Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Embryonenschutz und Biomedizin - eine Zwischenbilanz der bioethischen Debatte  
  Das internationale Symposium "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?" bot Gelegenheit, die ethischen Kernprobleme des biomedizinischen Fortschritts interdisziplinär zu diskutieren und sich aus erster Hand über den Stand der medizinischen Forschung zu informieren.  
Pluralisierung der Ethosformen
"Der Vorhang zu und alle Fragen offen!" - dieser Eindruck konnte vielleicht am Ende des ersten Veranstaltungstages entstehen, der den medizinischen, anthropologischen, ethischen, juristischen und politikwissenschaftlichen Problemen des Embryonenschutzes gewidmet war. Doch insgesamt hat das zweitägigen Symposiums, das von Ö1 und dem Institut für Ethik und Recht in der Medizin veranstaltet wurde, durchaus zu Klärung der strittigen Sachfragen beigetragen.
Ein Kernproblem ist allerdings die Pluralisierung nicht nur der Ethosformen, sondern auch der Ethikkonzepte, die zur Begründung gegensätzliche Positionen in der Frage des Embryonenschutzes aufgeboten werden. Mit ihr setzte sich das Symposium am ersten Tag auf hohem Niveau umfassend auseinander.
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Ethik und Moral
Die spannenden Vorträge und Diskussionen machten deutlich, wie notwendig die Unterscheidung zwischen Ethos bzw. Moral und Ethik als argumentativer und normativer Reflexion der Moral ist. Eine beliebige Pluralität divergierender Moralen, z.B. auf dem Gebiet der Biomedizin, droht die Basis einer pluralistischen Gesellschaft zu gefährden, wenn nicht auf einer Metaebene ein Konsens über grundlegende Werte und Verfahrensregeln erzielt wird.
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Kant und der Embryo
Bemerkenswert war, daß sich sowohl die Gegner wie auch die Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen auf Kant beriefen, wenn es um die entscheidende Frage ging, ab wann neues menschliches Leben mit dem Leben eines neuen Menschen oder einer menschlichen Person gleichzusetzen ist, die unbedingte Würde hat und gegen jede Totalinstrumentalisierung geschützt werden muß.
Eine unmittelbare Antwort sucht man bei Kant vergebens, weil er den frühesten Embryonalzustand oder gar die Möglichkeit der extrakorporalen Befruchtung selbstverständlich noch nicht kannte. Dies spricht freilich nicht gegen den Versuch, vom Kantischen Begriff der Person und ihrer Würde aus eine konsistente Theorie über den moralischen und rechtlichen Status von Embryonen zu entwickeln.
Ob die Idee der Menschenwürde ¿ abgesehen von ihren jüdisch-christlichen Wurzeln ¿ in der Tradition Kants ein geeigneter Kandidat ist, um den anthropologischen Status von Embryonen zu bestimmen, blieb unter den Expertinnen und Experten aus Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft umstritten.
Eine überzeugende Alternative ließ sich jedoch auch nicht erkennen, zumal auch angeblich weltanschaulich neutrale oder nachmetaphysische Begründungsmodelle höchst voraussetzungsreich oder aber aporetisch und willkürlich sind.
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Die Rolle der Embryologie in der bioethischen Debatte
Wer die Uneinigkeit der Philosophen und Theologen für ein typisches Kennzeichen der Geisteswissenschaften halten sollte, sah sich durch die Beiträge der Mediziner eines Besseren belehrt. Denn auch die Embryologen und die übrigen Mediziner waren sich in der Frage des Lebensbeginn keineswegs einig. Auch unter ihnen reichten die Ansichten über den Lebensbeginn vom Zeitpunkt der Befruchtung über denjenigen der Verschmelzung der Vorkerne bis zur Nidation.

Je nach Gewichtung der genetischen, der zellbiologischen und der morphologischen Daten gelangt man offenbar auch medizinisch in grundlegenden Fragen der Anthropologie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die zeigt nur, wie notwendig der interdisziplinäre Dialog in Fragen der Anthropologie und der Biomedizin zwischen Medizin, Naturwissenschaften, Geistes- und Kulturwissenschaften einschließlich der Theologie und schließlich der Rechtswissenschaft ist.
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Erkenntnis und Interesse
Die Diskussionen ergaben auch, wie sehr erkenntnistheoretische Aussagen immer auch von Handlungsabsichten geleitet sind. Diesem Aspekt muß in der weiteren bioethischen Debatte stärkere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Je nachdem, welche Forschungen oder Diagnoseverfahren für zulässig gehalten werden, fallen die Antworten zum ontologischen und moralischen Status von Embryonen unterschiedlich aus.
Ethik als normative Wissenschaft ist nur dann ernst zu nehmen, wenn das ethisch Richtige nicht mit dem medizinisch Machbaren und ethische Normen nicht mit der Macht des Faktischen verwechselt werden.
In der weiteren Debatte muß daher sichergestellt werden, daß Handlungsziele ¿ mögen sie auch noch so ehrenwert sein ¿ nicht in die ethische oder erkenntnistheoretische Begründung einfließen. Zumindest darüber sollte zwischen den verschiedenen Positionen Einigkeit herrschen.
Moralische Güter
Zu klären ist aber auch, welches Gut bei Embryonenschutz tatsächlich geschützt werden soll. Sind es wirklich vornehmlich die konkreten Embryonen selbst, oder sind es eigentlich andere Güter wie z.B. die Menschenwürde und Selbstachtung lebender Behinderter? In welchem Verhältnis stehen individual- und sozialethische Argumente in der Debatte um Notwendigkeit und Grenzen des Embryonenschutzes?
Offenbar führt jeweils ein ganzes Bündel von Argumenten,die zu unterscheiden sind, aber auch nicht voneinander isoliert werden können, zu unterschiedlichen Position in der Frage des Embryonenschutzes.
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Unbestimmtheit des Anfangs
Resümiert man die embryologischen Positionen, die auf dem Symposium vertreten wurden, so spricht auch von medizinischer Seite einiges für die Annahme, daß sich der Beginn einem Menschenlebens nicht exakt bestimmen läßt. Dies bedeutet keineswegs, daß menschliches Leben sich erst allmählich zu einem artspezifischen Leben und dieses sich erst im Verlauf der Embryonalentwicklung zum Leben eines menschlichen Individuums entwickeln würde.
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Tutiorismus
Es gibt gute Gründe, die Unterscheidung von Mensch und Person ebenso als "Aufspaltung des Menschlichen" (G. Virt) zu kritisieren wie die isolierte Betrachtung einzelner Entwicklungsstadien anstelle ihrer Zusammenschau als Prozeß einer Lebensgeschichte, deren Beginn sich aber aus prinzipiellen Gründen nicht kategorisch, sondern allenfalls pragmatisch festlegen läßt.
So sprach sich denn auch die Mehrheit der Mediziner zumindest aus pragmatischen Gründen für einen frühestmöglichen Embryonenschutz aus. Ethisch wird eine solche Position auch als tutioristisch bezeichnet. Sofern gewisse Ausnahmen von einem derart begründeten Embryonenschutz für zulässig gehalten werden, spricht man von einem gemäßigten Tutiorismus.
Strenge, liberale und gemäßigte Modelle der Bioethik
Die Bandbreite bioethischer Positionen zum Embryonenschutz, die auf dem Symposium vertreten wurden, reicht von strengen über gemäßigte bis zu liberalen Positionen. Während der strenge Begründungstyp für einen umfassenden Embryonenschutz ab der Befruchtung eintritt, setzen liberale Positionen die Schutzwürdigkeit des Embryos erst zu einem späteren Zeitpunkt an, jedenfalls nicht vor der Nidation, d.h. der Einnistung des Embryos in der Gebärmutter.
Die gemäßigte Position tritt grundsätzlich für einen frühestmöglichen Lebensschutz von Embryonen ein, hält aber unter bestimmten Voraussetzungen eine Güterabwägung für ethisch zulässig, z.B. zwischen dem Lebensrecht und der Lebensfähigkeit von Embryonen mit schweren Gen- oder Chromosemendefekten im Falle der Präimplantationsdiagnostik oder zwischen dem Lebensrecht überzähliger Embryonen, die mit Sicherheit niemandem mehr implantiert werden und hochrangigen Forschungszielen in der Embryonenforschung.
Embyronenschutz, Ethik und Recht
Von der Frage nach dem Lebensbeginn eines Menschen ist diejenige nach dem Beginn des Lebensschutzes und seinen möglichen Abstufungen nochmals zu unterscheiden. Auch dies hat das Symposium klar gezeigt. Ontologische, ethische oder auch religiöse Auffassungen über den anthropologischen Status von Embryonen können nicht unmittelbar in Recht umgesetzt werden. Das Recht aber muß klare Regelungen und Grenzziehungen formulieren, die ihrerseits in der pluralistischen Gesellschaft eine gewisse Begründungsoffenheit haben werden.
Als weiteres Zwischenergebnis der Debatte läßt sich festhalten, daß der Gesetzgeber in der pluralistischen Demokratie der Biomedizin wahrscheinlich weitere Grenzen ziehen muß, als von einer strengen bioethischen Position immer wieder gefordert wird. Dabei sind Inkohärenzen, die sich z.B. im gegenwärtigen österreichischen Recht zeigen, nach Möglichkeit durch den Gesetzgeber zu beseitigen.
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Embryonenschutz und Abtreibungsrecht
Ganz offensichtlich bedeutet dies aber, daß sich die Diskussion über die Rechtsstellung von Embryonen im Reagenzglas, über verbrauchende Embryonenforschung und über die Präimplantationsdiagnostik nicht von der Abtreibungsfrage und dem Problem eugenisch bzw. embryopathisch begründeter Spätabtreibungen trennen läßt.

So wurde z.B. die Frage aufgeworfen, ob Embryonen in vitro so lange vom Staat geschützt werden sollen, bis sie später nach ihrem Transfer in den Uterus legal abgetrieben werden dürfen. Gefragt wurde auch, weshalb behindertes Leben einen höheren Rechtsschutz genießen sollte als nichtbehindertes.
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Optionen für den Gesetzgeber
Intensiv wurde beim Symposium über eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen sowie der Forschung an Stammzellen "überzähliger" humaner Embryonen, die bei der In-vitro-Fertilisation anfallen, unter strengen Auflagen diskutiert. Die konkreten Vorschläge entsprachen einer gemäßigten bioethischen Position. Eine weitgehende Liberalisierung fand dagegen kaum Unterstützung.
Präimplantationsdiagnostik
Einigkeit herrschte darüber, daß die eingeschränkte Zulassung der PID nur dann ethisch vertretbar wäre, wenn dadurch einerseits nicht ein behindertenfeindlichen Klima und einer eugenischen Mentalität in der Gesellschaft erzeugt würde und andererseits eine strenge Reglementierung der Indikationen sichergestellt würde, damit sich nicht die gleiche Entwicklung wie bei der pränatalen Diagnostik wiederholt, die ursprünglich auch nur für wenige Härtefälle zugelassen werden sollte, inzwischen aber in breitem Umfang eingesetzt wird und zur verstärkten Selektion insbesondere von Kindern mit Down-Syndrom geführt hat.
Derzeit gibt es aber noch keine überzeugenden Vorschläge für eine legistische Lösung, weshalb davon auszugehen ist, daß eine entsprechende Änderung des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes vorerst nicht zur Debatte steht.
Forschung an humanen embryonalen Stammzellen
Ausführlich wurde über die Chancen, die vorhandenen Schwierigkeiten und Risiken, aber auch über die ethischen Grenzen der Forschung an humanen Embryonen diskutiert. Im Sinne eine gemäßigten bioethischen Position ist die Forschung an den Stammzellen "überzähliger Embryonen", die bei der In-vitro-Fertilisation anfallen, schon mehrere Jahre kryokonserviert worden sind und mit Sicherheit keiner Frau mehr implantiert werden, ein vertretbare Option, wenn diese Forschung strengen Auflagen unterliegt.
In Österreich sind bislang aber keine entsprechenden Forschungsprojekte bekannt, so daß diese Frage auch nur in einer allgemeine Form diskutiert wird.
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Stichwort: Forschungsethik
In jedem Fall bedarf die Forschungsethik einer eingehenden Diskussion. So war z.B. von der allgemeinen Forderung nach Respekt des Forschenden vor seinem Objekt, auch vor menschlichen Embryonen, die Rede, deren praktische Bedeutung aber recht vage blieb. Eine Forschungsethik, aus der sich klare Normen und Kriterien für die Forschung mit embryonalen Stammzellen ableiten lassen, ist offenbar noch immer ein Desiderat.
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Grenzen der Biomedizin
Grenzen sind in jedem Fall dort zu ziehen, wo die Freiheit des Einzelnen, welche eine liberale bioethische Position ins Feld führt, durch eben jene geforderten Liberalisierung bedroht wird. Die ethische Verantwortung liegt außerdem keineswegs nur bei Patienten und möglichen Betroffenen, sondern auch auf seiten der Ärzte und Forscher. Weder dürfen Patienten paternalistisch bevormundet werden, noch darf die ethische Verantwortung von den Medizinern an die Patienten delegiert werden.
Bioethik und Biopolitik
Letztlich ist der Gesetzgeber gefordert, entsprechende Regelungen für die Biomedizin zu treffen. Ein Thema des Symposium war freilich auch, daß die Politik ihre Verantwortung gern an Expertengremien delegiert und die gesetzgeberische Aufgabe, welche sich aus dem biomedizinischen Fortschritt ergibt, nur zögerlich angeht.
Ein konkretes Beispiel dafür ist, daß die Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzlers seit ihrer konstituierenden Sitzung im Juli noch nicht wieder getagt hat. Aber auch das Parlament setzt bislang keine biopolitischen Initativen.
So bleibt zu hoffen, daß das Symposium nicht nur der bioethischen, sondern auch der biopolitischen Diskussion in Österreich neue Anstöße gibt.
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"Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?"
Das Symposion fand am Donnerstag und Freitag in Wien statt. Teilnehmer aus verschiedenen Disziplinen diskutierten das Thema Embryonenschutz aus rechtlicher, medizinischer und theologischer Perspektive.
->   Programm und Teilnehmer
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Weitere Artikel zum Symposion in science.orf.at:
->   Anhaltende Debatte um Präimplantationsdiagnostik
->   Embryonenschutz: Ethische Dilemmata, juristische Fragen
->   Franz Josef Wetz: Haben Embryonen Würde?
->   Christian Kopetzki: Rechtliche Fragen des Embryonenschutzes
 
 
 
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