Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 
Wahlkampf 2002: Biopolitik war kein Thema  
  Die Wahlen zum österreichischen Nationalrat sind vorbei. Der Wahlkampf zuvor war reich an Slogans und hohlen Phrasen, aber inhaltsleer. Wichtige Sachthemen blieben auf der Strecke. Ein Beispiel: Österreichs Biopolitik.  
Herausforderung Biopolitik
Der rasante biotechnologische und biomedizinische Fortschritt gehört zu den zentralen Herausforderungen der Gegenwart, weil er die tiefgreifende Folgen für die Gesellschaft wie für das Leben der Individuen hat. Hierauf muss die Politik reagieren.
Als Biopolitik lässt sich "jenes Feld politischen Handelns" bezeichnen, "das seine Dynamik aus den neuen Erkenntnissen der Lebenswissenschaften entwickeln und folglich alles umschließen soll, was produktiv mit dem Leben umzugehen versucht" (Volker Gerhardt).
Biopolitischer Nachholbedarf
Betrachtet man die Brisanz der biomedizinischen Entwicklung, erstaunt der geringe Stellenwert, den biopolitische Fragen in Österreich haben. Nur mit einiger Verzögerung erreichte die internationale Debatte um Chancen und Gefahren der modernen Biomedizin schließlich auch Österreich, wo sie aber längst nicht mit der gleichen Intensität wie in anderen Ländern geführt wird. Auch was die biopolitische Gesetzgebung betrifft, hinkt Österreich hinter anderen europäischen Staaten hinterher. Nicht nur im Bereich der Biotechnologie, sondern auch auf dem Gebiet der Bioethik und der Biopolitik gibt es einigen Nachholbedarf.
Schon vor dem vorzeitigen Ende der ÖVP-FPÖ-Regierung hatte jedoch das Interesse an biopolitischen Sachthemen deutlich nachgelassen, sieht man einmal vom Streit um das Kapitel Embryonenforschung im 6. Rahmenprogramm der EU zur Forschungsförderung 2002-2006 ab. Erstaunlich, dass die von der Regierung in dieser Frage eingeschlagene Linie auf keinerlei Widerspruch bei der Opposition stieß. Auch sonst überließen die Oppositionsparteien das biopolitische Themenfeld weitgehend dem Bundeskanzler und seiner Partei, die es geschickt zu besetzen wussten.
Die biopolitische Bilanz der Regierung Schüssel
Gemessen am Handlungsbedarf fällt die biopolitische Bilanz der vergangenen Legislaturperiode zwiespältig aus.

Auf der Habenseite steht z.B. das Genomforschungsprogramm GEN-AU. Dadurch werden innovative Projekte z.B. auf dem Gebiet der Krebsforschung gefördert.

Ferner setzte Bundeskanzler Schüssel mit sicherem Gespür für neue politische Entwicklungen im Sommer 2001 die österreichische Bioethikkommission ein. Ihre Tätigkeit war anfangs von großem Medieninteresse begleitet, welches unter anderem durch die Gründung einer alternativen "Ethikkommission FÜR die Bundesregierung" verstärkt wurde.
->   Bioethikkommisision beim Bundeskanzleramt
->   Ethikkommission FÜR die Bundesregierung
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Stellungnahmen der Bioethikkommission
Im ersten Jahr ihrer Tätigkeit hat die Bioethikkommision zu drei Themen eine Stellungnahme oder Empfehlung abgegeben.

- Eine Stellungnahme vom Februar 2002 empfahl sie einstimmig den Beitritt Österreichs zur Biomedizinkonvention des Europarates.

- Im März 2002 befürwortete die Kommission einstimmig die Umsetzung der Biotechnologie-Richtlinie der EU, welche Möglichkeiten und Grenzen der Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen regelt.

- Die dritte Stellungnahme befasste sich mit der Forschung an embryonalen Stammzellen im Rahmen des 6. Rahmenprogramms der EU zur Forschungsförderung (2002-2006). Während eine Mehrheit der Mitglieder die Forschungsförderung für Arbeiten mit embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen befürwortete, sprach sich eine Minderheit grundsätzlich gegen jede Förderung aus.
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Die Entdeckung der Langsamkeit
Politisch ist seither jedoch in Österreich nicht viel geschehen. Die Stellungnahme zur Biomedizinkonvention wurde zwar von der Regierung begrüßt. Es folgten aber keine Taten. Lediglich der Petitionsausschuss des Nationalrat befasste sich seit her einmal mit der Materie - und vertagte seine Entscheidung.
Die europaweit umstrittene Biotechnologie-Richtlinie der EU lag dem Ministerrat zur Beschlussfassung vor. Die Regierung konnte aber ihre internen Meinungsverschiedenheiten zum Thema nicht beilegen.
In der Frage der Forschung an embryonalen Stammzellen legte sich die zuständige Wissenschaftsministerin gegen die Empfehlung der Kommissionsmehrheit auf ein striktes Nein fest. Die Gefahr einer biopolitischen Isolation Österreichs konnte zwar durch ein einjähriges Moratorium abgewendet werden, auf welches sich die Mitgliedsstaaten der EU verständigten. Österreichs Regierung hat also auf Zeit gespielt. Die politische Entscheidung über die embryonale Stammzellforschung in Österreich bzw. über Österreichs europapolitischen Kurs in dieser Frage ist damit aber nur vertagt.
->   Ulrich Körtner: Moratorium in der Stammzellforschung
Politik des Lebens - Politik des Sterbens
Positiver fällt die biopolitische Bilanz der Regierung in Fragen der Sterbebegleitung aus. Einig sind sich alle im Parlament vertretenen Parteien in der Ablehnung einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, wie sie inzwischen in den Niederlanden und in Belgien erfolgt ist. Österreich hat sich stattdessen für die Kodifizierung der Menschenrechte von Sterbenden und Todkranken durch den Europarat eingesetzt und gleichzeitig die Sterbekarenz eingeführt, welche es Berufstätigen ermöglichen soll, sterbende Angehörige zu pflegen.
In Aussicht gestellt wurde der weitere Ausbau der Palliativmedizin. Doch ist es bislang weitgehend bei Ankündigungen geblieben. Nach wie vor gibt es z.B. in Österreich keinen Lehrstuhl für Palliativmedizin, ganz zu schweigen von einer flächendeckenden palliativmedizinischen Grundversorgung.
Kein Thema im Wahlkampf ...
In mancher Hinsicht hat es zweifellos sein Gutes, dass heiße Eisen wie die Präimplantationsdiagnostik, die Forschung an Embryonen und embryonalen Stammzellen, therapeutisches und reproduktives Klonen aus dem Wahlkampf herausgehalten wurden. Die Emotionalisierung von Sachthemen, welches zu den Mitteln des Wahlkampfes gehört, ist einer sachlichen Diskussion abträglich.
... aber für die Zeit danach
Grundsätzlich aber muss der biopolitische Stillstand in Österreich überwunden werden. Man kann nur hoffen, dass sich Österreichs Parteien nach der Wahl endlich den biopolitischen Fragen zuwenden, die längst auf der internationalen Tagesordnung stehen, hierzulande aber lieber vertagt werden.
Dazu gehört die Ratifizierung der Menschenrechtskonvention des Europarates zur Biomedizin ebenso wie eine Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes und ein Embryonenschutzgesetz, das auch Fragen der Embryonenforschung regelt. Brisant ist ferner die Entwicklung auf dem Gebiet der Gendiagnostik und der prädiktiven (vorhersagenden) Medizin, die nicht nur neue Wege der Medikamentenerzeugung möglich machen (Stichwort "Pharmacogenomics") sondern auch den Datenschutz vor neue Herausforderungen stellen (Stichwort "Gläserner Mensch") und das individuelle Gesundheitsverhalten tiefgreifend beeinflussen werden. Dies alles wird bei einer Novelle des österreichischen Gentechnikgesetzes zu berücksichtigen sein.
Die Aufgabe der Bioethikkommission
Als "Frühwarnsystem für neue wissenschaftliche Entwicklungen" hatte Bundeskanzler Schüssel die Bioethikkommission im Frühjahr 2002 angekündigt. Derzeit ist es um die Kommission allerdings ein wenig still geworden. Das sagt freilich mehr über den Zustand von Österreichs Biopolitik als über die Kommission aus. Ihre Aufgabe ist die Politikberatung, nicht die Politikgestaltung. Die Initiative zu einer aktiven Biopolitik muss schon von den Parteien, dem Parlament und der Regierung selbst kommt.
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 

 
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