Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 
Therapeutisches Klonen - Fortschritt oder Irrweg?  
  Die Zulassung des Therapeutischen Klonens in Großbritannien löst neue Diskussion unter Bioethikern aus.  
Neues Verfahren zur Gewinnnung von Stammzellen
Kurz vor Weihnachten 2000 hat das englische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das das sogenannten therapeutische Klonen erlaubt. Als therapeutisches Klonen wird ein Verfahren bezeichnet, bei dem im Reagenzglas (in vitro) aus einer menschlichen Eizelle der Zellkern entfernt und durch den Zellkern eines fremden Menschen ersetzt wird. Anschließend wird die Eizelle elektrisch stimuliert und beginnt sich zu teilen. Aus dem so entstehenden Zellhaufen lassen sich embryonale Stammzellen gewinnen, die bei dem Spender des Zellkerns zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können.
Mittels solcher Stammzellen hofft man bei der Behandlung neuronaler Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose, Parkinson oder Alzheimer einen Durchbruch zu erzielen. Auch die Transplantationsmedizin könnte revolutioniert werden, wenn es gelänge, aus embryonalen Stammzellen körpereigenes Gewebe oder sogar ganze Organe zu züchten.
Zukunftsmusik der Forschung
Embryonale Stammzellen sind der Stoff, aus dem die medizinischen Träume sind. Von der Grundlagenforschung zur Anwendung ist es freilich noch ein langer Weg. Viele Versprechungen, mit denen jetzt die Zulassung des therapeutischen Klonens gerechtfertigt werden, sind derzeit noch Zukunftsmusik. Was tatsächlich einmal therauetisch möglich sein wird, bleibt vorerst Spekulation.
Umstritten ist auch, wie notwendig die Methode des therapeutischen Klonens ist. Dass sie der einzige Weg zur Entwicklung neuer Therapieverfahren ist, ist selbst unter Forschern umstritten. Um z.B. Patienten, die an multipler Sklerose leiden, flächendeckend behandeln zu können, bräuchte man für die Gewinnung entsprechender Stammzellen derart viele menschliche Eizellen, dass sie - von ethischen Problemen abgesehen - kaum zu beschaffen sein dürften. Befürworter des therapeutischen Klonens sehen in diese Methode darum nur einen Zwischenschritt, vielleicht auch nur eine Umweg der Forschung.
Die Zukunft gehört vermutlich der Forschung mit adulten Stammzellen, d.h. mit Stammzellen ausgewachsener Menschen. Diese Forschung soll z.B. in Deutschland vorangetrieben werden. Derzeit befindet sich die Forschung aber in einem Stadium, in dem mehrere Wege gleichzeitig verfolgt werden, die Forschung mit adulten Stammzellen ebenso wie die an embryonalen und an fetalen Stammzellen, d.h. an den Stammzellen abgetriebener Föten.
Ethische Bedenken
Welche der beschrittenen Wege sich als Königsweg oder als Irrweg herausstellen, ist nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen Effizienz, sondern auch der Ethik. Ethische Bedenken melden sich gegen das therapeutische Klonen vor allem deshalb, weil der ontologische, moralische und rechtliche Status von Embryonen umstritten ist. Handelt es sich bei Embryonen bzw. Blastozysten im Reagenzglas um werdende Menschen oder lediglich um einen Haufen vermehrungsfähiger Zellen? Und macht es einen Unterschied, ob ein Embryo im Mutterleib heranwächst oder in einer Petrischale am Leben erhalten wird? So sehr die Entwicklung neuer Therapieverfahren zu befürworten ist, so wenig heiligt der Zweck jedes Mittel.
Die Haltung der Kirchen
Auf breite Ablehnung stößt der britische Vorstoß, das therapeutische Klonen zuzulassen, bei den Kirchen.
Bereits im August 2000 veröffentlichte die Pästliche Akademie in Rom eine Erklärung, welche das Therapeutische Klonen als "schwer unmoralischen und deshalb völlig unerlaubten Akt" verurteilt. Auch der Ratsvorsitzende des Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock, hat die Entscheidung des englischen Parlaments kritisiert und lehnt die Methode des therapeutischen Klonens ab.
Beide Kirchen argumentieren damit, dass das Leben eines Menschen mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Embryonen im Reagenzglas müßten daher in gleicher Weise wie Embryonen im Mutterleib geschützt werden. Nicht Forschungsverhinderung sei das Ziel der Kirchen, wohl aber einer Stärkung des Lebensschutzes. Sie setzen daher auf die Forschung mit adulten Stammzellen.
Wann beginnt menschliches Leben?
Allerdings weisen auch Theologen darauf hin, daß die Frage nach dem Lebensbeginn nicht ohne weiteres zu beantworten ist. Die Totopotenz von Embryonen, d.h. ihre Fähigkeit, sich zu einem vollständigen Menschen zu entwickeln, ist möglicherweise kein hinreichendes Kriterium mehr, um ihren besonderen Status gegenüber anderen Zellen zu begründen. Inzwischen besteht nämlich - zumindest theoretisch - die Möglichkeit, jede Körperzelle eines geborenen Menschen in eine totipotente Zelle zurückzuverwandeln.
Hieraus kann allerdings nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, daß zwischen Embryonen und sonstigen menschlichen Zellen gar kein moralisch relevanter Unterschied besteht. Denn ausdifferenzierte Körperzellen haben die Eigenschaften von Embryonen nicht von sich aus, sondern nur dann, wenn sie durch entsprechende Eingriffe von außen verändert werden.
Fragwürdig ist auch die Behauptung, beim Ausgangsmaterial des therapeutischen Klonens handele es sich streng genommen gar nicht um Embryonen, da sie nicht durch Verschmelzung einer Ei- und einer Samenzelle entstünden. Die Unterscheidung zwischen "therapeutischem" und "reproduktivem" Klonen ist insofern ein semantischer Trick, der die Tatsache verschleiert, dass es sich um die Erzeugung und Klonierung von Embryonen zu Forschungszwecken handelt. Die bloße Absicht, diese vermehrungsfähigen Zellen nicht zu einem Menschen heranreifen lassen zu wollen, macht noch keinen ontologischen Unterschied zu Embryonen aus, die zum Zwecke der Fortpflanzung gezeugt werden.
Rechtliche Bedenken
Das therapeutische Klonen verstößt darum nicht nur gegen die in Österreich und Deutschland geltenden Bestimmungen des Embryonenschutzes (österreichisches Fortpflanzungsmedizingesetz, deutsches Embryonenschutzgesetz). Es unterläuft auch die Bestimmung der europäischen Biomedizin-Konvention. Diese erlaubt in Artikel 18 zwar die Forschung an Embryonen bis zum 14. Lebenstag, sofern nationale Gesetze wie in Großbritannien dies zulassen, nicht aber die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken.
Ein Zusatzprotokoll verbietet jedes Klonen von Menschen, nicht nur zum Zwecke der Reproduktion. Unter diese Verbotsbestimmungen aber fällt das therapeutische Klonen. Man darf gespannt sein, wie Großbritannien, das im Unterschied zu Österreich oder auch Deutschland die Biomedizin-Konvention unterzeichnet hat, sich rechtlich aus der Affäre ziehen wird.
Zur Diskussion in Österreich
Die Argumente Pro und Contra Embryonenforschung prallen auch in Österreich aufeinander. Manche Forscher fordern eine Lockerung der Schutzbestimmungen im Fortpflanzungsmedizingesetz und setzen sich vehement für die Arbeit mit embryonalen Stammzellen einschließlich dem therapeutischen Klonen ein.
Zum jetzigen Zeitpunkt das therapeutische Klonen zuzulassen, wäre allerdings ein übereilter Schritt. Zunächst muß weiter darüber diskutiert werden, ob die Gewinnung von embryonalen Stammzellen ethisch überhaupt vertretbar ist. Dies setzt die Beantwortung der Frage nach dem ontologischen und moralischen Status von Embroynen voraus. Auch wenn sich der Anfang individuellen Lebens möglicherweise nicht strikt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle gleichsetzen lässt, gibt es ethisch gewichtig Gründe für einen umfassenden Embryonenschutz.
Nachdenken kann man allerdings über die Möglichkeit, Stamnmzellen aus überzähligen Embryonen zu gewinnen, die bei der In-Vitro-Fertilisation übrig bleiben. In diesem Fall läßt sich argumentieren, daß zwischen der Vernichtung nicht eingeflanzter Embryonen und gewichtigen Forschungszielen der Medizin eine Güterabwägung möglich ist. Die ausschließliche Erzeugung von Embryonen für therapeutische Zwecke geht darüber jedoch hinaus.
Die Forschung macht rasante Fortschritte, und Zeit ist letztlich auch Geld. Bedenkt man aber, dass die Zukunft neuer Therapien ohnehin wahrscheinlich auf dem Gebiet der adulten Stammzellen liegt, besteht für die Gesellschaft und den Gesetzgeber kein Grund, sich in der Frage des therapeutischen Klonens moralisch unter Druck setzen zu lassen.
 
 
 
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