Werner Lenz
Leiter der Abteilung Weiterbildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Graz
 
ORF ON Science :  Werner Lenz :  Wissen und Bildung 
 
Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft  
  Wissensgesellschaft ist ein gern gebrauchtes Etikett geworden. Wissen gilt als wichtige Produktivkraft im globalen Wettbewerb. Es erhöht die Chancen von Individuen auf dem Arbeitsmarkt und garantiert den Erfolg von Betrieben. Ein internationales Seminar fragt nach den Konsequenzen für das Bildungswesen.  
Wissensgesellschaft - keine Bildungsgesellschaft
Wissensgesellschaft scheint die neue Chiffre zu sein, die sich im deutschsprachigen Raum durchsetzt. Gegenüber Informations-, Lern-, Wissenschafts- oder Bildungsgesellschaft - interessanterweise hat noch nie "Erziehungsgesellschaft" Resonanz gefunden - vereinigt "Wissensgesellschaft" offensichtlich am besten die Motive des gegenwärtigen Main-stream-Denkens.

Wissen als ökonomische Ressource, als betriebliches und individuelles Kapital, wird als entscheidende Grundlage im globalen ökonomischen Wettbewerb gesehen. Zur sich modernisierenden Industriegesellschaft, die auf Flexibilität setzt, passt die Vagheit und Unschärfe des Begriffs. Was genau unter Wissensgesellschaft zu verstehen ist, bleibt undefinierte "black box". Doch auch vom Auto will man gar nicht wissen, warum es fährt, sondern freut sich, dass es fährt.
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Internationale Seminare
In Esslingen bei Stuttgart findet vom 8. bis 12.10.2001 das erste von drei Regionalseminaren im Rahmen der OECD/CERI (Centre for Educational Research and Innovation) statt. Etwa 80 Expertinnen und Experten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nehmen teil. Auf der Basis neuer Studien werden Schulentwicklung, allgemeine und berufliche Bildung sowie Veränderungen des Bildungswesens diskutiert. Entsprechende Länderberichte liegen vor. "Lernen in der Wissensgesellschaft" lautet der thematische Rahmen.
->   Länderberichte
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Lebenslanges Lernen
Eine Notwendigkeit, die die Wissensgesellschaft mit sich bringt, ist das lebenslange Lernen. Der damit verbundene Lernzwang läßt Kritiker vom "lebenslänglichen" Lernen sprechen. Wer einen Kontrast setzen will, spricht deshalb vom lebensbegleitenden Lernen oder von lebensbegleitender Bildung.

Auf jeden Fall wird eine neue Bildungskonzeption anvisiert. "Lifelong Learning" umfasst frühkindliches Lernen, Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung und Lernen im Alter. Das aktuelle Interesse an Ergebnissen der Gehirnforschung speist sich aus der Suche nach Einsichten in die Lernbedingungen von der Kindheit bis zum Alter.
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Achtung Ungleichheit!
Empirisch sehr gut abgesichert ist folgende Erkenntnis: Bereitschaft zum und aktives Weiterlernen erfolgen vor allem dann, wenn eine solide Basisbildung vorhanden ist. Wer hat, will und braucht noch mehr! Dies ergibt einen negativen sozialen Aspekt: Der bestehende Trend zur sozialen Spaltung der Gesellschaft wird durch Bildungsangebote nicht gemindert sondern sogar verstärkt. Nicht zuletzt deshalb sind Erziehung und Schule gefordert, ihren Beitrag zu Lernfreude und Lernfähigkeit der ihnen anvertrauten Kinder zu überprüfen.
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Zukunft der Schule
In Hinblick auf die künftige Entwicklung des schulischen Bildungswesens betreut die OECD/CERI seit einigen Jahren ein eigenes Forschungsprogramm "Schooling for Tomorrow". Ein Ergebnis besteht in Szenarios. Sie ordnen sich unter drei Gesichtspunkten: Beibehalten des status quo; Stärkung der Schule; Schwächung der Schule.
Auch für Österreich interessant
Für die bildungspolitische Diskussion in Österreich sind diese Szenarios ein wichtiger Beitrag. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie nicht bloß Organisationsreform nahelegen, sondern die geopolitische Situation, Ziele, Funktionen, Erwartungen, politische Unterstützung sowie die Lehrerschaft in die Überlegungen miteinbeziehen.

Ähnliche Szenarios für den Universitätsbereich halte ich für wünschenswert, denn dort überwiegt der Eifer des bloßen organisatorischen Umbaus!
Global denken, bitte!
Mit "Wissensgesellschaften" sind bislang ökonomisch potente Länder gemeint. Soziale Unterschiede und Spaltungstendenzen in arme und reiche Länder bleiben unreflektiert. Über ökonomisches Kalkül und wirtschaftlichen Profit hinaus sollten wir aber auf den "Rest" der Welt nicht vergessen!

Management von Wissen z.B. wird nur betriebswirtschaftlich gesehen. Wem - zumindest aus egoistischen Gründen - die friedliche und humane Entwicklung der Welt ein Anliegen ist, der oder die wird zur Zeit vielleicht nachdenklich: Sparen und investieren wir am richtigen Platz?
 
 
 
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