologischen Ansprüchen zu entlasten ist.
Heil ist keine sinnvolle therapeutische Zielsetzung, weder im Sinne einer fragwürdigen Ganzheitlichkeit noch im Sinne eines Utopismus, welcher die Medizin in den Dienst einer technischen Vervollkommnung der menschlichen Gattung stellt. Die Heilkunst darf nicht zur Heilslehre überhöht werden.
Prinzipien der Forschungsethik
Wenn das allgemeine Ziel aller Medizin die Heilung nicht von Krankheiten, sondern von kranken Menschen ist, leitet sich die grundlegende Maxime zur Begrenzung medizinischen Handelns in Therapie und Forschung aus dem Prinzip der Menschenwürde ab. Dieses schließt die Selbstzwecklichkeit menschlichen Lebens ein.
Auch wenn wir partiell über andere Menschen verfügen oder über uns verfügen lassen, so ist es doch mit der Würde des Menschen unvereinbar, ihn völlig zu verzwecken und zum Mittel zu degradieren, das der Erreichung anderer Zwecke dient, die nicht dem Betroffenen selbst zugute kommen. Das gilt auch für die Forschung am Menschen, für eigennützige ebenso wie für fremdnützige.
Allgemein wird zwischen therapeutischer und nicht-therapeutischer Forschung unterschieden. Forschung, die den Probanden völlig verzweckt und instrumentalisiert, widerspricht der Menschenwürde.
...
Menschenrechte in der biomedizinischen Forschung
Besondere Brisanz haben solche Überlegungen im Blick auf die Frage nach der Zulässigkeit medizinischer - und zwar auch fremdnütziger - Forschung an nicht zustimmungsfähigen Personen. 1996 verabschiedete der Europarat das "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin", kurz "Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin", "Menschenrechtskonvention zur Biomedizin" (MRB)oder auch einfach "Biomedizin-Konvention" genannt (European Treaties Series, No. 164, 1997).

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland bestehen gegenüber diesem Dokument noch immer Bedenken, die bislang die Unterzeichung und Ratizifierung verhindert haben. Sie betreffen insbesondere die Forschung an Embryonen (Art. 18 MRB) sowie die Forschung an nicht zustimmungsfähigen Personen (Art. 17 MRB).
...
Die Notwendigkeit internationaler Abkommen
Angesichts des rasanten Fortschritts der medizinischen Forschung ist es jedoch unerläßlich, international wirksame Menschenrechtsinstrumente zu entwickeln. Dies spricht für einen Beitritt zur Biomedizin-Konvention. Allerdings bedürfen die strittigen Bestimmungen dieser Konvention zur fremdnützigen Forschung einer präzisen, die Grenzen des ethisch Zulässigen markierenden Interpretation.
Desiderate der Forschungsethik
So wichtig wirksame Rechtsinstrumente auch sind, so wenig kann freilich das Medizinrecht die Forschungsethik ersetzen. Forschungsethik betrifft nicht nur die Arbeit von Ethikkommissionen, sondern auch die berufliche Einstellung von Forschenden, deren Persönlichkeitsbildung ein wichtiges Desiderat ihrer Ausbildung ist.
Was die Entwicklung sogenannter "attitudes" betrifft, stellen sich ernsthafte Fragen nach den Inhalten und Lernzielen des Curriculums für die medizinische Aus- und Fortbildung. Medizinethik und Forschungsethik müssen darum stärker als bisher in den Studienplänen und in der beruflichen Weiterbildung verankert werden. Die Diskussion über das Leitbild medizinischer Forschung bleibt akademisch, solange für das Medizinstudium keine praktischen Konsequenzen gezogen werden.
Streifall Embryonenforschung
 


Eine brisante Frage heutiger Forschungsethik lautet, ob die verbrauchende Forschung an Embryonen ethisch zulässig ist. Die Frage, wann menschliches Leben beginnt und ab wann es rechtlich zu schützen ist, verweist auf die Problematik unterschiedlicher Menschenbilder und sittlicher Einstellungen.
...
Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?
"Embryonen als Ersatzteilager? Embryonale Stammzellen, verbrauchende Embryonenforschung und therapeutisches Klonen", so lautet eines der Themen beim Symposium "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?", das der ORF gemeinsam mit dem Intsitut für Ethik und Recht der Medizin der Universität Wien vom 11.-12. Oktober 2001 veranstaltet. Kooperationspartner sind die Österreichische Ärztekammer und das Zentrum für Medizinrecht.

Zum Thema sprechen:

Univ.Prof. Dr. Othmar Wiestler, Universität Bonn
Univ.Prof. Dr. Günter Rager, Universität Fribourg

Ferner diskutieren:

Univ.Prof. DDr. Johannes Huber, Universität Wien (Vorsitzender der Bioethikkommission der österreichischen Bundesregierung)
Präsident Dr. Otto Pjeta (Österreichische Ärztekammer)

Veranstaltungsort:

ORF/Funkhaus/Studio 3, Argentinierstr. 30a, 1040 Wien

Beginn an beiden Tagen: 16:00 Uhr

Nähere Informationen: Ö1 Servicenummer: (01) 501 70 371
->   Institut für Ethik und Recht in der Medizin
...
->   Radio Österreich 1
->   RadioKulturhaus
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick