Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Bioethik 2001 - ein Rückblick  
  Euthanasie, das Klonen von Menschen und die Stammzellenforschung waren die Schlagworte und Reizthemen, welche die bioethische Diskussion dieses Jahres prägten. 2001 war das Jahr der Lebenswissenschaften, der Bioethik und der Kommissionen. Wo steht die Debatte?  
Das Jahr der Lebenswissenschaften
Das Jahr 2001 wurde in unserem Nachbarland Deutschland zum Jahr der Lebenswissenschaften ausgerufen. "Life sciences" - die angewandten Biowissenschaften - sind ein großer Zukunftsmarkt. Sie verbinden Biologie mit Informationstechnologie und Medizin.

Die Gentechnik ist nur ein Bereich heutiger Biotechnologie, keineswegs der einzige. Die Grenzen zwischen den Einzeldisziplinen werden fließend, ebenso diejenigen der Anwendungsgebiete von der Pharmazie über die Biomedizin zur Landwirtschaft, zur Lebensmittelproduktion oder zum Umweltschutz.
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Was ist gute Wissenschaft?
Gegen Ende des Jahres stand auch das 15. Zukunftssymposium des ORF ganz im Zeichen der boomenden Life-Sciences. Unter den Referenten befand sich der diesjährigen Nobelpreisträger Timothy Hunt. Sein Referat war dem Thema gewidmet: "Was ist gute Wissenschaft?" Was eine methodologisch oder technisch gute Wissenschaft ist, wußte Hunt anschaulich und amüsant zu schildern. Einsilbig aber wurde der ansonsten eloquente Nobelpreisträger, als jemand aus dem Publikum die Frage nach dem ethisch Guten und nach den Grenzen des ethisch Zulässigen stellte.
->   Was ist gute Wissenschaft?
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Ethik in den Wissenschaften
Diese kleine Begebenheit regt dazu an, grundsätzlich über die Funktion von Wissenschaftsethik nachzudenken. Es ist bezeichnend, daß nicht wenige Menschen die Aufgabe der Ethik primär in der Markierung von Grenzen sehen.

Ethik ist freilich nicht mit Moral zu verwechseln, sondern eine Theorie der Moral, welche sich auch mit vorschnellen Grenzziehungen kritisch auseinandersetzen muß. Einerseits dient sie der Klärung normativer Kriterien und Regeln, andererseits kann sie den gesellschaftlichen Entscheidungsprozeß nicht normieren, sondern lediglich beratend begleiten.
Kritikern des biomedizinischen und biotechnologischen Fortschritts ist dies häufig zu wenig, den Verfechtern des wissenschaftlichen Fortschritts nicht selten schon zu viel, weil sie sich keiner Normierung unterwerfen möchten, sondern auf die Freiheit von Forschung und Lehre pochen.

Bioethik ist aber mehr als eine bloße "Grenzwissenschaft". Ihre Aufgabe besteht nicht in erster Linie in der Aufstellung moralischer Verbote, sondern in der umfassenden Analyse von Handlungsoptionen, in der Prüfung überkommener Werte und Normen und dem einigermaßen komplexen Abwägen von Gütern und Übeln.
Das Jahr der Bioethik
Das Jahr der Lebenswissenschaften war jedenfalls auch ein Jahr der Bioethik. Vor allem die Entwicklungen auf dem Gebiet der Biomedizin sorgten für öffentliche Debatten, Hoffnungen und Besorgnisse. Die Akzeptanz der Lebenswissenschaften hängt nicht zuletzt davon ab, wie weit sie sich auch ethischen Fragen und der öffentlichen Diskussion stellen.
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Grundsatzreden
Viel beachtet wurden Reden wie diejenige des deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau oder eine Rede des Philosophen Jürgen Habermas an der Universität Marburg.

Buchtip: Jürgen Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt a.M. 2001
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Überschreiten des Rubikons?
Auch diese Reden kreisten um das Problem der Grenzziehung. Habermas mahnte, den Unterschied zwischen Gewordensein und Gemachtwerden des Menschen nicht zu verwischen. Johannes Rau sprach vom Rubikon, den die Biowissenschaften nicht überschreiten dürften.
Hubert Markl, Präsident der Max-Plank-Gesellschaft stellt die Gegenfrage, ob die Menschheit nicht permanenten der Rubikon überschritten habe. Gibt es also überhaupt ein für allemal feststehende moralische Grenzen für den biowissenschaftlichen Fortschritt, sieht man einmal von den grundlegenden Menschenrechten ab?
Verzögerter Start
Während die Debatte in Deutschland seit Jahresbeginn besonders intensiv geführt wurde, kam die bioethische Diskussion in Österreich nur zögerlich und etwas verspätet in Gang. Das hing sicher auch mit dem politischen Entscheidungsdruck zusammen, der in Deutschland aufgrund konkreter biomedizinischer Projekte ungleich größer als derzeit noch in Österreich ist.
Eine professionelle Bioethik, welche in Augenhöhe mit den Lebenswissenschaften über die gesellschaftlichen und ökologischen Folgen des biotechnologischen Fortschritts diskutieren kann, ist leichter eingefordert als auch wirklich etabliert. Eine der Fragen lautet, wie sich die bioethische Debatte im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Ökonomie und Politik institutionalisieren läßt.
Das Jahr der Kommissionen
So wurde das zu Ende gehende Jahr auch zum Jahr der Bioethikkommissionen. Innerhalb wie außerhalb Österreichs kam es zu einer Reihe von Neugründungen. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" eingesetzt. Im Juni trat erstmals der vom deutschen Bundeskanzler berufene Nationale Ethikrat zusammen.
->   Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin"
->   Nationaler Ethikrat (Deutschland)
Einen Monat später konstituierte sich in Österreich die von Bundeskanzler Schüssel eingesetzte Bioethikkommission. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch in der Schweiz eine nationale Bioethikkommission etabliert. Und schließlich rief auch die österreichische Ärztekammer eine eigene Bioethikkommission ins Leben.
->   Österreichische Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt
Sinn von Kommissionen
Derartige Kommissionen sehen sich jedoch mit unterschiedlichen Erwartungen und Befürchtungen konfrontiert. Während sich die Politik von derartigen Kommissionen fachliche Beratung für anstehende biopolitische Entscheidungen erhofft, sehen Kritiker in ihnen ein willfähriges Instrument der Legitimation von fragwürdigen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen. Kritisch wird auch nach der demokratischen Legitimation derartiger Gremien und nach der Ausgewogenheit ihrer Zusammensetzung gefragt.
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"Die zweite Stimme"
So hat sich auch in Österreich eine "Ethikkomission für die Bundesregierung" gebildet, die eine zweite Stimme in der politischen Beratung sein und die Arbeit der Kanzlerkommission kritisch begleiten will. Inzwischen sind beide Kommissionen in Kontakt getreten und suchen das gemeinsame Gespräch.
->   Ethikkommission FÜR die Bundesregierung
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Verbesserungsbedürftige Diskussionskultur
Insgesamt wird man freilich urteilen müssen, daß der bioethische und biopolitische Diskurs in Österreich nach wie vor einigermaßen unkoordiniert verläuft und verbesserungsbedürftig ist. Die Bioethikkomission des Bundeskanzlers kann und will kein Ersatzparlament sein.

Kritik an ihrer Arbeit oder mangelnde Transparenz müßte sich eigentlich an die Politik richten, welche die heiklen Themen der Biopolitik an Experten delegiert, sich selbst aber völlig im Hintergrund hält und auf die Rolle des Moderators zurückziehen möchte.
Was hindert z.B. das Parlament, seinerseits aktiv zu werden und z.B. eine Enquete-Kommission zu Fragen der Biomedizin einzurichten oder zumindest regelmäßige Enqueten zu einzelnen Fragenkreisen der Bioethik zu organisieren?

Zum Thema "Sterbehilfe und Euthanasie", das durch die niederländische Gesetzgebung im Frühjahr ins Zentrum des Interesses rückte, fand eine derartige Enquete im Nationalrat statt. Tatsächliche oder vermeintliche Unzulänglichkeiten der Bioethikkommission des Kanzlers sind letztlich nur ein Spiegelbild der biopolitischen Gesamtsituation in Österreich.
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Bioethische Veranstaltungen
Allerdings bliebt auch in Österreich die bioethische Diskussion keineswegs auf die Arbeit von Kommissionen hinter verschlossenen Türen beschränkt. So fand eine Reihe von größeren bioethischen Veranstaltungen und internationalen Symposien statt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien einige in Erinnerung gerufen.

Die Enquete des Parlaments zur Sterbehilfe im Mai 2001 wurde bereits erwähnt. "Gene technology - the impact and the human dimension" lautete das Thema eines Ende Juni veranstalteten Kongresses der Europäischen und der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften.

Ebenfalls im Juni lud das Institut für Rechtspolitik am Internationalen Forschungszentrum Salzburg zu einer Tagung ein, die sich mit biomedizinischen und medizinrechtlichen Fragen befaßte.

Im Juli organisierte die ÖVP ihren 1. Bioethischen Kongreß.

Zur gleichen Zeit war die 3. Ökumenische Sommerakademie in Kremsmünster dem Gespräch zwischen Theologie und molekularer Medizin gewidmet.

Fragen der Forschungsethik im Zusammenhang der Biomedizin standen im Mittelpunkt der diesjährigen Gesundheitsgespräche beim Europäischen Forum Alpbach im August.

Und schließlich veranstalteten der ORF und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Ärztekammer und dem Zentrum für Medizinrecht vom 11.-12. Oktober das international Symposium "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?"
->   Ulrich Körtner, Embryonenschutz und Biomedizin - eine Zwischenbilanz der bioethischen Debatte
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Schwierige Konsenssuche
Die Debatten nicht nur auf dem zuletzt erwähnten Symposium, sondern auch bei den anderen Veranstaltungen zeigen, daß Bioethik nicht nur mit den Interessensgegensätzen von Ethik, Wissenschaft, Ökonomie und Politik zu ringen hat, sondern auch mit dem Pluralismus von Ethiken in den modernen Gesellschaften.

Daher stößt die Konsenssuche an Grenzen. Was ethisch überzeugt, muß sich letztlich rechtlich umsetzen lassen. Die Politik aber neigt zusehends zu einer Deregulierung biomedizinischer Handlungsfelder.
Internationale Entwicklungen ...
Life Sciences und Biomedizin unterliegen überdies internationalen Entwicklungen. Dementsprechend haben auch internationale biopolitische Entscheidungen Einfluß auf die bioethische Diskussion in Österreich.
Von großer Bedeutung war zweifellos die Entscheidung des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush, wenn auch nur in eingeschränktem Maß und unter hohen Auflagen, so doch die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen mit öffentlichen Geldern zu fördern.

Diese Entscheidung, welche von Gegnern wie von Befürwortern der Stammzellenforschung kritisiert wurde, hat zweifellos eine Signalwirkung für andere Staaten, auch für die Länder der Europäischen Union.
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->   Bush zur Stammzellenforschung: Ja, aber
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Dies zeigte sich zum Jahresende bei der Beschlußfassung über das 6. Rahmenprogramm der EU zur Forschungsförderung für die Jahre 2002 bis 2006. Berichte darüber, daß auch mit österreichischen Geldern Forschungsprogramme mit humanen embryonalen Stammzellen gefördert werden könnten, sorgten zeitweilig für Aufregung. Allerdings hat der Rat der EU den ursprünglichen Vorschlag des EU-Parlaments abgewandelt, so daß jede Form der Embryonenforschung vorläufig aus dem 6. Rahmenprogramm herausgenommen ist.
... und ihre politischen Auswirkungen
Die heimische Politik wird sich freilich damit auseinandersetzen müssen, daß die eigenen Rechtsauffassungen und ethischen Standards anderen Ländern nur bedingt zuzumuten sind. Daß all jene Staaten, die gegenüber der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen eine liberalere Haltung einnehmen, mit Rücksicht auf Länder wie Österreich langfristig auf entsprechende gemeinsame Forschungsprogramme verzichten, ist kaum zu erwarten.
Umgekehrt wird die internationale biomedizinische Entwicklung unweigerlich Einfluß auf die bioethische Diskussion und die biomedizinische Gesetzgebung in Österreich haben, will man z.B. einen Forschungstourismus verhindern.
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Bioethische Grundpositionen
In der Diskussion zu Biomedizin und Embryonenschutz kann man, grob gesagt, drei Grundpositionen unterscheiden, nämlich eine strenge, eine gemäßigte und eine liberale.

Eine strenge, die jegliche Verwendung von Embryonen oder Teilen von Embryonen zu Forschungs- oder zu therapeutischen Zwecken ablehnt und sich für einen strengen Embryonenschutz mit den Mitteln des Strafrechts einsetzt, vertritt vor allem die römisch-katholische Kirche.

Eine liberale Position räumt Embryonen noch keineswegs den Status von Personen ein und hält darum die Beforschung von Embryonen einschließlich des therapeutischen Klonens für zulässig. Diese Position entspricht im wesentlichen der Gesetzgebung in Großbritannien.

Eine gemäßigte Position kann Embryonen durchaus den Status von werdenden Menschen und dementsprechend Menschenwürde zubilligen, unter entsprechenden Voraussetzungen aber eine Güterabwägung zwischen Embryonenschutz und biomedizinischer Forschung für zulässig halten. In Österreich wird eine derartige Position z.B. von den beiden evangelischen Kirchen in ihrer Denkschrift "Verantwortung für das Leben" vertreten, die im Oktober der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
->   Ulrich Körtner, Verantwortung für das Leben
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Biopolitische Trends
Auch wenn die nationalen Regelungen zur biomedizinischen Forschung derzeit uneinheitlich sind, weisen doch gewisse Trends in eine gemeinsame Richtung. Übereinstimmung herrscht in Europa, das reproduktive Klonen und die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken zu verbieten.

Das im Großbritannien erlaubte therapeutische Klonen stößt in den übrigen Ländern der EU mehrheitlich auf Ablehnung. Für die Forschung an embryonalen Stammzellen zeichnet sich dagegen ab, daß sie in Europa mehrheitlich zugelassen werden könnte, schon bald z.B. vielleicht auch in Deutschland. Dort spricht sich inzwischen auch die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer für den Import von embryonalen Stammzellinien aus.
Eines zeigen die Entwicklungen der letzten Monate und Tage jedenfalls ganz klar: Bioethik und Biopolitik sind eine gesamteuropäische Angelegenheit. Auch die nationale Biopolitik läßt sich nur noch im internationalen Kontext diskutieren.
Ethik und Recht in der pluralistischen Gesellschaft
Auch Österreich ist eine pluralistische Gesellschaft. Wie aber sollen wir mit der Divergenz ethischer Ansichten und Lösungen politisch umgehen?

Was für moralisch richtig gehalten wird, muß rechtlich umsetzbar sein. Sofern allerdings ein ethischer Konsens nicht zu erzielen ist, müssen politische und gesetzgeberische Lösungen gefunden werden, welche dem gesellschaftlichen Frieden dadurch dienen, daß sie die ethischen Konflikte begrenzen. Im Klartext heißt dies, daß die Grenzen, welche das Recht ziehen kann, vermutlich weiter gesteckt werden als es einer strengen bioethischen Position entspricht.
Perspektiven für das neue Jahr
Voraussetzung ist aber, daß hierüber nicht nur punktuell, sondern kontinuierlich und unter größtmöglicher Beteiligung der Bevölkerung diskutiert wird. Eine der wesentlichen Aufgaben im kommenden Jahr sehe ich darin, die entsprechenden Öffentlichkeiten herzustellen und zu organisieren.
Ethikkommissionen können den öffentlichen Diskurs nicht ersetzen, sondern ihm bestenfalls Impulse geben und ihn begleiten. Hier sind nicht nur die Medien gefragt, sondern auch die Wissenschaftler, welche sich der öffentlichen Debatte stellen müssen, und nicht zuletzt die Politik, welche Biopolitik nicht nur zu moderieren hat, sondern schließlich auch aktiv gestalten muß.
->   Sämtliche Artikel von Ulrich Körtner in science.orf.at
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 

 
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