Werner Lenz
Leiter der Abteilung Weiterbildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Graz
 
ORF ON Science :  Werner Lenz :  Wissen und Bildung 
 
Keine Kinder kränken!  
  Wer Kinder kränkt, ist selbst gekränkt. Kinder brauchen Akzeptanz und Respekt. Schulversager werden erzeugt - Dummheit ist lernbar. Erziehenden und Lehrenden, die sich selbst achten, gelingt es leichter, mit Kindern gewaltfrei und liebevoll umzugehen.  
Subjektives Empfinden
Kinder erleben Kränkungen in Alltag und Schule. Beobachtungen in Einkaufszentren, auf Spielplätzen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln belegen das erste. Empirische Untersuchungen aber auch Gespräche mit Schülerinnen und Schülern weisen das zweite nach. Doch es geht nicht um Schuldzuschreibungen an Schule oder an Lehrende.

"Sich kränken" und "gekränkt werden" ist ein subjektives Gefühl mit komplexem Hintergrund. Das jeweilige Selbstwertgefühl eines Kindes - abhängig von frühkindlichen Erfahrungen und situativem Erleben wie z.B. Krankheit, Trennung der Eltern, Ortswechsel, individuelle Entwicklung - spielt eine Rolle.
->   Empirische Untersuchungen dazu in science.ORF.at
Kränkende Ignoranz
Kinder, die dem Leistungsstandard einer Klasse oder der geforderten Disziplin nicht entsprechen, stören das Ordnungsbild von Lehrern und Erziehern.

Je nach deren Gemütslage, Einstellung und Tagesverfassung ergeben sich Reaktionen, die vom positiven Bemühen um Harmonie, über gleichgültiges Hinwegschauen bis zum aggressiven Zurechtweisen reichen. Über letzteres zu berichten, ist spektakulär. Kränkung erfährt aber auch, wer über längere Zeit gleichgültig behandelt oder völlig ignoriert wird.
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Ruf nach Hilfe
Auffällige Kinder sind ein Hilferuf. Sie reagieren auffällig, weil sie sich nicht angenommen und akzeptiert fühlen, weil sie Zuwendung suchen oder sich unsicher fühlen - auffällig laut oder schweigend in sich gekehrt. Beides sind Alarmzeichen! Erziehen und Lehren umfasst die Aufgabe, junge Menschen an die Gesellschaft anzupassen und zugleich sie zu selbstbestimmten, eigenständigen Menschen entwickeln zu lassen. Ein Akt der Balance, für den es kein Rezept gibt - nur Empfehlungen: liebevoll annehmen, respektieren, akzeptieren, achtsam sein, die eigene Vorbildwirkung bedenken ...
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Kinder sind wichtig
Unsere alternde Gesellschaft sollte ihre Kinder mehr schätzen! Sie wird sie noch brauchen. Kinder sind nicht lästig und Kinder stören nicht, sie bereichern unseren Alltag.

Ihr Heranwachsen ist etwas Besonderes und Interessantes. Sie sind wichtiger als die Polsterung im neuen Auto, wichtiger als eine weite Urlaubsreise, wichtiger als eine aufgeräumte Wohnung ...
Gekränkte Lehrende?
"Schulversagen" steht im Vordergrund. Lehrende fühlen sich gekränkt, weil ihr Stoff nicht gekonnt, weil nicht für sie gelernt wird. Mit verletzten Gefühlen wenden sie sich gegen das Kind. Sie empfinden es dumm, unintelligent, unreif, schlimm, böse, nicht in ihre Klasse passend ... Die Spirale der Aggression und Verunsicherung kommt in Gang.

Durchfallen und eine Klasse wiederholen lassen, ist eine viel zu plumpe Form des Reagierens. Beratung für Schüler, Supervision für Lehrende könnten effektiver helfen.
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Versagen
Schulversagen wird in der Schule miterzeugt. Mit wissenschaftlichen Argumenten und an vielen Beispielen zeigt dies in einem Buch der Schweizer Lehrer Jürg Jegge: "Dummheit ist lernbar" . Erfahrungen mit "Schulversagern". Zytglogge Verlag Bern, 1991, 289 Seiten.
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Gehirnforschung und Erziehung
Neue Impulse für das Erziehungsverhalten kommen aus der Gehirnforschung. Die Neurobiologin Lise Eliot von der Chicago Medical School hat Forschungsergebnisse publiziert: die Abläufe des Heranwachsens, die Entwicklung der Sinne und des Intellekts, die Entstehung von Gedächtnis und Sprache, die soziale und emotionale Entwicklung werden genau dargestellt. Besonders wertvoll: jedes Kapitel beinhaltet praktische Konsequenzen für die Erziehung.
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Buchtipp
Lise Eliot: Was geht da drinnen vor? Die Gehirnentwicklung in den ersten Lebensjahren. Berlin Verlag, Berlin 2001, 748 Seiten.
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Sich schützen - sich stärken
Kinder brauchen Grenzen, Orientierung und Normen. Kindern Gewalt anzutun, sie zu schlagen und zu ohrfeigen, sie mit Liebesentzug zu bestrafen, findet keine pädagogische Rechtfertigung. Doch Erwachsene stehen auch unter Druck, Spannungen, Ängsten, Enttäuschungen und geben ihre Gefühle oft unkontrolliert weiter. Wer kränkt, ist selbst gekränkt!

Achtsam sein auf eigene Kränkungen ist ein erster, wichtiger Schritt. Wer sich davor schützt, gefühlsmäßig verletzt zu werden, stärkt das eigene Selbstwertgefühl - auch zum Wohle von Kindern!
 
 
 
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