Werner Lenz
Leiter der Abteilung Weiterbildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Graz
 
ORF ON Science :  Werner Lenz :  Wissen und Bildung 
 
Bildung bewegt - Lernen ist nicht genug  
  Alles formt die Menschen. Bilden aber, können sie sich nur selbst. Reformen, die derzeit Schule und Universität betreffen, wollen die Strukturen, unter denen Lernen stattfindet neu organisieren. Ob die Lernenden sich bilden, bleibt diesen selbst überlassen.  
Bildung
Was ich unter Bildung verstehe? Ich wage eine kurze Antwort: Bildung bietet Orientierung im Denken und Handeln. Dafür muß man sich durch Lernen Wissen aneignen. Dieses hilft Angelegenheiten zu bewerten, zu beurteilen und zu entscheiden.

Der Mensch ist nicht - er wird! Bildungsprozesse unterstützen dieses Werden. Sie bewegen und manchmal erschüttern sie auch. Sich bilden heißt, sich selbst in Beziehung setzen, zu dem was in uns und um uns geschieht. Verständlich, dass das nicht immer beruhigend ist. Es bedeutet diese Beziehungen zu befragen, Standpunkte zu klären, Entscheidungen zu treffen. Wer sich bildet, bewegt sich und sucht, urteilt und entscheidet.
"Flexible Lerner"
Lernen umschreibt die Vorgänge, bei denen wir uns Wissen, Können und Verhalten aneignen. Lernen, Lernen, Weiterlernen lautet die Botschaft der letzten Jahre. Dies geht einher mit der Aufforderung, sich Qualifikationen und Kompetenzen anzueignen. Und nicht zu vergessen: Flexibilität.

Mehr Menschen als je zuvor erwerben sich Wissen in angeleiteten systematischen Lernprozessen. In Österreich besuchen etwa 30% - 40%, In Deutschland um 50%, in den USA und Skandinavien zwischen 60% und 70% der Erwachsenen Veranstaltungen der Weiterbildung. Konfrontiert mit dem raschen Wandel der Arbeitswelt brauchen sie aktuelles, verwertbares Wissen und kreatives Verhalten um neue, komplexe berufliche Aufgaben zu bewältigen.
Erstausbildung reicht nicht aus!
In der Erstausbildung erworbene Kenntnisse reichen nicht mehr für ein ganzes Arbeitsleben. Schule, Berufsschule, Universität oder Fachhochschule bieten wichtige Grundlagen.

Der Druck, sich selbständig im Berufsleben weiteres Wissen sowie brauchbare Fähigkeiten anzueignen, nimmt zu. Ergänzendes Weiterlernen wird selbstverständlich. Selbstverständlich wie der Wechsel des Arbeitsplatzes und der beruflichen Funktion. Auch hier gilt: niemand bleibt, was er ist.
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Neue Europäer
Aus programmatischen Reden und Schriften habe ich oft genannte und gewünschte Eigenschaften der "neuen" Europäer zusammengestellt:
Fundierte Grundbildung, kurzes Studium mit erster Berufs- und Auslandserfahrung, zumindest drei Sprachen, sowie jung, gesund, dynamisch, mobil und flexibel und selbstverständlich bereit, ständig weiterzulernen.
Gefordert werden darüber hinaus soziale Kompetenzen: Teamfähigkeit, kommunikatives Verhalten, aufgeschlossen für Neues, Erfassen neuer Situationen, Anpassen und Reagieren auf neue Erwartungen. Es handelt sich um eine Huldigung an das Neue und Unbekannte.
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Brauchbare Konsumenten
Ein eindimensionales Menschenbild, das für Europa propagiert wird! Pointiert ausgedrückt: Gewünscht wird ein wendiger, fröhlicher Konsument (es wird fast durchwegs nur die männliche Form gebraucht), der auf seine Karriere bedacht, brav angepaßt ist und seinen Vorteil stets nutzt. Das Schicksal anderer braucht ihn nicht besonders zu berühren.

Kaum gefordert werden Eigenschaften wie Urteilskraft, mündliche Reflexion, solidarisches Handeln, aufklärendes Engagement.
Nützlich statt sozial?
Nützlich sein zu wollen ist im Bildungswesen nichts Neues und nichts Verwerfliches. Bedenklich nur, wenn die Dialektik von Nutzen und Reflexion, von Lernen und Bildung einseitig aufgelöst wird.

Unsere Universitäten werden gerade - ob sie wollen oder nicht - modernisiert: Zur Zeit führen sie Studiengebühren ein, sie setzen auf Wettbewerb, pflegen internationale Kontakte, wollen sich die Studierenden selbst auswählen . Bildung durch Wissenschaft klingt verstaubt. Karriere durch Studium heißt der moderne Slogan.
Was tut uns gut?
Jedes Wissen schadet dem, der kein Wissen vom Guten hat, heißt es bei Michel de Montaigne (1533 - 1592). Über das für uns Gute und über das Gemeinwohl Klarheit zu schaffen, gehört mit zu den Aufgaben von Erziehung, Schule und Universität.

Lassen wir Lernen nicht genug sein! Gestehen wir Lernenden zu, ihre Urteilskraft zu entwickeln und zu erproben. Nehmen wir uns Zeit zum Gespräch mit den Lernenden! Gestatten wir uns in Schule und Hochschule Geduld zum Nachdenken darüber, was uns und der Gemeinschaft gut tut. Dann gibt Lernen Anlaß, sich zu bilden - nicht nur in Schule und Universität, sondern lebensbegleitend.
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Portal für Weiterbildung
Die Abteilung Weiterbildung des Instituts für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz präsentiert die Internet-Plattform "Portal für Weiterbildung".
Zeit: 7. November 2001, Beginn 16.00 Uhr
Ort: Universitätszentrum Wall, 8010 Graz
Merangasse 70
->   Portal für Weiterbildung
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ORF ON Science :  Werner Lenz :  Wissen und Bildung 
 

 
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