Werner Lenz
Leiter der Abteilung Weiterbildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Graz
 
ORF ON Science :  Werner Lenz :  Wissen und Bildung 
 
2002 - Freie Fahrt für Bildung
Ausblick ins Neue Jahr
 
  Das Bildungssystem, speziell die Uni-Reform, bleibt in Bewegung. Universitäten sollen heuer vollrechtsfähig werden, ihre Studienpläne erneuern, sich selbst managen, ein Profil entwickeln und - so wie die Schulen - Qualität betonen. Allerdings sollten Bildungspolitiker berücksichtigen: Statt um "Kunden" handelt es sich um Lernende, statt um "Schüler-und Studentenströme" um interessierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene.  
Kostenwahrheit
Das vergangene Jahr brachte Studiengebühren. Nicht unberechtigt wurde in überfüllten Hörsälen gefragt: "Dafür muss ich auch noch zahlen?" Eine Gebühr garantiert noch keine Qualitätssteigerung. Auch durch die Vignette wurden die Autobahnen nicht merkbar besser und sicherer. Gebühren sind keine Garantie für optimierte Bildungs- und Transportwege - bezahlt wird allein für die Nutzung des Bestehenden!
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Keine Pauschalgebühren
Eine einheitliche Studiengebühr ist ungerecht. Sie berücksichtigt nicht die Frequenz und Intensität des Studiums. Benachteiligt werden Teilzeit-Studierende, z.B. Berufstätige oder Alleinerziehende, Diplomanden und Dissertanten. Sie besuchen meist nur wenige Lehrveranstaltungen, "belasten" daher die Uni in geringerem Maße. Die Gebühr sollte sich, wie im internationalen Bereich (Japan, USA) üblich, nach der Zahl der belegten Veranstaltungen richten - das zwingt auch die Universität zur Sichtung ihres Angebots.
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Benchmarking
Immer mehr Menschen verlangen nach immer mehr Bildungsangeboten. Die politisch Verantwortlichen verteilen die Kosten: Steuern, Gebühren, Teilnahmebeiträge...Durch die Zuwendung öffentlicher Geldmittel und den sich daraus ergebenden privaten Kosten, werden die "Ströme" der Bildungswilligen gesteuert. Eine "Bildungsverkehrspolitik" entsteht - die vergleichende Frage liegt nahe: Stimmt es nicht nachdenklich, dass der universitäre Bildungsweg - (die Studiengebühr beträgt ATS 10.000 pro Jahr, etwa Euro 730) - zehn Mal teurer kommt als das ganzjährige Benutzen der Autobahn (die Vignette kostet ATS 1.000, etwa 73 Euro)?
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Mehr Schulqualität
Der internationale Vergleich aufgrund der PISA-Studie stellt den Leistungen unserer Schüler, Lehrer und Schulen gute Noten aus. Sollen wir das als Ergebnis der Bildungspolitik vorangegangener Jahre sehen und als Beweis für eine gut arbeitende Lehrerschaft, die öffentlich Schelte, ohne sich viel wehren zu können, nicht nur im letzten Jahr erdulden musste? Ist es ein Beleg, dass die Universitäten ihre Lehrer doch nicht so schlecht ausbilden, wie oft leichtfertig behauptet wird?
->   PISA-Studie
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Tüchtige Lehrer
Man sollte nicht vergessen: Die Aufgaben von Lehrenden sind schwieriger und komplexer geworden. Lehrer müssen nicht nur Wissensvermittler sein - nein, Wissensmanager, Berater, Betreuer, Lernorganisatoren sollen sie darstellen. Doch Vorsicht, das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Realität verlangt noch immer: für Kinder, Jugendliche, Studierende da zu sein. Ihre Sorgen zu spüren, anzuhören und gemeinsam Antworten zu finden. Ihre Erfolge zu loben und als Lehrende immer bereit und gefordert sein zu erziehen, da letzteres andere Instanzen abschieben.
Lernjahr 2001
Was haben unsere Kinder 2001 von der Gesellschaft gelernt? Geld ist wichtig. Sich durchsetzen wird anerkannt. Gewalt ist mit Gegengewalt zu beantworten. Dabei sein, sich zeigen, auf sich aufmerksam machen, bringt Erfolg. Was die Medien vermitteln, ist glaubwürdig, in ihnen genannt zu werden, erstrebenswert. In Hierarchien denken, auf alle Fälle sich "nach oben" orientieren, nur nicht "nach unten" schauen.

Zu den Besten zu gehören, gilt als oberstes Ziel. Von den Besten lernen, lautet die Devise. Dieser legitimierte Wettbewerb kostet viele Opfer und wenig Mitleid. Als Gegengewicht gibt es Seminare, die für gutes Geld helfen, mit sich "eins" zu sein, die "eigene Mitte" zu finden, mittels Diät und Heilslehren das Selbstwertgefühl zu heben. Begleitet von Gurus, Therapeuten und Animateuren das Dasein zu bewältigen. Nicht zuletzt wurde gelernt: Leben macht Angst und aggressiv.
Marketing
Bildung wird als Investition beworben. Die Ware Bildung wird angepriesen, das Preis-Leistungsverhältnis abgeschätzt. Bildungsabschlüsse bringen ihre Rendite. Doch Bildung verändert die bestehende soziale Ungleichheit nicht. Das könnten nur Maßnahmen leisten, die deutlich gegensteuern, wie z.B. Unterstützung für Eltern und Kinder bei der frühkindlichen Erziehung und beim Lernen in Kindergarten und Volksschule.

Angekündigte Prognosetests, die Eltern raten wollen, ob ihr Kind für die Höhere Schule geeignet ist, helfen nicht dann, wenn Hilfe Not tut - nämlich in den Jahren zuvor, wenn das Lernverhalten entscheidend grundgelegt wird. Solche Maßnahmen wollen bloß die "Schülerströme" steuern. Damit wird das Flussbett nicht erweitert, sondern nur das Wasser kanalisiert.
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Bildung ist kein Produkt
Die Universitätsreform geht weiter. Ein klares Profil soll erstellt und Leistungen sollen vereinbart werden. Dafür gibt es Geld vom Staat. Auch hier regiert das Anliegen, zu den Besten zu gehören - sogar zu den Allerbesten: Weltklasse sein, lautet der Anspruch des Bildungsministeriums. Doch die Universität ist kein Betrieb, der mess- und zählbare Ergebnisse produziert. Sie hat eine Bildungsaufgabe.

Diese lässt sich leicht erläutern: Wir bedienen nicht Kunden, sondern forschen und lehren. Studierende kaufen keine Produkte, sondern interessieren sich für Themen und Probleme. Studierende erhalten Informationen und erarbeiten sich Wissen. Wer studiert, braucht Beratung, Zeit und Selbstvertrauen. Studierende wollen Hintergründe und Theorien verstehen, Argumente beurteilen, selbstständig Fragen stellen und Antworten suchen. Wer studiert, will sich Problembewusstsein erwerben
->   Weltklasse-Bildungsministerium
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Lehrende als Vorbilder
Schüler und Studierende orientieren sich an Vorbildern. Als solche beurteilen sie ihre Lehrenden. Lehrende setzen Maßstäbe für Lernende. Was letztere schätzen? Ich gebe einige Beispiele, was gute Lehrende im Urteil ihrer Schüler und Studierenden auszeichnet: pünktlich und vorbereitet sein, vom Fachgebiet und "von der Welt" etwas verstehen, über das unmittelbare Fachthema hinausblicken, humorvoll, fröhlich und gelassen auftreten, Freiraum beim Lernen geben und nicht die eigene Meinung aufzwingen.
Fromme Wünsche?
Was bleibt zu wünschen für das Neue Jahr? Bildungspolitik soll nicht als Verkehrspolitik angesehen werden. "Schüler- und Studentenströme" lenken zu wollen, ist nicht ausreichend! Es handelt sich um Menschen, die sich entwickeln, ihre Lebensorientierung suchen, kritisches Denken üben, Wissen erarbeiten, Argumente erproben, Widersprüche erleben, den künftigen Lebensweg erkunden und ihre Weltsicht gestalten. Dafür sollte ausreichend Geld riskiert werden - natürlich kontrolliert, aber nicht mit dem Sparstift; natürlich verantwortet - aber nicht nur im Fortsetzen des bislang Üblichen. Das braucht Geduld, Investition und Risikokapital. Daraus folgt, um im wirtschaftlichen Jargon zu bleiben, hoher Ertrag: Lebensqualität.
->   Mehr über die PISA-Studie
 
 
 
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