Werner Lenz
Leiter der Abteilung Weiterbildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Graz
 
ORF ON Science :  Werner Lenz :  Wissen und Bildung 
 
Weiterbildung in Not
Innovationen und ihr baldiges Ende?
 
  Ständige Weiterbildung und lebenslanges Lernen lauten die bildungspolitischen Forderungen der letzten Jahre. Eine neue Bildungskonzeption setzt sich durch. Attraktive Berufsperspektiven für Erwachsenenbildner eröffnen sich. Internationale Bildungsentwicklungen, interkulturelles Lernen sowie berufsorientierte Weiterbildung sind Schwerpunkte eines neuen Studienkonzepts an der Abteilung Weiterbildung der Universität Graz. In Zeiten wie diesen sind Innovationen gefährdet. Verschlingt alles die "permanente Universitätsreform"?  
Studienangebot neu!
Ein Doktorandenkolleg wurde an der Abteilung Weiterbildung der Universität Graz im Frühjahr neu eingerichtet. Dissertationen zur Thematik "Weiterbildung - Lebensbegleitende Bildung - Lifelong Learning" auf dem Hintergrund des Wandels in Arbeits- und Lebenswelt werden betreut.

Das Studienangebot nehmen die Studierenden zahlreich an. Das gilt auch für das neu konzipierte Diplomstudium. Im zweiten Studienabschnitt kann Erwachsenenbildung in vier Semestern studiert und mit einer Diplomarbeit zum Abschluss gebracht werden. Gründe für die hohe Akzeptanz sind attraktive und aktuelle wissenschaftliche Themen, individuelle Betreuung, Rücksicht auf die Situation berufstätiger Studierender, teilnehmerorientierte Lehre und Praxisbezug.
Gute Berufschancen
"Studierende schaffen sich ihren eigenen Arbeitsplatz!" Dies ist ein Grundsatz der Ausbildung. Tatsächlich wird aber von den Lehrenden tatkräftig mitgeholfen Zugang zu Praktika zu eröffnen und Kontakte mit der Berufswelt herzustellen.

Dabei kommt den bisherigen Absolventen eine wichtige Vermittlerrolle zu. Nützlich ist die in über 15 Jahren aufgebaute positive nationale und internationale Reputation.
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Internationalität
Im Forschungsschwerpunkt der Abteilung, "Individualisierung und Modernisierung des Bildungswesens", wirken internationale Wissenschafter und Studierende zusammen. Studienaufenthalte im Ausland werden angeregt, wahrgenommen und unterstützt - Auslandsstudien an über 20 europäischen Universitäten im Rahmen eines EU-Programms organisiert.

Ziel ist: Die Kompetenz der Doktoranden und Diplomanden zu nutzen und sie als "lernende Forscher" anzuerkennen. Diese Kombination von Diplomstudium, Doktorandenkolleg und Forschung im Themenbereich "Weiterbildung - Lebenslanges Lernen" ist, soweit mir bekannt , im internationalen Raum ein Unikat. Ein kleines Schmuckstück für die Universität? Eine Chance für die Profilbildung? Scheinbar trifft das nicht zu!
->   Abteilung Weiterbildung
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Reform ins Abseits?
Nach zehnmonatiger Gastprofessur in Japan, Universität Hiroshima, im Frühjahr nach Graz zurückgekehrt, blicke ich als Leiter der Abteilung besorgt in die Zukunft. Sind Bestand und Entwicklung der langjährigen wissenschaftlichen Arbeit in Frage gestellt?

Die Universität befindet sich im Umbruch, sie versucht, sich selbst zu reformieren. Zu konstatieren ist: mehr Abwehr als Aufbruch, Frust satt Motivation, umständliche Selbstorganisation, geringe offene Kommunikation, Angst vor Änderungen - Machtspiele dominieren Wissenschaft.

In der Hausarena fehlen Blick und Anstoß von außen für mutige Innovationen. Konflikte, meist verursacht durch erhöhten Arbeitsdruck, werden mitgeschleppt statt bearbeitet, Selbstausbeutung oder innere Emigration finden keine Korrektur. Erhöhte Selbstregulation und regelmäßige Beurteilung durch Kollegen anderer Universitäten wären hilfreich, sonst versickern die vorhandenen positiven Ansätze.
Sorge um wissenschaftlichen Nachwuchs
Belastend wirkt für meine Mitarbeiterinnen und mich die fehlende Planungssicherheit für die Abteilung. Derzeit fraglich ist die Weiterbestellung einer halbbeschäftigten Assistentin. Ihr Lehr- und Forschungsthema lautet: Interkulturelle Bildung! Sehr aktuell, wie die traurige Realität zeigt.

Dieses Thema mit einer Stelle abzusichern rührt an das Selbstverständnis der Universität: sich für gesellschaftliche Entwicklungen mitverantwortlich fühlen, Problemlagen analysieren und Lösungen suchen!

Doch Hinweise auf knappes Budget, nicht abgeschlossene Planungen und abzuwartende Reformen lassen rasch alle Erwartungen sinken. Die Folge: Mangelt es an Personal, wackelt die Innovation!
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Permanente Reform - permanente Verunsicherung
Der nächste Reformeingriff oder Reformangriff ist angesagt: Vollrechtsfähigkeit für Universitäten. Dies verbindet sich mit neuen Leitungsstrukturen, einer Rücknahme der Mitbestimmung für Assistenten und Studenten, Schwerpunktbildung, Wettbewerb ... Die Vorhaben des Ministeriums sind unter dem zynischen Titel "Weltklasse" im Internet abzurufen. Zynisch, weil seit Jahren einer personell unterbesetzten Institution die notwendigen Ressourcen nicht zugestanden werden.
->   Weltklasse Uni
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In voller Fahrt
Bei vollem Galopp die Pferde zu wechseln - oder zeitgemäßer: bei schneller Fahrt das Steuer zu übergeben wird verlangt. Überbeschäftigt durch Forschung, Lehre, Betreuung von Studierenden sollen sich Universitätsangehörige selbst reorganisieren: Um eine solche Universitätsreform durchzuführen, brauchen die Universitäten Unterstützung durch professionelle Personal- und Organisationsberater.

Das trifft nicht nur auf verständnisvolle Gegenliebe. Viele Universitätslehrer wollen alles selbst tun, nicht delegieren und vor allem nicht bisherigen Besitzstand und Einflussbereich aufgeben. Sie wollen Bestehendes festhalten und sich mit Wandel nicht anfreunden.

Zynismus auch hier? Wissen die Verantwortlichen im Ministerium denn nicht, dass nur Münchhausen sich selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen konnte - sonst aber niemand?
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Widersprüchliche Interessen
Die Schwierigkeiten bei der seit etwa zehn Jahren permanenten Universitätsreform sind teilweise hausgemacht. Nach meinem Eindruck leisten Österreichs Lehrer, wenn sie vom Arbeitgeber herumgeschubst werden, zur Zeit mehr Widerstand als Hochschullehrer. Wissenschafter, für die ein wichtiges Produktionsverhalten Individualität, Originalität oder Teamwork auf Zeit ist, scheuen langfristige Solidarität.

Ihre Interessen divergieren zu sehr. Außerdem bilden Studierende, Assistenten und Professoren keine homogenen Gruppen. Innerhalb ihrer Kurien und Institute verfolgen sie widersprüchliche Ziele.
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Schwierige Verständigung
Vor allem fehlt es an offener Kommunikation. Wissenschafter betreiben spezifische Kommunikation. Sie müssen an ihre Forschung, ihre Projekte, ihre Vorlesung oder an ihr Seminar denken. Dem geben sie sich hin, das füllt sie völlig aus. Wissenschaftliche Köpfe wirken und verhalten sich in Gremien oft seltsam desperat. Sie geben den Wortführern nach, die die Verfahrenstricks beherrschen.
Wer länger sitzen bleibt
Wissenschafter scheitern mit ihrer direkten Art, wo taktische Zurückhaltung notwendig ist, mit ihrer Wahrheitsliebe, wo verschlungene Argumentation und "ja, aber" sowie "das war nicht so gemeint" regieren. In ermüdend langen Sitzungen setzt sich oft nur durch, wer lange sitzen bleibt! Deshalb versuche ich zu unterscheiden, wenn "die Universität" etwas von sich gibt: Hat nun ein gewiefter Funktionär oder ein bemühter Wissenschafter gesprochen?

Weltklasse oder Regionalliga? Oder doch nur "sitzen bleiben" in der Sitzklasse?
Lesen Sie mehr zum Thema Erwachsenenbildung in science.orf.at:
->   Informelles Lernen
 
 
 
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