Werner Lenz
Leiter der Abteilung Weiterbildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Graz
 
ORF ON Science :  Werner Lenz :  Wissen und Bildung 
 
Bond als Pädagoge  
  Nein, nicht James - Edward Bond. Seine Komödie, "Die See", steht am Spielplan des Akademietheaters. Das Stück thematisiert aktuelle gesellschaftspolitische Probleme: Furcht vor Fremden, Autorität, Anpassung, Gehorsam, Macht, Gewalt - aber auch die Chance, einen neuen Anfang zu wagen. "Die See" belehrt nicht, sie regt zum Nachdenken an.  
Kraft durch Widerstand
"Genau betrachtet ist das Leben unerträglich", sagt Willy Carson. Das Boot, das er mit seinem Freund steuerte, ist in der Brandung gekentert, der Freund ertrunken. Die Küstenwache half nicht. Carson sieht das Unerträgliche als Herausforderung an: "Darin müssen wir unsere Kraft finden."
Alltag auf der Bühne
Auf der Bühne bewegen sich Alltagscharaktere: Louise Rafi, die reiche, autoritäre, dominante egozentrische Dame, die ihre Umgebung in Abhängigkeit hält; Hatch, der Tuchhändler, der sich und seine Anhänger von Außerirdischen und deren Abgesandten in Menschengestalt bedroht fühlt; Hollarcut, der zu seiner Selbstbehauptung gewalttätig reagiert, ein Anhänger von Hatch; Evans, der sich aufgegeben hat und an den Rand der Gesellschaft stellt; Willy Carson, den die See an Land gespült hat, wo er erst realistisch die Lage zu beurteilen lernt; Rose Jones, deren Verlobter der Ertrunkene war und die sich über ihren weiteren Lebensweg entscheiden muß.
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Der Autor
Edward Bond wurde 1934 in London geboren. Seit Mitte der sechziger Jahre produziert der anerkannte Dramatiker fast jedes Jahr ein neues Stück. "Die See" entstand 1972/73. Nach den Worten des Autors ist "Die See" ein Stück, "... das die Stärke des Menschen betont und seine Fähigkeit, mit den Schwierigkeiten der Welt umzugehen. Die See handelt von der Stärke des Menschen."
(Programmheft zu "Die See", Burgtheater im Akademietheater, Spielzeit 1999/2000)
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Neu beginnen
Die See ist für Edward Bond eine Metapher für Erneuerung. Sie verschlingt Leben, sie zeigt uns unsere Grenzen, sie macht uns unsere Endlichkeit bewußt. Sie fordert aber auch heraus, einen neuen Anfang zu wagen.

Die Botschaft des Autors: Wir stehen stets vor Entscheidungen. Es kommt auf uns an, welchen Weg wir einschlagen: Wahn, Unterwerfung, Gewalt, Abhängigkeit oder Vernunft, ruhige Überlegung, Zuneigung.
Realismus notwendig
Die See kann alles auslöschen - wir wissen, alles hat ein Ende. Diese Einsicht braucht uns nicht zu vernichten. Sie macht bescheiden. Sie schärft unser Bewußtsein für die Relativität allen Handelns. Wir lernen dabei, unsere Absicht realistisch einzuschätzen. Darin liegt die Voraussetzung, eigene Interessen und Wünsche zu beschränken sowie diejenigen anderer Menschen zu achten und zu akzeptieren.
Soziales Lernen
Jede menschliche Existenz hat ein Ende. Dem können wir Positives abgewinnen. Was zählt, liegt nicht in einer fernen, unklaren Zukunft - was zählt sind unsere gegenwärtigen Handlungen. Das verweist auf unsere Verantwortung für uns selbst und das soziale Miteinander. Dieses gestalten wir mit.
Neue Chancen
"Die See" von Edward Bond verdeutlicht: Natürlich sind wir klein in Hinblick auf die Mächte dieser Welt. Aber unser Handeln ist deshalb nicht ohne Bedeutung. Wir haben die Fähigkeit zu beurteilen und zu entscheiden - diese sollten wir nutzen. Wir haben die Chance, stets neu anzufangen. Daraus können wir Kraft und Stärke gewinnen.
Entscheiden und verantworten
Ohne pädagogische Aufdringlichkeit vermittelt Edward Bond sein Menschenbild. Er trifft damit die Situation in der modernen "Risikogesellschaft": Wir haben mehr Freiheit und suchen nach Orientierung. Wir treffen mehr Entscheidungen, wodurch unsere Verantwortung wächst. Daraus entsteht ein lebensbegleitendes Bildungsprogramm: Wir können lernen, unsere Welt aktiv mitzugestalten.
 
 
 
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